Deutschland in Computerspielen
In einem Computerspiel erkennt man nicht unbedingt, in welchem Land man unterwegs ist. Die begeisterten Gamer Marcus Richter und Daniel Hirsch haben daher beim Zocken das virtuelle Deutschland gesucht – und überraschende Entdeckungen gemacht.
Wo – oder vielleicht: Wie? Findet man Deutschland in Computerspielen? Wir fangen da an zu suchen, wo wir uns gut auskennen, Willkommen in...
"Berlin - Die letzte Trutzburg der Deutschen die noch Kampfeswillen hatten."
Wir sind im völlig zerstörten Berlin des Jahres 1945 gelandet. Russische Panzer rollen durch die Straßen, Häuser stehen in Flammen und überall sterben Soldaten. Statt Touristen sind wir Befehlshaber der Roten Armee mit einem klaren Auftrag.
"Erobern sie den Reichstag. Dann ist die Deutsche Moral endgültig gebrochen."
Klischee-Nazis als Gegner
Auf der Suche nach "Spielen in Deutschland" landen wir immer wieder beim Reichstag. Immer wieder in Berlin, immer wieder im Krieg. Abziehbildartige Nazis als Gegner sind die Regel. Sowohl bei "Company of Heroes" einem Strategiespiel im Zweiten Weltkrieg, als auch in der fiktiven Version unserer heutigen Zeit: im Egoshooter "Call of Duty".
"Berlin wird da unten komplett zerlegt."
Dann gibt es da noch "Wolfenstein: New Order", ebenfalls ein Egoshooter mit einer trostlosen Zukunftsvision in der - man ahnt es - die Nazis die Welt beherrschen.
"Jeder kennt sie. Die Zentrale der Geheimpolizei ist hier in Berlin berüchtigt."
Spielerisch ist in Berlin nicht viel zu holen. In dem Deutschland-Bild, das vor allem in internationalen Blockbuster-Produktionen vorherrscht, geht es immer nur um das Eine:
"Lassen Sie es knallen!"
Erster Eindruck der Spielelandschaft Deutschland – ziemlich eindimensional.
"Stahl, Stein. Beton. Meilenweit. Gibt es überhaupt noch etwas auf dieser Welt, was sich zu retten lohnt?"
In Berlin offenbar nicht. Auf zu anderen Zielen also – Für unsere Reise quer durchs Land nutzen wir – etwas typisch Deutsches – die Autobahn:
Marcus Richter: "Wie lange dauert die Reise nach Hamburg jetzt eigentlich?"
Niklas Schmitt: "Das kann ich mal schauen. Wir sind in Berlin nach Hamburg. (...) Halbe Stunde ungefähr."
Marcus: "Dann würde ich doch sagen einfach losfahren."
Niklas: "Ich bin der Niklas und ich fahre hier mit meinem tollen Volvo FH 16 gerade leere Paletten von Berlin nach Hamburg und bin sehr froh und stolz euch begrüßen zu dürfen …"
Niklas Schmitt: "Das kann ich mal schauen. Wir sind in Berlin nach Hamburg. (...) Halbe Stunde ungefähr."
Marcus: "Dann würde ich doch sagen einfach losfahren."
Niklas: "Ich bin der Niklas und ich fahre hier mit meinem tollen Volvo FH 16 gerade leere Paletten von Berlin nach Hamburg und bin sehr froh und stolz euch begrüßen zu dürfen …"
Entspannung im Feierabend-Truck
Niklas Schmitt fährt Trucks. Nach Feierabend. Im "Euro Truck Simulator 2" - fährt der Spieler einen Truck in der Ego-Perspektive durch ganz Europa. In knapp drei Jahren ist er so auf 722 Stunden Fahrtzeit gekommen. Klingt wie ein Job, ist für Niklas Schmitt aber ein entspannendes Lebensgefühl:
"Einfach den Stress vom Alltag hier in meinem virtuellen LKW auszufahren. (...) Ich hab da so eine Art Freiheitsgefühl."
