Kulturelle Bildung durch Computerspiele
Computerspiele lassen sich hervorragend für kulturelle Bildung nutzen, meint der Gründer des Netzwerks "games4culture", Christoph Deeg. Bisher würden diese Möglichkeiten gerade von Kultureinrichtungen zu wenig genutzt.
Korbinian Frenzel: Schokoriegel oder Apfel – was gesünder ist: keine Frage. Bücher oder Computerspiele – was besser ist für Kinder: keine Frage – das Buch, sagt der Bildungsbürger in mir, vielleicht auch in Ihnen, sagt aber nicht der Mann, mit dem ich jetzt spreche über den Nutzen des Computerspiels für die Kulturvermittlung.
Christoph Deeg, er ist einer der Referenten auf der heute beginnenden Tagung zu nämlichem Thema: Über den Nutzen des Computerspiels fürs Lernen. Die Bundesakademie für Kulturelle Bildung lädt dazu nach Wolfenbüttel. Einen schönen guten Morgen, Herr Deeg!
Christoph Deeg: Schönen guten Morgen!
Frenzel: Welches Sakrileg! Ausgerechnet in dieser Stadt Wolfenbüttel mit der wunderbaren Herzog-August-Bibliothek. Daddeln am Computer oder Bücher lesen – ist das für Sie wirklich gleich?
Deeg: Ja, das ist gleich. Also erst mal, die Bibliothek hier ist großartig, und ich bin auch ein großer Bücherfan, also nicht dass Sie glauben, dass ich jetzt mit Büchern nichts mehr zu tun haben will. Aber ja, Computerspiele sind wirklich als gleichwertig anzusehen zu Büchern. Wir haben eine Situation, dass die Computerspiele das Leitmedium des 21. Jahrhunderts werden, und wir erleben, dass wir in Computerspielen auch Dinge tun können, die wir mit Büchern so nicht tun können.
Es geht allerdings weniger um einen Konkurrenzkampf, in dem jetzt irgendwie versucht wird, die Bücher in die Ecke zu drängen, sondern vielmehr darum, die Optionen zu sehen, die sich aus Computerspielen ergeben. Und da erleben wir, dass dort Möglichkeiten entstehen, gerade auch für den Bereich Kulturvermittlung wie auch kulturelle Bildung, die wir in den Büchern so einfach nicht haben.
Frenzel: Aber ist da Computerspiel gleich Computerspiel? Ich habe so dieses Bild vor Augen, diese zu Zombies gewordenen Kinder, die dann vor dem Bildschirm hängen und eigentlich für nichts mehr ansprechbar sind. Gibt es da nicht auch viele Spiele, und die meisten wahrscheinlich, die, die populär sind, die dieses Niveau nicht erreichen, das Sie sich da wünschen?
Deeg: Das ist ganz spannend, dass Sie das sagen, weil zum einen muss man natürlich überlegen, was Sie gerade gesagt haben, dass Kinder dann so lange davor sitzen und nicht – also, wenn wir ein Buch haben und erleben, dass jemand ganz tief in dieses Buch versunken ist und eigentlich die ganze Welt um sich herum vergisst, dann sagen wir, das ist eine wunderbare Sache, und der Mensch erlebt das Buch gerade intensiv.
Und beim Computerspiel sehen wir da Gefahren. Das Zweite ist natürlich, dass Computerspiel keine, wie soll ich sagen, also diese Gefahrendiskussion, die wir haben, die ist natürlich auch zu Recht vorhanden, und wir haben auch viele Computerspiele, die, vorsichtig ausgedrückt, vielleicht geschmacklich nicht gut passen oder die auch Dinge darstellen, die wir so nicht wollen.
"Wir erleben, dass Computerspiele unglaubliche Optionswelten sind"
Aber stellen Sie sich vor, wir würden so ein Märchen wie "Hänsel und Gretel" oder wie "Rotkäppchen" nehmen und würden "Rotkäppchen" verfilmen lassen von jemandem wie Peter Jackson, der damals den "Herr der Ringe" gemacht hat. Da würden wir feststellen, die Geschichten, die dort erzählt werden, sind eigentlich genau die Gleichen, es ist nur eine andere Form, wir nehmen es anders wahr.
