Virtual Reality

Wie realistisch ist ein Metaverse?

06:49 Minuten
Ein Junge steht mit seinem Avatar in einer virtuellen, blau leuchtenden Landschaft.
"Lebensechte" virtuelle Welten sind noch in einer frühen Entwicklungsphase. © picture alliance / ZUMAPRESS.com / Guillermo Gutierrez Carrascal
Von Tobias Nowak |
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Sich in künstlichen Welten bewegen wie in der echten, Dinge spüren und sie anfassen: Diese Vision von einem parallelen Leben in der virtuellen Wunderwelt versprechen Tech-Konzerne. Doch auf einem virtuellen Stuhl kann man nicht sitzen. Noch nicht.
In einem Video erklärt Mark Zuckerberg, Chef von Facebook, beziehungsweise: Meta, wie er sich das Metaverse vorstellt: eine virtuelle Realität, in die wir mit einem VR-Headset – natürlich hergestellt von seiner Firma – eintauchen.
Dieses Metaverse sieht vor allem beeindruckend aus, hochaufgelöst, flüssig, farbprächtig. Zuckerbergs Avatar setzt sich in einem virtuellen Zimmer zu den Avataren seiner Freunde an einen Tisch, an dem Poker gespielt wird.

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Doch wie lebensecht fühlt es sich an?

„Wenn ich mich in der Virtualität befinde und sehe, da steht ein Tisch vor mir, und will den anfassen, dann spürt meine Haut aber nichts, ich empfinde keinen Widerstand", sagt Patrick Baudisch, Leiter des Fachgebietes Human-Computer-Interaction am Hasso-Plattner-Institut in Potsdam.
"Dann steht es im Widerspruch zu der Welt, auf die ich versuche, mich einzulassen. Das ist der Grund, warum Wissenschaftler versuchen, diesen nächsten Sinn auch mit hinzuzufügen. Also nicht nur das Sehen und Hören in dieser Welt zu rekonstruieren, sondern auch das Fühlen.“
Patrick Baudisch gehört zu denen, die „haptische“ VR-Schnittstellen erforschen, also Möglichkeiten, virtuelle Umgebungen nicht nur zu sehen und zu hören, sondern auch mit unserem Tastsinn zu erfahren.

Bisher gibt es körperlich erfahrbare VR nur im Labor

Science-Fiction-Autoren sind von dieser Idee seit Jahrzehnten begeistert, die aktuellen Vordenker des Metaverse natürlich auch. Nur: Bis zur Realisierung dieser Idee ist es noch ein weiter Weg. Praktisch findet man körperlich erfahrbare VR-Welten bisher nur im Labor: 
„Da gibt es eine ganze Reihe von Empfindungen, die ich kommunizieren kann", erklärt Baudisch. "Grundlegend zwei Kategorien: Die einen heißen taktil. Das sind Sachen, die die Stimulation der Haut produzieren. Also ich versuche an der Oberfläche, zum Beispiel in den Fingerspitzen des Benutzers das Gefühl zu geben, etwas zu berühren."
Die andere Kategorie seien "propriozeptive" Geräte, die zum Beispiel die Empfindung eines Widerstands herstellen sollen. "Also, wenn ich mich auf den Stuhl draufsetzt oder gegen die Wand drücke, dann versuchen die mir den Widerstand zu produzieren.“

Der Vibrationsalarm als taktile Simulation

Die simpelste taktile Stimulation kennen wir alle: Die Vibrationstechnik im Handy. Sie lässt sich auch für virtuelle Umgebungen nutzen:
„Es gibt ganz einfache Möglichkeiten, dass man z.B. einen Controller hat, der vibriert, wenn man irgendwo hinkommt oder irgendetwas anfasst. Das ist natürlich nicht sehr realistisch, denn ein Produkt vibriert ja nicht, wenn man es in der Realität anfasst“,
sagt Philipp Rauschnabel von der Universität der Bundeswehr in München.
„Wenn ich jetzt die Kaffeetasse vor mir anfasse, dann vibriert die Tasse ja nicht, sondern ich habe die Tasse in der Hand und spüre einfach, da ist was. Ein leichter Temperaturunterschied, ein gewisses Gewicht. Ich merke, ich kann da nicht weiter drücken und das kann man eben über den Controller nicht machen.“