Wir schauen Niklas während wir mit ihm sprechen zu: Er überträgt seinen Bildschirm online zu uns. Wir blicken durch die Windschutzscheibe. Vor uns die Autobahn, an der Seite grüne Felder und Wälder, in den Ohren das Dröhnen des Motors. Wir reden.
Und während die Landschaft an uns vorbeifliegt und wir Niklas darüber ausfragen, wie wichtig es für ihn ist, dass der Truck Simulator Deutschland simuliert - fühlt es sich wirklich so an, als wären wir eine Fahrgemeinschaft im Gespräch.
Niklas: "Moment ich fahre hier schon wieder auf ein Auto auf."
Daniel: "Du darfst den Fahrer nicht so ablenken, Marcus."
Niklas: "Ja was reizt durch Deutschland zu fahren? In Teilen natürlich auch wirklich die Landschaft - ist eben doch auch ein Stück Heimat. Auch wenn wir hier über ein Spiel reden. Jede Stadt hier in dem Spiel hat auch ihre Sehenswürdigkeiten auch wenn man sie leider nicht anfahren kann. Man sieht in den Hintergründen der Stadt schon ihre Wahrzeichen und das ist schon auch ein Stück Heimat."
Daniel: "Du darfst den Fahrer nicht so ablenken, Marcus."
Niklas: "Ja was reizt durch Deutschland zu fahren? In Teilen natürlich auch wirklich die Landschaft - ist eben doch auch ein Stück Heimat. Auch wenn wir hier über ein Spiel reden. Jede Stadt hier in dem Spiel hat auch ihre Sehenswürdigkeiten auch wenn man sie leider nicht anfahren kann. Man sieht in den Hintergründen der Stadt schon ihre Wahrzeichen und das ist schon auch ein Stück Heimat."
Und das funktioniert. Obwohl das virtuelle Deutschland kein exakter Nachbau ist.
Marcus: "Ich wollte gerade sagen, einen Tunnel gibt es aber eigentlich nicht von Berlin nach Hamburg."
Niklas: "Genau das meine ich."
Marcus: "Sind wir noch... - also sind wir jetzt schon da?"
Daniel: "Ist das schon Hamburg?"
Niklas: "Wir sind schon in Hamburg, ja."
Niklas: "Genau das meine ich."
Marcus: "Sind wir noch... - also sind wir jetzt schon da?"
Daniel: "Ist das schon Hamburg?"
Niklas: "Wir sind schon in Hamburg, ja."
Städte in Disneylandversion
In Hamburg wollen wir ergründen, warum Deutschland alles andere als perfekt ist.
"Volksverräter!" - "In der Innenstadt haben sich verängstigte Bürger zu einer Kundgebung versammelt. Entsenden Sie Polizeibeamte um die Kundgebung zu sichern und sorgen Sie für einen reibungslosen Ablauf."
Das mit dem reibungslosen Ablauf hat sich schnell erledigt. Die "verängstigten Bürger" fangen an zu prügeln und an Flüchtlingsunterkünften Feuer zu legen. Zum Glück dieses Mal nicht in echt, sondern in "Emergency 2017". Unser Job ist es Polizei, Feuerwehr, Krankenwagen und Technischem Hilfswerk Aufträge zu erteilen - um Katastrophen einzudämmen und Menschenleben zu retten.
"Erwarte Befehle." - "Jawohl. Bin dabei." - "Der Mannschaftstransportwagen bringt alle Gefangenen zu den Arrestzellen in der Basis."
