Virtuose des erregten Blicks
Erst im Alter von 67 Jahren begann der 1905 in Paris geborene, als Schriftsteller und Übersetzer bekannt gewordene Pierre Klossowski, Bruder des Malers Balthus, zu zeichnen. Mit erotisch aufgeladenen Darstellungen sucht er den Betrachter in das Werk hineinzuziehen. Im Museum Ludwig werden seine Bilder erstmals in Deutschland gezeigt.
Ein sehr männlicher Zentaur mit Hirschgeweih umarmt und umschlingt eine nackte Frau, am Boden geifern zwei Hunde, ihre gebleckten Zähne geben der bizarren Liebes-Szene eine sadistische Note. Aber all das – Begehren, Sexualität und Gewalt – wirkt latent im Hintergrund, denn Pierre Klossowski hat die mythologische Begegnung von "Diana und Aktaion" nicht etwa ausgemalt, sondern gezeichnet. Stolze zwei Meter hoch ist das Bild, genug Freifläche also, um in wochenlanger Feinstarbeit mit dem Bleistift das Lieblingsmodell, die eigene Frau Roberte, förmlich zu befingern, ihren Körper mit energischen Schraffuren und zarten Linien zu umkreisen.
Strich für Strich erkundet Klossowski, der meist nur als Schriftsteller bekannte ältere Bruder des Malers Balthus, den Frauenkörper, nähert sich mit diesen zeichnerischen Exerzitien auch geistig dem anderen Geschlecht. Der polyglotte, philosophisch gebildete Privatgelehrte schafft zugleich eine ganz eigene Welt, beherrscht von den Phantasien eines Marquis de Sade und den Gedanken Nietzsches, bevölkert von griechischen Göttern und dionysischen Fabelwesen. Klossowski, der 2001 in Paris gestorbene Mann des Wortes, wartet posthum mit Bildern auf, die sogar Kasper König, Direktor des Kölner Museum Ludwig, überraschen:
" Ich muss gestehen, dass mir leider die komplexe Bildung fehlt, die Kenntnisse über die Mythologie, die Kenntnisse über die Theologie. Das heißt: die ungeheure, tiefe Substanz, die eben in dem Werk von Klossowski steckt. Wie wir alle wissen, ist er natürlich auch Philosoph, Schriftsteller, Übersetzer – und der Filmer und der Zeichner. "
Der Ziehsohn Rilkes – Klossowskis Mutter war die Geliebte des deutschen Dichters – hatte bereits als Privatsekretär von André Gide erfahren, welches Aufsehen seine Kunst erregen würde, berichtet der Grafikexperte Alfred Fischer:
" 1924 illustriert er auch – oder will er auch ein Buch von Gide illustrieren. Aber diese Zeichnungen findet Gide so gewagt, dass er sie ablehnt."
In den dreißiger Jahren dann wurde Klossowski zunehmend unabhängig von den guten und einflussreichen Freunden seiner Familie. Er freundete sich mit Georges Bataille an, dem anderen großen Erotomanen, und mit Surrealisten wie André Masson.
" Klossowski schließt sich antifaschistischen Gruppen und Intellektuellen an, meistens surrealistische Künstler. Und die zeigen sogar eine Ausstellung "Freie deutsche Kunst" – das war eine Art Gegenausstellung zu dieser "Entartete Kunst"-Ausstellung von Hitler in Deutschland."
Diesen durchaus politischen Impuls spürten dann in den Sechzigern auch französische Intellektuelle wie Michel Foucault und Gilles Deleuze. Ein Kunstkritiker aus diesem Pariser Zirkel, Bernard Lamrche-Vadel, fasste die gespannte Sympathie für diesen Künstler in dem Satz zusammen, "ein Bild von Klossowski anzuschauen heißt, zu seinem Opfer zu werden!"
Gerade weil dieser Virtuose des erregten Blicks auf die plumpen Tricks der Pornographie verzichtet, wirken seine Bilder so nachhaltig betörend. Denn mit Roberte betritt eine Schönheit die Bühne, die mit strengem, von kalvinistischem Geist geprägtem Charme alle industrialisierten Pin-Ups und auch so manchen Star-Vamp beiseite drängt, erklärt Alfred Fischer:
" Klossowskis Thema ist das Begehren, aber auch die Suche nach Vervollkommnung. Eigentlich meint er die Suche nach Gott. Und Eros, Erotik ist ja für Klossowski der Mittler zwischen Gott und Mensch. Die Sexualität in diesen Bildern, die dient als Hinweis auf geistige Vorgänge."