Mit einem Exoskelett "Anfassen" simulieren

Die Wahrnehmung eines echten „Anfassens“ lässt sich aber über besondere Hardware simulieren. Nötig ist dafür ein Korsett, das den ganzen Körper oder oder bestimmte Extremitäten umgibt. 

„Ein Exoskelett um Beispiel oder ein ganzer Anzug, wo der Körper drin ist und dann die einzelnen Bereiche dann auch physisch bewegt werden können. Es gibt Skelette, wo zum Beispiel ein Bein drin ist und dann kann ich mein Bein bewegen", sagt Rauschnabel.
"Diese Bewegung wird dann eins zu eins übertragen bzw. das heißt dann bilateral, dass sich vielleicht auch dieses Exoskelett bewegt von außen, also ein Druck auf den Körper in der VR ausgeübt wird und der sich dann auf mein echtes Bein oder auf mein Arm überträgt.“

Auf einem virtuellen Stuhl kann man nicht sitzen

Das mag als Simulation einer Sinneswahrnehmung noch funktionieren, wenn man etwa nur nach einem virtuellen Ball tritt. Aber sobald Mark Zuckerberg sich tatsächlich auf den virtuellen Stuhl zu seinen Freunden setzen sollte, würde schmerzhaft deutlich werden: Der Stuhl ist eben nur virtuell. Der echte Zuckerberg würde auf dem Hosenboden landen. 
Newtons Drittes Gesetz beschreibt dieses Problem: die Gegenkraftbildung.
„Um eine Gegenkraft zu produzieren, braucht man klassischerweise eine große mechanische Lösung“, erklärt Patrick Baudisch.
Sprich: Wenn ich mich etwa in der VR hinsetzen möchte, müsste ein realer Roboterarm ein reales Brett in Echtzeit unter mir positionieren. Und zwar so, dass ich es für die Sitzfläche des virtuellen Stuhles halte.
„Und das ist genau der Grund, warum diese Sachen im Moment nicht so richtig skalieren. Von der Informatik erwartet man ja im Prinzip, dass Sachen, die anfänglich mal komplex und groß sind, mit der Zeit kleiner werden", sagt Baudisch. "Da geht es um Moores Law. Das heißt, wir erwarten, dass es nach 18 Monaten nur noch halb so groß ist und vielleicht auch nur noch die Hälfte kostet. Das ist bei mechanischen Lösungen klassischerweise nicht so.“

„Wir sind in einer frühen Entwicklungsphase"

Bei Konsumprodukten sind wir bisher kaum über die Vibration hinausgekommen: Die besten haptischen Interfaces, die man sich derzeit kaufen kann, sind Vibrationswesten. Mit ihnen können Hardcore-Gamer in Ego-Shootern die Treffer auf dem eigenen Körper simulieren. 
Aber schon die Einrichtung solcher Geräte ist nur etwas für technikaffine Menschen. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass auch die Handhabung der VR-Headsets nach wie vor umständlich ist: Sie sind schwer und meist umständlich verkabelt, darunter wird es nach einer Weile warm und feucht, und nebenbei einen realen Kaffee zu trinken, birgt ganz eigene Risiken.
Philipp Rauschnabel ist deshalb skeptisch, ob das fühlbare Metaverse wirklich schon hinter der nächsten Ecke auf uns wartet:
„Wir sind da in einer frühen Entwicklungsphase. Für den Privatgebrauch ist wirklich noch viel Arbeit nötig, dass diese Devices dann einfach kompatibel sind und dass da kein langes Setup nötig ist, keine lange Kalibrierung.“
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