Wir sehen als virtuelle Einsatzleiter die Stadt von oben, fliegen über Straßenzüge und Hamburger Wahrzeichen: Die Elbphilharmonie, die Speicherstadt, die Reeperbahn. Anker-Objekte nennt Ralph Stock - Chefentwickler und Erfinder der "Emergency"-Reihe - diese Gebäude, an denen jeder erkennt: Klar, hier ist Hamburg. Aber:
"Wir bauen eigentlich eine Disneylandversion der Städte. Wir bilden die Städte nie exakt nach. Das würde gar nicht funktionieren denn allein von der Spielbarkeit wäre es gar nicht sinnvoll in der kompletten Stadt zu spielen."
Eine 1:1-Kopie würde die Spielecomputer überfordern und außerdem bedeuten: Lange Wege, unübersichtliche Level, endlos lange Fahrtzeiten.
"Die Stelle ist für uns nicht erreichbar. Wir sollten uns einen anderen Bereich auswählen um uns zu platzieren."
Im Designprozess werden also die Wahrzeichen gebaut:
"Und dann baue ich die eigentliche Stadt. Das kann schon generisch passieren. Das heißt also im Extremfall ist dann in 'nem Patrizier-Viertel in Hamburg eben ein Haus, das eben in München in 'nem entsprechenden gutbürgerlichen Viertel eben auch eingesetzt wird. Aber das wird eben sehr geschickt gemacht, sodass dann am Ende doch der Eindruck einer jeweiligen Identität der einzelnen Stadt entsteht."
Design mit bewussten Brüchen
"Geschickt gemacht" bedeutet nicht nur das Aneinanderfügen von architektonischen Allgemeinplätzen die ins Flair der jeweiligen Stadt passen, sondern auch die bewusste Platzierung von Brüchen:
"Da ist dann eben in einem Straßenzug eine Baulücke die in den 50er-Jahren geschlossen worden ist, nachdem im Zweiten Weltkrieg eines der Gebäude oder ein Block durch Bomben zerstört worden ist. Und diese Geschichte die wir da dann noch hineinbringen, die erzeugt Authentizität."
"Authentizität" erschöpft sich bei "Emergency" nicht im virtuellen Städtebau - sondern greift auch aktuelle politische Themen auf:
"Und insofern haben wir auch dann in diesem Spiel die Pegida-Demo zum Beispiel dargestellt die in Hamburg stattfindet. In dem Fall. Und haben auch eben eine Eskalation dieser Demonstrationen gezeigt die dann auch in der Brandstiftung eines Flüchtlingswohnheims gemündet ist."
Brennende Flüchtlingsheime als "Anker-Objekte" einer Deutschlandnachbildung in einem Spiel. "Emergency 2017" hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack - der noch dadurch verstärkt wird, dass wir von der Situation überfordert sind.
"Ein Täter wurde nicht rechtzeitig gefasst und konnte das Gebiet verlassen." - "Volksverräter!"
Wir setzen unsere Reise fort, sind ernüchtert: Auch wenn die Spiele spielerisch fordern - das Bild von Deutschland scheint trist, wir sind bis jetzt vom brennenden Reichstag zu brennenden Flüchtlingsheimen gekommen.
Immerhin: In der Ferne verspricht eine Burg in den Alpen Schutz vor allem Übel - aber auf dem Weg dorthin lädt uns ländliche Idylle ein, Halt zu machen.
Marcus: "So, wir befinden uns auf einem kleinen Bauernhof. In Hagenstedt."
Daniel: "Ach, das ist cool."
Marcus: "So, wir fahren mit dem Trecker. Das ist natürlich nicht wie ein moderner Bauernhof, sondern das sind Fachwerkhäuser."
Daniel: "Ich finde, dass sieht aber aus wie ein moderner Fachwerknachbau. Also, da wo ich herkomme vom Land, da bauen sich die Landwirte gerne neue Häuser im Fachwerkstil. Und das sieht so aus. Dafür sind die Steine zu hell. Ah, die ultimative Wäschespinne die haben wir auch im Garten."
Daniel: "Ach, das ist cool."
Marcus: "So, wir fahren mit dem Trecker. Das ist natürlich nicht wie ein moderner Bauernhof, sondern das sind Fachwerkhäuser."