Und damit hatte bereits der Autor Klossowski überzeugt: Deutsche Schriftsteller zeigten sich in den Achtzigern begeistert von Romanen, in denen die angebetete Frau über Seiten hinweg nichts anderes tut als ihre armlangen schwarzen Handschuhe auszuziehen. Während Hermann Peter Piwitt darin "Fantasie, Finesse, zitterndes Detail" entdeckt, kehrt Sarah Wilson, englische Kuratorin der Klossowski-Retrospektive, weitere Vorzüge hervor:
" Sein Sinn für Humor war nicht typisch Französisch, zudem hatte er in Dreißigern eine englische Freundin – die Balthus als "Alice" gemalt hat. "
Wo Balthus kleine, nur scheinbar unschuldige Mädchen vor den lodernden Flammen eines Kamins platziert, geht es bei Klossowski gleich zur Sache. Doch die Kategorisierung der Brüder als "milder" Maler und "harter" Zeichner trifft nicht ganz. Zum Geschlechtsakt mit der hochgewachsenen Roberte etwa tritt ein zwergenhafter Mann mit Dreispitz und Kniebundhosen an, so schwinden alle Dimensionen von Zeit und Raum:
" Man kann das intellektuell interpretieren, aber es hat eine märchenhafte Dimension. Und die verbindet er mit Gullivers Reisen, nennt das eine Gulliversche Optik. Er schaut auf die Welt aus dem Märchenwinkel, mit den Augen der Sagengestalten. So habe ich ihn noch selbst erlebt – mit leisem Witz und einem sanften Lachen. "
Dieser Wesenszug äußerte sich nicht zuletzt in Selbstironie der allerfeinsten Art. So arbeitete die Frau Pierre Klossowskis in der Pariser Zensurbehörde, fand sich dabei auch mit Büchern ihres Mannes konfrontiert. Das übersetzte der Künstler in ein Bild, auf dem die halbnackte Roberte am Schreibtisch von schemenhaften Gestalten bedrängt wird. Wie immer ist die Zeichnung ungelenk und ohne Rücksicht auf die Zentralperspektive ausgeführt, ganz bewusst, sagt Alfred Fischer:
" Wo er draufschreibt auf Französisch "Klossowski der Ungeschickte". Das ist Roberte, die in der Zensurbehörde arbeitet, sie wird verfolgt von den Geistern, die sie zensuriert. Wie diese Figürchen aus der Schraffur, aus der Schattierung herausgearbeitet werden, das ist einfach wunderbar."
Service:
Pierre Klossowski "Gespräche ohne Worte", Ausstellung Museum Ludwig, 22.12. bis 18.3.2007.
Strich für Strich erkundet Klossowski, der meist nur als Schriftsteller bekannte ältere Bruder des Malers Balthus, den Frauenkörper, nähert sich mit diesen zeichnerischen Exerzitien auch geistig dem anderen Geschlecht. Der polyglotte, philosophisch gebildete Privatgelehrte schafft zugleich eine ganz eigene Welt, beherrscht von den Phantasien eines Marquis de Sade und den Gedanken Nietzsches, bevölkert von griechischen Göttern und dionysischen Fabelwesen. Klossowski, der 2001 in Paris gestorbene Mann des Wortes, wartet posthum mit Bildern auf, die sogar Kasper König, Direktor des Kölner Museum Ludwig, überraschen:
" Ich muss gestehen, dass mir leider die komplexe Bildung fehlt, die Kenntnisse über die Mythologie, die Kenntnisse über die Theologie. Das heißt: die ungeheure, tiefe Substanz, die eben in dem Werk von Klossowski steckt. Wie wir alle wissen, ist er natürlich auch Philosoph, Schriftsteller, Übersetzer – und der Filmer und der Zeichner. "
Der Ziehsohn Rilkes – Klossowskis Mutter war die Geliebte des deutschen Dichters – hatte bereits als Privatsekretär von André Gide erfahren, welches Aufsehen seine Kunst erregen würde, berichtet der Grafikexperte Alfred Fischer:
" 1924 illustriert er auch – oder will er auch ein Buch von Gide illustrieren. Aber diese Zeichnungen findet Gide so gewagt, dass er sie ablehnt."
