Ein Musiker ist mehr als ein Instrumentenspezialist
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Der Geiger Michael Barenboim spielt im West-Eastern Divan Orchestra unter seinem Vater, dem Dirigenten Daniel Barenboim. Für den Sohn ist der berühmte Name Druck und Chance zugleich.
Wie kann man sich den Morgen bei Familie Barenboim vorstellen? Man sitzt zusammen am Frühstückstisch, nebenher läuft Musik?
Nein, sagt Michael Barenboim. "Wenn ich Musik höre, dann höre ich Musik, ansonsten lieber nicht." Klassik müsse es nicht immer sein, auch der Hip-Hop seines Bruders David sei möglich, meist höre er aber doch klassische Stücke.
Gerade wirkt der Geiger sehr euphorisch. Er kommt von einem Konzert aus Toulouse, sein Terminkalender ist nach dem monatelangem Lockdown wieder gut gefüllt:
"Ich hatte einen Spaß wie selten. Man läuft herein und hat eine volle Hütte. Man lernt zu schätzen, was man nicht hatte", sagt Barenboim.
"Ohne Oma hätte ich das nicht hingekriegt"
Im Alter von sieben Jahren begann Michael Barenboim Geige zu spielen. Der Großmutter, früher ebenfalls Violinistin, verdanke er viel. "Ohne sie hätte ich das nicht hingekriegt." Mit 18 wurde er Konzertmeister des West-Eastern Divan Orchestra, seit 2020 ist der Musiker Dekan der Barenboim-Said Akademie in Berlin.
Ein Instrument zu beherrschen, das sei das eine, so der 36-Jährige. Ein neues Stück darauf erklingen zu lassen, noch einmal eine ganz andere Herausforderung. Für eine Komposition von Pierre Boulez habe er ein Jahr gebraucht. Aber nur, um es überhaupt spielen zu können, erzählt Barenboim.
"Aber, wenn man es kann, geht die Arbeit erst los. Dann muss man sich ja Gedanken machen, was die Musik bedeutet."
Ein Künstler soll mehr als ein Spezialist sein
Dass Musik für ihn vieles, aber nicht alles sei, das möchte Barenboim unbedingt betonen. Daher beherzige er diesen Gedanken auch als Dekan der Barenboim-Said Akademie.
"Hier haben wir auch ein geisteswissenschaftliches Programm, weil wir es als wichtig erachten, das Künstler und Musiker sich insgesamt als Menschen entwickeln. Sonst wird man zu einem Spezialisten für Geige. Ich finde, zu einem Künstler gehört einfach mehr dazu."
Ob er mehr Druck empfinde oder es mehr als Chance betrachte, den Namen Barenboim zu tragen, immer mit dem Vater und berühmten Dirigenten Daniel Barenboim verglichen zu werden, das könne er nicht sagen.
"Wahrscheinlich ist es beides. Ich kenne es ja nur so. Ich habe es noch nicht probiert mit einem anderen Namen."
Die Zusammenarbeit mit dem Vater, etwa im West-Eastern Divan Orchestra, sei professionell, anders ginge es nicht. "Auf der Bühne muss man sich 100 Prozent der Musik widmen. Wenn man das nicht tut, braucht man es nicht zu machen."
Die Arbeit im West-Eastern Divan Orchestra schätzt Barenboim sehr, auch die damit verbundenen Herausforderungen. 1999 hatte es der Vater mitbegründet, seither spielen hier Menschen aus dem Nahen Osten zusammen, etwa aus Israel, Palästina oder Ägypten. Während der Proben, auf Konzerten, da konzentriere man sich voll auf die Musik.
"Das heißt nicht, dass es die Probleme nicht gibt. Im Gegenteil, wir sind auch ein Ort der Diskussion und des Zuhörens. Und deswegen sind wir alle auch ermutigt, miteinander zu reden und miteinander ins Gespräch zu kommen."
Bratsche statt Snooker
2020 hat Michael Barenboim das West-Eastern Divan Ensemble gegründet, ein Kammermusikensemble. Das Besondere daran: "Es ist intimer. Hier kann man als Zuhörer mehr auf den einzelnen Musiker eingehen, ihn allein hören, mehr mitkriegen, wie dieser oder jener spielt. Ich finde das toll."
Seit einiger Zeit hat Michael Barenboim auch die Bratsche für sich entdeckt, so bleibt noch weniger Zeit für sein Hobby. Der Musiker ist leidenschaftlicher Snookerspieler. "Es macht mir super Spaß. Aber eigentlich muss man es auch täglich üben und trainieren, da ist so viel Feingefühl und Feinmotorik nötig."