Daniel: "Ich finde, dass sieht aber aus wie ein moderner Fachwerknachbau. Also, da wo ich herkomme vom Land, da bauen sich die Landwirte gerne neue Häuser im Fachwerkstil. Und das sieht so aus. Dafür sind die Steine zu hell. Ah, die ultimative Wäschespinne die haben wir auch im Garten."
Dorfidylle mit ganz besonderen Feinheiten
Erinnerungen an die Dorfidylle meiner Kindheit, lassen mich vergessen, dass Hagenstedt ein fiktives Örtchen ist - -ein Level des Computerspiels: "Landwirtschafts-Simulator".
Der Name sagt es schon: Hier geht es um Simulation. Felder wollen bestellt, gepflegt und abgeerntet, die Ernte verkauft und in neue Maschinen investiert, ein ganzer Bauernhof wirtschaftlich betrieben werden. Das Spiel ist die Nachbildung von Arbeit. Aber die Spielkulisse ist - unter anderem - die Nachbildung von Deutschland. Die besteht natürlich auch wieder aus klassischen Ankerobjekten wie dem Dorfbrunnen und ganz besonderen Feinheiten.
Daniel: "Aber ich finde was sie da ganz gut getroffen haben auf relativ kleinem Raum - das kenne ich tatsächlich auch so - das ist so 'ne stilistische Dissonanz die man auch oft aufm Dorf sieht. Wo du denkst, teilweise richtig schön, auch die alte Kirche noch, hier noch teilweise richtig schön restauriertes altes Haus und dann klatscht da halt jemand so eine fette Silohalle hin. Das sieht dann alles irgendwie nach Wellblech aus. Es trifft das Gefühl tatsächlich. Diese Dissonanz aus jung und alt."
Auf einmal passt alles zusammen. Auf einmal verstehen wir, warum für Niklas Schmitt – den virtuellen Truckfahrer, die Autobahn ein heimeliger Entspannungsort ist und wie Ralph Stock durch eine Baulücke Stadtidentität erzeugen kann. Virtuelle Heimat wirkt.
Außerdem lernen wir, Spieler und Spielerinnen können sie auch selbst gestalten:
"Ich glaube viele reizt es schon irgendwie, die eigene Heimat in ein Spiel zu gießen."
Erklärt uns Ansgar Blauth, ein Spielejournalist der den "Landwirtschafts-Simulator" und seine Fans über Jahre begleitet hat. Ein Phänomen, das er beobachtet: Spielerinnen und Spieler - sogenannte Modder - erschaffen eigene Level und bauen reale Orte nach. Dabei geht es nicht nur ums eigene Erleben:
"Es ist auch so, dass man natürlich als Modder großen Spaß daran hat der Welt dann irgendwie ein bisschen Heimat zur Verfügung zu stellen und zu sehen wie dann die Spieler die Map gut finden im besten Fall wie detailliert die dann gestaltet ist, und dass da ein Fluss oder ein Bach durch die Map fließt. Ich denke es ist eine Kombination aus beidem."
Die Heimatliebe der Modder
Modder bauen in Spielen ihre Heimat nach um sie anderen zu zeigen. Und machen so Deutschland auch für Spieler erfahrbar, die hier nicht zu Hause sind. Spiele als Botschafter.
Und wie sieht uns der Rest der Welt? Welches Deutschlandbild entwerfen Nicht-Deutsche in Computerspielen?
Also, mal abgesehen vom brennenden Reichstag der internationalen Blockbuster-Produktionen? Vielleicht werden wir ja im malerischen Alpenland fündig?
"Herzlich Willkommen im Schloss Neuschwanstein. Herzlich Willkommen zur Führung durch das Schloss. Mein Name ist Patrick Korb. Ich bin hier jetzt der Schlossführer für die nächste halbe Stunde."
