Virginie Despentes: "Das Leben des Vernon Subutex"
Übersetzt von Claudia Steinitz
Kiepenheuer & Witsch, 2017
398 Seiten, 22 Euro
Frauenhasser, Narzissten, Karrieristen
Ein Womanizer um die 50 wird plötzlich obdachlos. Unterschlupf gewähren ihm alte Bekannte, darunter ehemalige Pornostars, Nazis und Drehbuchautoren. Virginie Despentes Roman ist die Milieustudie einer Gesellschaft, in der jeder jederzeit absteigen kann.
Worum geht es?
Ich verschenke zu Weihnachten den Roman "Das Leben des Vernon Subutex" von der französischen Schriftstellerin Virginie Despentes. Darin erzählt sie von diesem Vernon: ein Mann, so um die Fünfzig, ehemaliger Plattenverkäufer, ein Womanizer, der sich gut gehalten hat. Doch dann verliert er von einem Tag auf den anderen alles: die Sozialhilfe, die Wohnung – jetzt ist er obdachlos. Er schlüpft tageweise bei alten Bekannten unter, verschweigt aber sein Problem. Beim Lesen lernt man diese Figuren der Reihe nach kennen: ehemalige Pornostars, Drehbuchautoren, bourgeoise Heroinabhängige, Nazis, sogar Hunde sind darunter. So entsteht das Bild einer Gesellschaft, die sich so schnell um sich selbst dreht, dass dabei manche einfach aus dem System fliegen, wie Vernon Subutex.
Was ist das Besondere?
Was mich so fasziniert an diesem Buch ist, wie radikal Viriginie Despentes schreibt. Schonungslos erzählt sie aus der Sicht von Frauenhassern, Narzissten und Karrieristen – man erlebt eine sensationsgeile Gesellschaft, man erlebt, wie Menschen im Internet vernichtet werden oder andere aus Eitelkeit vernichten lassen. Und das aus der Innenperspektive. Der Leser muss sich identifizieren und so ist es umso schmerzhafter zu sehen, wie schnell der Abstieg von Vernon Subutex von statten geht. Damit trifft Virginie Despentes eine Grundangst unserer Zeit: Die Angst davor, rauszufliegen aus der Gesellschaft.
Wem schenken Sie es und warum?
Ich schenke dieses Buch meiner Cousine Rebecca, die gerade Medizin in Paris studiert. Mit ihr habe ich mich vor kurzem darüber unterhalten, dass es auffällig ist, wie wenig Armut man in der Pariser Innenstadt sieht. Die Menschen haben tolle Klamotten an, rauchen unter Heizpilzen und schlürfen grüne Smoothies. Sie erzählte von dem Vorort, in dem das Krankenhaus steht, in dem sie arbeitet. Das sei eine ganz andere Gegend mit vielen Obdachlosen, die in Einkaufswagen ihr Hab und Gut transportierten. Unheimlich sei ihr das. Ich denke dieses Buch macht deutlich, dass es einem selbst so gehen könnte, wie Vernon Subutex. Dass hinter jedem Obdachlosen eine Geschichte steht, die menschlich ist.