Es ist also weniger der Inhalt selber als vielmehr das Medium, mit dem wir uns befassen, und dort haben wir die Situation, dass, wenn wir jetzt auch die Diskussion anschauen über Bücher, über die Frage, sollten auch in den öffentlichen Bibliotheken Romane vorhanden sein. Die Diskussion hatten wir vor einigen hundert Jahren ja auch, dann haben wir immer dieses selbe Muster mit dabei.
Aber wir erleben, dass Computerspiele unglaubliche Optionswelten sind, genauso, wie es Bücher sind. Und ich glaube, dass da einfach der nächste Schritt getan werden sollte und verstanden werden sollte, dass Bücher, wie gesagt, genauso relevant sind wie Computerspiele, und umgekehrt genauso. Und es gibt ganz viele tolle Bücher, es gibt ganz, ganz viele schlechte Bücher. Es gibt ganz, ganz viele tolle Computerspiele, und natürlich gibt es auch ganz, ganz viele schlechte Computerspiele.
Frenzel: Wie ist denn ein Computerspiel gut? Was muss es schaffen, was muss es leisten, damit es wirklich eine Art Kulturvermittlung bringt, damit man damit lernen kann?
Deeg: Es geht eigentlich weniger um die Spiele an sich. Oder, um es anders auszudrücken, Sie können eigentlich mehr oder weniger jedes Computerspiel, was es auf dem Markt gibt, nutzen, um es im Kontext von kultureller Bildung und Kulturvermittlung anzuwenden. Das heißt, die Spiele an sich - es geht nicht darum, besondere Spiele zu entwickeln oder besondere Spiele zu haben, die jetzt auf einem besonderen pädagogischen Niveau kulturelle Inhalte vermitteln können. Sondern es geht darum, zu verstehen, dass diese Spiele dort sind und dass sie eine Schnittstelle bilden zu den Menschen. Auch dort wird immer gerne so ein kleines Missverständnis gelebt, dass man glaubt, dass es ein Thema für Jugendliche und junge Erwachsene ist.
Ich selber bin 40 Jahre alt und bin Gamer, und bin jetzt kein Nerd oder so was, sondern ich bin ein ganz normalsterblicher Mensch, ich habe selber Jazz-Musik studiert, komme also aus der Kultur, aus der Kunstszene. Man kann jedes Spiel nutzen, um es in einem Kontext von kultureller Bildung und Kulturvermittlung zu nehmen, und das heißt, wir haben diese zwei Ebenen. Wir haben zum einen die Nutzung von "normalen" Computerspielen, um sie in diesem Kontext zu nutzen, und zum anderen eben die Möglichkeit, bestimmte Spiele zu bauen. Die Muster dahinter sind aber die gleichen.
Also, es geht darum, Menschen zu motivieren, es geht darum, Menschen die Möglichkeit zu geben, ihre Neugierde auszuleben. Was Computerspiele unglaublich gut können, ist beispielsweise, Fehlersysteme zu entwickeln. Ein Computerspiel basiert ja darauf, dass ich Fehler mache, aus diesen Fehlern lerne. Sie werden erleben, ein Gamer, der ein Spiel komplett verstanden hat, wird es nicht mehr weiter spielen. Es sind so viele Elemente, die dort kontinuierlich getriggert werden, und wir erleben – es ist so eine schöne Sache im Kultursektor.
Ich höre ja sehr oft, dass gerade auch jüngere Menschen sich mit dem Thema Kultur nicht mehr auseinandersetzen wollen, weil sie glauben - weil es etwa zu komplex wäre, und Kultur wäre zu komplex, und Kunst wäre zu komplex, und die heutige Jugend, heißt es dann immer gerne, möchte es lieber einfach haben. Wenn wir uns aber Computerspiele angucken, stellen wir fest, es sind hochkomplexe Systeme, in denen sich die Menschen bewegen, die teilweise von der Komplexität eine Stufe erreicht haben, die mit jedem kulturellen Inhalt, den wir haben, mithalten können. Es gibt eine wunderbare Schnittmenge zur Kultur und zum Kunstsektor – man muss es jetzt einfach nur machen.