"Man trifft unglaublich viele verschiedene Kulturen. Die Welt ist zu Gast. Das trifft schon zu auf uns. Bei chinesischen Besuchern, die machen eine Europareise - 9, 10, 12 Tage - wie gesagt und da ist Neuschwanstein im Zweifelsfall einer von zwei Punkten die sie in Deutschland besuchen. Ja, das ist also ihr Bild von Deutschland."
"Ja, für mich persönlich ist es ein ziemliches Klischee, wie Bier und Angela Merkels Politik. Ich werde nie vergessen, dass ich da gewesen bin."
Wer einmal auf Neuschwanstein war, der wird den Anblick nie vergessen: Der große weiße Viereckturm, die Treppe zum Hof auf dem nur ein einzelner Baum steht und der Blick auf die bayerischen Voralpen.
Einer, den dieses Bild nachhaltig beeindruckt hat, ist Reinout, ein 19-jähriger Belgier der als Jugendlicher mit seinen Eltern das Schloss besucht hat:
"Es ist eines der schönsten Schlösser der Welt. Ich habe immer noch Fotos davon. Ich mochte es wirklich sehr. Und so kam ich auf die Idee es in 'Minecraft' nachzubauen."
Warum gerade "Minecraft"? "Minecraft" ist nicht so sehr ein Computerspiel, man könnte es eher als virtuelles Baukastensystem bezeichnen. Hier besteht die Welt aus verschiedenen kopfgroßen Quadern, die fast beliebig miteinander kombiniert und gestapelt werden können.
Neuschwanstein als Klötzchenmonument
Die Spieler kreieren daraus Bauwerke. Das Raumschiff Enterprise, den Eiffelturm, das Kolosseum in Rom oder eben in 500 Stunden Bauzeit: Das Schloss Neuschwanstein als Klötzchenmonument - von außen ebenso imposant wie von Innen.
"Ein Teil basiert auf meiner Vorstellung. Ich hatte grobe Pläne die sagten: Das ist ein Schlafzimmer, ein Bad oder eine Küche oder so. Es basiert also auf echten Plänen aber nicht zu hundert Prozent. Aber manche Räume würde man wiedererkennen, wenn man selbst schon mal da war.
Das soll der Thronsaal sein. Ah ja, okay. Wir haben zentral im Thronsaal einen großen Leuchter. Das würde passen. Da ist ziemlich zentral oben die große Kuppel. Da ist in Wirklichkeit ein Sternenhimmel oben. Und rundrum unten sind rote Säulen und oben sind blaue Säulen. Der Thronsaal geht über zwei Stockwerke. Das passt."
Für Marcus Richter ist Neuschwanstein lange Zuhause gewesen. Vier Jahre hat er dort gelebt - als Kastellan. Insgesamt hat er von 1990 bis 2013 auf der Burg gearbeitet. Seitdem war er nicht mehr im Schloss.
Zusammen mit uns betritt zum ersten Mal seit langer Zeit wieder Neuschwanstein. Er findet sich sofort im "Minecraft"-Nachbau zurecht - und stößt ebenso schnell auf die Unzulänglichkeiten:
"Der Weg stimmt nicht, es fehlen die Verbindungen eigentlich. Also wenn wir jetzt zum Thronsaal rausgehen, dann gehe ich auf relativ geradem Weg zum Schlafzimmer und zum Wohnzimmer. Das ist eigentlich ein Rundgang und das stimmt nicht."
Die "Minecraft"-Bausteine sind zu grob
Auch viele Details gehen verloren. Wir finden weder das opulente Bett mit seinem gotischen Schnitzwerkdach, noch die nachgebaute Tropfsteinhöhle. Auch die vielen Gemälde nach Wagner-Opern suchen wir vergebens. Für solche Feinheiten sind die "Minecraft"-Bausteine zu grob. Trotzdem vergibt Ex-Kastellan Marcus Richter dem Nachbau ein großes Lob:
"Wenn ich jetzt einmal eine Führung mache, dann ist der Eindruck zwar erst mal gigantisch, aber ich sehe ja nicht wirklich viel. Ich kriege ja wirklich nur einen ersten Eindruck. Das habe ich hier jetzt auch. Es ist vielleicht sogar vergleichbar mit einer Führung die ja eigentlich bloß eine halbe Stunde oder so dauert letztendlich. Von dem her ist es ja eigentlich ähnlich. Finde ich auch ganz gut."
