Virtuelle Gallenblasen

Von Marko Pauli · 11.05.2010
Bei der minimal-invasiven Chirurgie werden durch einen kleinen Schnitt Operationsinstrumente und Kamera in den Körper eingeführt. Die OP muss dann über den Monitor stattfinden. Dies bringt für den Patienten die Vorteile kleinerer OP-Wunden und kürzerer Liegezeiten. Sie erfordert allerdings vom Chirurgen besondere Fähigkeiten, die erst erlernt werden müssen. Das European Surgical Institute, kurz ESI, in Norderstedt bei Hamburg, gehört zu den modernsten Schulungszentren für minimal-invasive Chirurgie.
Zwölf junge Ärzte nebeneinander, der Blick konzentriert auf den Monitor vor sich. Die Hände bedienen zwei Werkzeuge an Stäben, die wie ein verlängerter Joystick in einer Konsole verschwinden. Auf dem Bildschirm die zu entfernende Gallenblase eines virtuellen Patienten. Es ist die Simulation eines typischen minimal invasiven Eingriffs, einer Schlüsselloch-Operation. Die Trainerin führt einer angehenden Chirurgin vor, wie die Instrumente zu bedienen sind.

"So, jetzt fasst man die Gallenblase an, und nimmt jetzt von diesem Fettgewebe die Strukturen auf, soll dann drauf achten, dass man die darunter liegenden Gefäße, Blutgefäße nicht verletzt. Dann gibt’s ein Fußpedal, und dieses Geräusch ist das Auslösen des Hochfrequenzstroms, so dass hier die Strukturen gleichzeitig verschorft werden und eben nicht bluten. Ich übergebe jetzt mal an die Kollegin, die jetzt die Gallenblase dann weiter operieren kann."

Die echten Schlüsselloch-OP funktionieren genau so. Um Instrumente und Kamera in den Körper einzuführen, sind nur kleine Schnitte notwendig. Die OP kann dann wie hier über den Monitor beobachtet und durchgeführt werden. Gegenüber einer offenen OP fehlt der Tastsinn, aber auch die Dreidimensionalität. Genau das will hier trainiert werden.

"Was ich jetzt mache, hat sie auch schon erklärt, ist, dass ich einfach die Fettgewebestrukturen ein bisschen anhebe, dass die Gallenblase nicht dabei verletzt wird. Hier im Computerprogramm ist es natürlich ein bisschen leichter gemacht. Wenn man hier ein bisschen am Gewebe zieht, dann sieht man auch schon, wo hier die Arterie und die anderen Gänge angedacht sind."

Diese junge Ärztin hat schon bei echten minimal-invasiven Operationen assistiert, d.h. die Kamera geführt oder den Weg für den Operateur freigehalten. Heute hält und operiert sie gleichzeitig, in der einen Hand die Fasszange, in der anderen die Hakenelektrode.

"Huch, das sieht jetzt nicht so gesund aus. Ich weiß jetzt nicht, was das war, Computerfehler, Operateursfehler, wie auch immer."

Bei unsachgemäßer Bedienung läuft schon mal das virtuelle Blut über den Bildschirm. Zwar wackelt die Grafik manchmal ein wenig, insgesamt aber wohl durchaus eine realistische Abbildung der Wirklichkeit.

"Die Darstellung ist auf jeden Fall ähnlich. Es ist nicht ganz so verschwommen, man erkennt diese Strukturen hier noch ein bisschen genauer. Weil das ist eigentlich mehr 'ne gelbe Masse, in der man nicht so viel erkennen kann."

Immer mehr Operationen werden nicht mehr offen, sondern per Schlüsselloch-OP durchgeführt. Für den Patienten bedeutet das kleinere Wunden, geringere Schmerzen und eine schnellere Genesung nach der OP. Und davon profitieren auch die Krankenhäuser. Prof. Izbicki ist Chef der Klinik für Chirurgie am UKE Eppendorf, das mit dem ESI eng zusammen arbeitet. Das moderne virtuelle Training überzeugt ihn:

"Sie haben normale Instrumente an diesem Simulator. Es wird der Ablauf gemacht anhand von Patientendaten, anhand wahrer OPs. Das Tolle ist, dass Sie interoperative Komplikationen simulieren können, also meinetwegen bei der Gallenblasenentfernung die zufällige Durchtrennung des Hauptgallengangs, was einer Katastrophe gleich kommt bei dieser Routine-OP. Sie können dann trainieren, wie kann ich das vermeiden, aber wenn es dazu gekommen ist, wie komm ich mit diesem Problem klar."

Sollte es dennoch Komplikationen geben, besteht gegenüber der offenen OP nur eine verzögerte Zugriffsmöglichkeit, mahnen die Kritiker. Dennoch: Seitdem 1985 die erste minimal-invasive Operation durch Professor Erich Mühe in Böblingen durchgeführt wurde, hat sich diese Art des Eingriffs immer mehr durchgesetzt. Die fehlende Dimension im Sichtfeld muss allerdings trainiert werden – und das nicht am Patienten.

"Und dann ist dieses Institut entstanden und zwar in einer ganz kurzfristigen Entscheidung. Und mittlerweile haben wir hier ja 165.000 Chirurgen und Chirurginnen aus der ganzen Welt gehabt."

So der Leiter des ESI, Dr. Jürgen Brenner. Das virtuelle Training ist dabei nur ein Bestandteil der verschiedenen Trainingskurse. Es gibt theoretischen Unterricht, aber auch OP-Situationen, bei denen nicht nur virtuelles Blut fließt.

"Wenn Sie eine Leber mit einer Gallenblase dran vom Schlachthof kaufen, dann ist das eine super Trainingsmöglichkeit, die ist fast wie im richtigen Leben. Wir können z.B. die Leber mit der Gallenblase an ein Pumpensystem anschließen, und dann gibt es eine pulsierende Durchblutung mit roter Farbe und wenn man dann einen Fehler macht und schneidet rein, dann blutet es. Man kann wirklich exakt simulieren, wie sind die Situationen am Patienten in Wirklichkeit."

Am ESI gibt es Basislehrgänge, beispielsweise für die, die ganz frisch von der Uni kommen, bis hin zu Expertenkursen, bei denen z.B. komplizierte Operationen oder auch neue Instrumente virtuell getestet werden. Auffällig ist, dass eher die jüngere Chirurgengeneration interessiert ist, mit der relativ neuen Technik umzugehen:

"Man muss sagen, dass die Systeme noch eine Akzeptanz benötigen. Gerade die Älteren fühlen sich nicht so sehr wohl, weil sie meinen, das bringt vielleicht doch nichts. Die Jüngeren finden das super, die gehen damit um wie mit ihren Computern zuhause."

Die junge Ärztin hat es gleich geschafft. Nachdem sie in kleinteiliger Arbeit die Gallenblase freigelegt hat, kann sie nun daran gehen, sie zu entfernen.

"Also fast raus, noch nicht ganz, es hängen noch ein paar kleine Fäden. Was jetzt nicht passieren sollte, ich bin jetzt mit dem Instrument in der Leber gelandet, das ist nicht ganz so schön. Die Galle ist fast raus präpariert, die Gänge sind hier unterbrochen, das sieht man und musste erstmal die Blutung zum Stoppen bringen. Aber so prinzipiell sieht es eigentlich so aus, als wäre ich ... jetzt ist sie raus! Juhu!"