"Eine Schnittstelle für die Kulturvermittlung"
Frenzel: Diese Schnittmenge, die würde mich mal interessieren. Denn – ich komme jetzt wieder mit meinem kulturpessimistischen Ansatz daher und denke da an die vielen Ballerspiele. Das ist jetzt nicht übermäßig komplex, es sei denn, man versteht die Komplexität darin, dass man sozusagen immer komplexer überleben muss und andere Leute abknallen oder Wesen, Fabelwesen. Wo ist denn jetzt eigentlich die Möglichkeit für die Kulturvermittlung? Da sehe ich noch nicht so richtig die Schnittstelle.
Deeg: Sie können zwei Sachen tun. Eine Schnittstelle für die Kulturvermittlung, darüber reden wir auch hier auf der Tagung, ist die Frage: Versteht Kultur eigentlich, verstehen Kulturinstitutionen die Mechanismen, die in den Computerspielen angewandt werden –
Frenzel: Tun Sie das?
Deeg: Nein. Tun sie nicht, nein. Der Kultursektor ist in diesem ganzen Bereich des Verständnisses dessen, was im digitalen Raum passiert, noch sehr weit entfernt. Leider.
Frenzel: Das sind so Leute wie ich?
Deeg: Ja - es ist einfach auch ein Fehler gemacht worden. Das sind gar nicht Sie jetzt als Schuldige oder so, sondern es ist vielmehr das Problem, dass wir erleben, dass sehr viele Menschen Kultur – also digitale Welt als ein Technologiethema wahrnehmen und nicht als ein Thema wahrnehmen, wo es um eine eigene Kultur, eine eigene Form des Denkens und Arbeitens geht.
Und das ist etwas, wenn wir uns Social Media oder Gaming angucken, dann können wir sehen, wie Menschen gerne miteinander kommunizieren, wie sie sich gerne Inhalte erschließen, wie sie gerne auch Dinge ausprobieren. Wir müssten eigentlich im ersten Schritt gar nicht Computerspiele in die Kulturinstitutionen bringen, sondern wir müssen die Kulturinstitutionen kompatibel zu dieser neuen Form des Denkens und Arbeitens machen.
Das wäre der erste Schritt, also, es ist eine Art Kompatibilität zu der Kultur der Menschen zu erzeugen. Danach verlieren wir so was wie Deutungshoheit, zum Beispiel, und kommen in neue Elemente dort rein. Das ist der eine Punkt. Der zweite Punkt: Es können spezielle Spiele gebaut werden, die die jeweiligen kulturellen Inhalte neu erfahrbar machen.
Der Peter Lee, das ist einer der Speaker hier, der kommt aus Seoul, der hat Goethes "Faust" genommen und hat aus Goethes "Faust" ein Alternate-Reality-Game gebaut, also ein Spiel, das eine alternative Realität in unserer analogen Welt schafft. Das ist noch nicht mal ein Spiel mit Computern, es ist also ein Spiel, das in der analogen Welt stattfindet, das zusammen mit dem Goethe-Institut gebaut worden ist und gerade auf den asiatischen Bühnen und Theatern einen unglaublich großen Erfolg feiert und Menschen zu dem Thema "Faust" bringt, die noch nicht mal wussten, dass es dieses Buch gibt.
Frenzel: Das glaube ich. Das glaube ich Ihnen aufs Wort, Christoph Deeg - ich werde dieses Spiel mal probieren, und ich kann Ihnen eins sagen: Es ist das erste Computerspiel, das ich spielen werde nach dem C64, ist also ein bisschen her. Herr Deeg, ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch!
Deeg: Sehr gerne. Dankeschön, tschüs!
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