"Ich danke für die Aufmerksamkeit. Ich hoffe ihnen hat die Tour gefallen. Vielen Dank und auf Wiedersehen."
Erst am Ende beider Touren fällt uns auf: Das virtuelle und das echte Schloss ähneln sich nicht nur architektonisch, sondern haben auch eine fundamentale Gemeinsamkeit die nicht auf den ersten Blick sichtbar ist:
Marcus: "Die Absicht war ja eine mittelalterliche Burg im deutschen Stil nachzuempfinden im späten 19. Jahrhundert. Der König selbst wollte das so. Hat hier keine Büsten Statuen oder Gemälde seiner Personen geduldet weil er eben nicht sich selbst hier ein Denkmal bauen wollte sondern für ihn dieses Schloss immer ein Denkmal sein sollte fürs Mittelalter an sich."
Reinout: "Es ist eins der schönsten Schlösser der Welt. Ich habe immer noch Fotos davon. Ich mochte es wirklich sehr. Und so kam ich auf die Idee es in 'Minecraft' nachzubauen."
Die "schönste Burg der Welt", die ein belgischer Student nachgebaut hat, ist selber ein Nachbau. Und kommt damit dem Prinzip von Minecraft ziemlich nahe. Denn Neuschwanstein ist gar keine Burg, es ist die Quintessenz der Idee aller deutschen Burgen. Diese Quintessenz, die Reinout nach einem einzigen Besuch so begeisterte, dass er sie nachbaute, ist dieselbe, die noch viel weitere Kreise zieht.
Willkommen im fiktiven Eichenwalde
Doch dafür müssen wir nicht nur den Ort, sondern auch die Zeit wechseln.
"Ankunft in Eichenwalde!"
Marcus: "Ah, guck dir diese Burg an. Guck dir diese Burg an! Ist sie nicht schön?"
Michael Chu: "Wir wollten unbedingt ein Level in Deutschland machen und die Designer und Grafiker wollten eine Burg in Deutschland bauen. Sie haben viel über Architektur und Baumaterialien recherchiert und sich große Mühe gegeben, das einzufangen, was eine Burg deutsch macht."
Michael Chu arbeitet bei "Blizzard", eine der größten Spielefirmen der Welt mit Sitz in Santa Monica in Kalifornien. Chu ist als Chefautor verantwortlich für die Geschichte von "Overwatch".
"Wappnet euch! Drängt sie zurück!"
"Overwatch" spielt 60 Jahre in der Zukunft und ist von einem eigentlich beendetem Krieg zwischen Menschen und Robotern gezeichnet. Ein Konflikt, der sich gerade wieder aufzuflammt - und wir sind mittendrin.
"Der Feind ist an unserer Türschwelle. Da hat er nichts zu suchen! Denen zeigen wir's!"
"Overwatch" ist ein Mehrspieler-Online-Shooter. Zwei Teams aus jeweils bis zu sechs Eliteagenten bekriegen sich an Schauplätzen auf der ganzen Welt. Unter anderem im fiktiven Eichenwalde im Schwarzwald. Eine Mischung aus Burg und Mittelalterdorf, die auf uns wirkt, wie ein verfallenes Touristenparadies: Eine hohe Mauer mit Zinnen, Türme mit spitzen Dächern, halb zerstörte Wehranlagen und verlassene Shops.
Daniel: "Also was du jetzt nicht siehst, weil du die ganze Zeit dabei bist mit 'nem riesigen Elektro-Metall-Hammer auf Leute einzuschlagen, dass an den Häusern überall Schilder hängen. Du warst eben auch schon in der Jagdhütte. Du hast das gar nicht gesehen."