In den dreißiger Jahren dann wurde Klossowski zunehmend unabhängig von den guten und einflussreichen Freunden seiner Familie. Er freundete sich mit Georges Bataille an, dem anderen großen Erotomanen, und mit Surrealisten wie André Masson.
" Klossowski schließt sich antifaschistischen Gruppen und Intellektuellen an, meistens surrealistische Künstler. Und die zeigen sogar eine Ausstellung "Freie deutsche Kunst" – das war eine Art Gegenausstellung zu dieser "Entartete Kunst"-Ausstellung von Hitler in Deutschland."
Diesen durchaus politischen Impuls spürten dann in den Sechzigern auch französische Intellektuelle wie Michel Foucault und Gilles Deleuze. Ein Kunstkritiker aus diesem Pariser Zirkel, Bernard Lamrche-Vadel, fasste die gespannte Sympathie für diesen Künstler in dem Satz zusammen, "ein Bild von Klossowski anzuschauen heißt, zu seinem Opfer zu werden!"
Gerade weil dieser Virtuose des erregten Blicks auf die plumpen Tricks der Pornographie verzichtet, wirken seine Bilder so nachhaltig betörend. Denn mit Roberte betritt eine Schönheit die Bühne, die mit strengem, von kalvinistischem Geist geprägtem Charme alle industrialisierten Pin-Ups und auch so manchen Star-Vamp beiseite drängt, erklärt Alfred Fischer:
" Klossowskis Thema ist das Begehren, aber auch die Suche nach Vervollkommnung. Eigentlich meint er die Suche nach Gott. Und Eros, Erotik ist ja für Klossowski der Mittler zwischen Gott und Mensch. Die Sexualität in diesen Bildern, die dient als Hinweis auf geistige Vorgänge."
Und damit hatte bereits der Autor Klossowski überzeugt: Deutsche Schriftsteller zeigten sich in den Achtzigern begeistert von Romanen, in denen die angebetete Frau über Seiten hinweg nichts anderes tut als ihre armlangen schwarzen Handschuhe auszuziehen. Während Hermann Peter Piwitt darin "Fantasie, Finesse, zitterndes Detail" entdeckt, kehrt Sarah Wilson, englische Kuratorin der Klossowski-Retrospektive, weitere Vorzüge hervor:
" Sein Sinn für Humor war nicht typisch Französisch, zudem hatte er in Dreißigern eine englische Freundin – die Balthus als "Alice" gemalt hat. "
Wo Balthus kleine, nur scheinbar unschuldige Mädchen vor den lodernden Flammen eines Kamins platziert, geht es bei Klossowski gleich zur Sache. Doch die Kategorisierung der Brüder als "milder" Maler und "harter" Zeichner trifft nicht ganz. Zum Geschlechtsakt mit der hochgewachsenen Roberte etwa tritt ein zwergenhafter Mann mit Dreispitz und Kniebundhosen an, so schwinden alle Dimensionen von Zeit und Raum:
" Man kann das intellektuell interpretieren, aber es hat eine märchenhafte Dimension. Und die verbindet er mit Gullivers Reisen, nennt das eine Gulliversche Optik. Er schaut auf die Welt aus dem Märchenwinkel, mit den Augen der Sagengestalten. So habe ich ihn noch selbst erlebt – mit leisem Witz und einem sanften Lachen. "
Dieser Wesenszug äußerte sich nicht zuletzt in Selbstironie der allerfeinsten Art. So arbeitete die Frau Pierre Klossowskis in der Pariser Zensurbehörde, fand sich dabei auch mit Büchern ihres Mannes konfrontiert. Das übersetzte der Künstler in ein Bild, auf dem die halbnackte Roberte am Schreibtisch von schemenhaften Gestalten bedrängt wird. Wie immer ist die Zeichnung ungelenk und ohne Rücksicht auf die Zentralperspektive ausgeführt, ganz bewusst, sagt Alfred Fischer:
" Wo er draufschreibt auf Französisch "Klossowski der Ungeschickte". Das ist Roberte, die in der Zensurbehörde arbeitet, sie wird verfolgt von den Geistern, die sie zensuriert. Wie diese Figürchen aus der Schraffur, aus der Schattierung herausgearbeitet werden, das ist einfach wunderbar."
Service:
Pierre Klossowski "Gespräche ohne Worte", Ausstellung Museum Ludwig, 22.12. bis 18.3.2007.