Dirk von Gehlen: "MEME. Digitale Bildkulturen"
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2020
80 Seiten, 10 Euro.
Tilman Baumgärtel: "GIFS. Digitale Bildkulturen"
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2020
80 Seiten, 10 Euro
Visuelle Botschaften im Internet
Die Kommunikation verändert sich durch das Internet in vielfältiger Weise und wird in zwei neuen Büchern genauer analysiert. © Mehmet Ali Ozcan/ Anadolu Agency/picture-alliance
Ein Bild sagt mehr als tausend Worte
52:33 Minuten
Gifs und Meme haben unsere Kommunikation im Netz massiv verändert. Die digitalen Bildformate dienen der schnellen Unterhaltung. Zwei Bücher beschäftigen sich mit der Frage, ob sie daneben auch politisch polarisieren.
Gifs und Meme sind fester Bestandteil unserer Kommunikation in der digitalen Welt. Oft witzig und kreativ, nehmen sie vielfach Bezug auf aktuelles Zeitgeschehen. Doch sie können auch diffamierend sein und bösartigen Spott transportieren.
Wie verändern Gifs und Meme die Netzkultur? Kann man die Internetphänomene mit einer eigenständigen Sprache vergleichen? Und wenn ja – wer spricht sie?
In der Reihe "Digitale Bildkulturen" (Wagenbach Verlag) sind zwei neue Bände zu diesen Fragen erschienen: "MEME", geschrieben von Dirk von Gehlen, Journalist und Social-Media-Experte der "Süddeutschen Zeitung" und "GIFS", Autor ist der Medienwissenschaftler Tilman Baumgärtel.
Bei einer Veranstaltung im "Kindl-Zentrum für zeitgenössische Kunst" in Berlin diskutierten die Autoren über die Schnittmengen und Unterschiede von Gifs und Meme – und deren Einfluss auf die sozialen Medien.
Neuer Wein in alten Schläuchen
Es ist das Prinzip der Neuschöpfung: Bilder werden aus ihrem ursprünglichen Kontext gerissen und in einen anderen gestellt – plötzlich erzählen sie eine ganz neue Geschichte. Ist sie gut, geht sie im Handumdrehen viral. Millionenfach im Internet reproduziert, wird ein Meme so selbst zur Kunstform.
Dirk von Gehlen sieht in dem beliebten Format die Mutter der neuen Bildkulturen: "Ich würde Meme vielleicht als die Grund-Grammatik der Web-Kommunikation verstehen, also sozusagen als das übergeordnete Muster. Und Gifs sind eine der schönsten Sprachen in dieser Grammatik, eine besonders schöne Spielart. "
Während das Meme mit einem kurzen, prägnanten Text versehen ist und "unbewegt" als Einzelbild wirkt, sind Gifs kleine Bildsequenzen. "Diese Bildquellen", erklärt Tilman Baumgärtel, "sind häufig aus Filmen, Fernsehserien, aus Amateurvideos und Talkshows. Und sie werden dann als Loop unendlich wiederholt."
In Abgrenzung zu den Meme hält Baumgärtel Gifs für ambivalenter: "Das Meme hat ja durch seine Beschriftung eine relativ klare Zuschreibung. Ich würde sagen für den kommunikativen Einsatz ist der große Unterschied, dass Gif-Bilder vieldeutiger sind als das Meme mit seinem Bedeutungs-Stempel drauf."
Jens Spahn, wie er den Impfstoff sucht
Vielfach dienen die Bilder im Netz der schnellen, einfachen Unterhaltung. Doch mehr und mehr werden die Formate auch politisch eingesetzt. Durch die Neuschöpfungen entstünden, sagt Dirk von Gehlen, "Kommentierungen, vergleichbar mit Meinungsäußerungen wie man sie früher vielleicht auf einem Plakat durch die Straßen getragen hat".
Als Beispiel beschreibt er das bekannte Gif "Confused Travolta", in dem man eine kurze Szene aus "Pulp Fiction" sieht: John Travolta blickt sich ratlos und irritiert um. "Wenn ich dieses Gif heute poste mit: Jens Spahn, wie er den Impfstoff sucht – ist es auf einmal ein politischer Kommentar. Durch die Form von digitaler Kommunikation kann man sich auf diese Weise politisch sich zu Wort melden."
Instrumente der Ausgrenzung
Genau dieser Punkt kann jedoch problematisch werden. Gifs und Meme als neue Formen der politischen Teilhabe stehen auch bei Extremisten hoch im Kurs. Das Netz ist überflutet von diffamierenden, sexistischen und ausgrenzenden Bildbotschaften.
Tilman Baumgärtel sagt, er wolle keinen generellen Rassismus unterstellen, doch es gäbe ganz klar Diskriminierungen, gerade bei den Gifs: "Was schon auffallend ist und auch kritisiert wurde, ist, dass viele von den beliebtesten Gifs schwarze Leute zeigen. Weil die angeblich so ausdrucksstark reagieren und gestikulieren. Und da hat es auch schon den Vorwurf des ‘Blackfacings‘ gegeben."
Zeig mir dein Emoji
Längst haben Gifs und Meme auch identitätsstiftende Aspekte. Oft geht es nicht mehr darum, was man kommuniziert, sondern mit wem man die Botschaften teilt. Es handele sich dabei, sagt Dirk von Gehlen, um eine Form der Referenz-Kultur. Die müsse man beherrschen, um sich von anderen abzugrenzen. "Das zentrale Momentum ist der Moment, wo man versteht, was gemeint ist. Das ist, wie wenn man ein Witz versteht. In der Sekunde fühlt man sich einer Gruppe zugehörig oder nicht."
Beim gegenseitigen Bildertausch versichert sich die Peergroup ihrer selbst. Und, so von Gehlen, produziere auf diese Weise Distinktion: "Das war früher nur möglich, wenn ich meine Bücherwand zeigen konnte, wenn jemand bei mir zu Hause zu Besuch war. Heute kann ich das durch das richtige Gif, das richtige Emoji, das richtige Meme im richtigen Zeitpunkt referenzieren. Und das hat sozusagen den Geist von guter, alter bürgerlicher Bildungskultur."
(tif)
Eine Wiederholung vom 21. März 2021.