Entgegen dem Spielimpuls verlangsame jetzt auch ich das Tempo. Und sehe, was Daniel schon entdeckt hat, viele versteckte Details:
Daniel: "Es gibt verschiedene Läden, es gibt auch, dieser Uhrenladen zum Beispiel, ich weiß, dass es auch ein Musikgeschäft gibt, das Zaubertröte heißt."
Viele versteckte Details und Feinheiten
Und da ist auch ein Bäcker, der die "Kosakenzipfel" aus einem Loriot-Sketch verkauft. Wer einfach nur spielt, bekommt in der Hektik des Kampfes nichts davon mit. Trotzdem waren für die Entwickler diese Feinheiten - also die Deutschhaftigkeit von Eichenwalde - sehr wichtig.
"Wir wollen, dass sich Menschen an Orte in der echten Welt erinnert fühlen. Wir wollen aber nicht nur das Gefühl einfangen, dass diese Orte authentisch und nachvollziehbar sind - dieses Gefühl soll sich auch auf Leute übertragen, die vielleicht noch nicht da waren."
Man mische Authentizität mit Klischee. Obwohl auch in "Overwatch" gekämpft wird - wovor wir in Berlin ja eigentlich geflohen sind - funktioniert das Rezept hier. Es entsteht ein sympathisches Deutschlandgefühl. Ein Gefühl, dass uns - jetzt wo wir uns dem Ende der Reise nähern - seltsam bekannt vorkommt. Tatsächlich:
Die Straßenschilder, denen wir im "Euro Truck Simulator" gefolgt sind, stehen halb verfallen an den Ecken.
"Aas ist schon auch ein Stück Heimat."
Die Fachwerkhäuser am Fuße der Burg Eichenwalde könnten so auch in Hagenstedt im "Landwirtschafts-Simulator" stehen.
"Ich finde, dass sieht aber aus wie ein moderner Fachwerknachbau."
In der Ferne sehen wir, von der Burgmauer aus, Stuttgart. Die Hochhauskulisse erinnert an die Ankerobjekte aus Hamburg in "Emergency 2017".
"Aber das wird eben sehr geschickt gemacht, sodass dann am Ende doch der Eindruck einer jeweiligen Identität der einzelnen Stadt entsteht."
Und natürlich: Der hohe Burgturm, das idyllische Umland, die über die Jahrtausende hinweg erhaltene Mittelalterlichkeit könnte direkt aus Neuschwanstein stammen.
"Die Absicht war ja eine mittelalterliche Burg im deutschen Stil nachzuempfinden im späten 19. Jahrhundert."
Kombination von Klischees und Fantasie
Eichenwalde ist das Destillat aller Stationen unserer Reise. Gleichzeitig ist Eichenwalde komplett fiktiv und wir merken, dass wir sehr fasziniert von diesem Ort sind, können uns aber auch nicht auf Anhieb erklären, warum. Könnte es daran liegen, dass diese virtuelle Repräsentation eines Landes, vom Ballast befreit ist, die Realität 1:1 nachbilden zu wollen?
Vielleicht ist es das. Diese Mischung aus authentisch deutschen Klischees und einer fantastischen Spielwelt, die es uns ermöglicht im Bekannten noch Neues zu finden – und uns unvoreigenommene Entdeckerfreude beschert. Und damit doch die verspielteste Version – im ganz kindlichen unschuldigen Sinne – ist, die wir von Deutschland gesehen haben.
Man könnte auch sagen: Eichenwalde ist der perfekte Gegenentwurf zum ewigen zweiten Weltkrieg im Computerspiel. Dieser wird auch weiterhin präsent bleiben.
Doch wir sind froh bei unserer Reise durch Deutschlands Spielelandschaft noch ein paar andere Sehenswürdigkeiten entdeckt zu haben.