Der Avatar als Psychotherapeut
Kann der Dialog mit einer virtuellen Gestalt psychisch kranken Menschen helfen? Am Kings College in London hat eine Arbeitsgruppe diesen Behandlungsansatz für Schizophrene mit einer Studie untersucht. Das Ergebnis ist ermutigend.
Ein Patient geht zum Psychotherapeuten und soll dort an einem Computer mit einer virtuellen Gestalt in Dialog treten. Das klingt auf den ersten Blick befremdlich. Einige Psychiater und Psychologen arbeiten aber weltweit an solchen virtuellen Therapien - und streiten darum, wie sinnvoll sie sind. Eine Arbeitsgruppe am Kings College in London hat nun neue Akzente für diese Diskussion gesetzt. Sie hat die erst seriöse Studie über den Einsatz von Avataren bei Schizophrenen durchgeführt. Martin Hubert stellt die Ergebnisse vor.
Eine Therapiesitzung am Institut für Psychiatrie des King's College London. Auf einem Computermonitor ist ein schematisches Gesicht zu sehen. Es bewegt die Lippen synchron zu seinen Äußerungen - und attackiert den Mann, der vor dem Bildschirm sitzt, verbal. Er sei ein Weichei und dumm, geifert die Stimme.
Sie klingt übersteuert, aber sie wurde genau so modelliert, wie der Mann vor dem Monitor sie im Gedächtnis hat. Der Mann leidet an einer Psychose und hört diese Stimme seit Jahren in seinem Kopf. Etwas Nettes hat sie ihm noch nie gesagt.
Behandlungsansatz gegen böse innere Stimmen
Avatartherapie nennt Professor Thomas Craig vom King's College in London seinen Behandlungsansatz. Der Psychiater erprobt ihn bereits seit mehreren Jahren an schizophrenen Patienten, die stark unter einer bösen inneren Stimme leiden. Wenn ein Psychotiker ein ganz bestimmtes Gesicht mit dieser Stimme verbindet, erhält das Gesicht auf dem Monitor seine individuellen Züge.
"Unsere Computersoftware verändert die Stimme des Therapeuten so, dass sie wie die böse Stimme des Patienten klingt. Das ist der Trick. Der Psychotherapeut sitzt in einem Raum, der Patient in einem anderen und zwischen ihnen ist nun ein Trialog möglich. Sie führen eine Konversation zwischen Patient, Therapeut und dem Avatar."
Der Psychotherapeut kann so den Patienten auffordern, der störenden Stimme zu widersprechen und unterstützt ihn dabei.
Im Verlauf einer Sitzung kann der Therapeut die böse Stimme dann defensiver und freundlicher werden lassen. Der Patient entwickelt dadurch das Gefühl, sie beeinflussen zu können. Er macht eine reale positive Erfahrung mit einer fassbaren Stimme, die ihn normalerweise aus dem Off malträtiert.
Erste größere Studie zeigt therapeutischen Effekt
Thomas Craig hat nun erstmals im Vergleich mit einer größeren Kontrollgruppe untersucht, wie wirkungsvoll diese Methode ist. Er verglich insgesamt 150 schizophrene Personen. Die Hälfte führte sechs wöchentliche Therapiesitzungen mit Avataren durch. Die andere Hälfte sprach ohne Avatar mit Therapeuten über ihre Probleme.
"Das Hauptergebnis war, dass die Häufigkeit der Halluzinationen abnahm und sie von den Versuchspersonen auch nicht mehr so stressig wahrgenommen wurden. Dabei war diese Verbesserung bei denjenigen, die die Avatartherapie erhalten hatten, signifikant höher. Nach drei Monaten ging es ihnen deutlich besser. Dieser Effekt hielt auch nach sechs Monaten noch an und wir kennen einige Fälle, bei denen die Stimmhalluzination sogar ganz verschwand. Und das blieb auch nach eineinhalb bis zwei Jahren so."
Die Ergebnisse waren sogar besser als bei Studien zur kognitiven Verhaltenstherapie, die oft bei akustischen Halluzinationen eingesetzt wird. Dabei sollen sich die Patienten selbst mit ihrer inneren Stimme auseinandersetzen und sie neu bewerten.
Einsatz auch bei anderen psychischen Problemen?
Thomas Craig unterstreicht, dass weitere Studien nötig sind, um seine Ergebnisse zu bestätigen. Aber im Prinzip ist er davon überzeugt, dass die Avatartherapie auch bei anderen psychischen Problemen eine Standardtherapie werden könnte:
"Einige Kollegen versuchen gerade, die Methode bei der Magersucht anzuwenden, wo eine innere Stimme den Betroffenen verbietet, zu essen. Es ist keine wirklich gehörte Stimme wie bei unseren Psychotikern, es ist mehr eine Selbstaussage, aber genauso folgenreich. Und einige Kollegen beginnen auch, Avatare bei der Therapie von Persönlichkeitsstörungen auszuprobieren. Ich denke, das Potenzial für andere Einsatzbereiche existiert."