Thomas Hampson, Bariton
Kinderchor "Gondwana Voices"
Rundfunkchor Berlin
Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin
Leitung: Vladimir Jurowski
Streik, Einsamkeit und Telefonansagen
Weil der Fürst seine Musiker nicht ziehen lassen wollte, komponierte Haydn 1742 eine Art Streik-Symphonie. Gustav Mahler thematisierte in "Ich bin der Welt abhanden gekommen" seine Einsamkeit. Und Brett Deans ließ sich von Warteschleifenmusik inspirieren.
Kurz vor Saisonende ein Konzert, das das "Loslassen" ins Programm geschrieben hat. Deutschlandfunk Kultur war erneut in der Berliner Philharmonie dabei, um eines der letzten Konzerte der Saison vom Rundfunk-Sinfonieorchester aufzuzeichnen.
Streik-Musik
Fürst Esterházy zog bei jeder Konzertsaison seine Musiker ins neue Schloss weitab der Wien-Metropole. Damit waren die Männer von ihren Familien getrennt. Man sehnte sich nach dem Wiedersehen, das im Jahr 1742 aber willkürlich vom Herzog herausgezögert wurde. Er wollte noch bleiben, die vertraglich vereinbarte Rückkunft der Musiker wurde nicht beachtet. Joseph Haydn macht diesem Ärger kongenial in der Musik Luft. Er ruft seine Musiker also nicht zum Streik auf, schreibt aber die Empörung als eine Art Programm in seine Sinfonie Nr. 45.
Fis-Moll - welch dunkle Tonart! Hier schon wird deutlich: Es ist etwas Ungemütliches in der Luft. Und im ersten Satz prallen dann auch zwei Themen unversöhnlich aufeinander: ein harsches, forderndes und ein bittend, flehendes. Haydn umgeht die musikalische Gewohnheit der Zeit, beide Themen im Laufe des Satzes miteinander zu verflechten. Die Fronten sind musikalisch gezogen und bleiben es auch. Im letzten Satz gar schreibt Haydn den Musikern vor, peu a peu die Pulte zu verlassen. Ganz zum Schluss bleiben nur der Dirigent und zwei drei Musiker vom Orchester übrig. Deutlicher konnte Haydn seine Meinung dem Fürsten nicht überbringen. Der versteht und lacht und erlaubt endlich die Rückreise der Musiker.
Liebeslied und Entrückung
Gustav Mahler hatte ein Faible für die Gedichte von Friedrich Rückert, dessen "Kindertotenlieder" er zum Beispiel nicht mehr aus den Händen legen konnte, bis er für diese dunklen Zeilen ein musikalisches Pendant geschrieben hatte. Aber auch andere Gedichte zogen ihn in Bann. Unter anderem "Liebst du um Schönheit", das er seiner jungen Frau Alma widmete, die die Rührung darüber fast übermannte, wie sie im August 1902 schreibt. In "Ich bin der Welt abhanden gekommen" erkannte Mahler sich selbst. Es umfasst die Einsamkeit der menschlichen Seele, die Mahler trotz der Nähe zu Alma immer wieder umfing und umringte. Thomas Hampson ist eine perfekte Besetzung, er gilt als Fachmann fürs Romantische, für Schubert und Mahler.
Brett Dean ist "Composer in Residence" des Orchesters für diese ausklingende Saison. Dean komponierte sein Werk "Vexations and Devotions" auf eigene Texte, die voller sinnbefreiter Floskel sind, die unsere technisierten und werbeüberfluteten Umgebungen symbolisieren. Seine "soziologische Kantate" zeichnen mit Gesangsstimmen aller Generationen anonyme Telefonansagen, reagieren auf Warteschleifenmusik, kämpfen mit Besetzzeichen und versuchen, hinter die glatten Bilder der sozialen Medien zu schauen. Der echte Kontakt zueinander wird in Deans Texten nicht möglich.
(cdr)
Aufzeichnung des Konzertes vom 26. Mai 2019 in der Philharmonie Berlin
Joseph Haydn
Sinfonie Nr. 45 fis-Moll
"Abschieds-Sinfonie"
Sinfonie Nr. 45 fis-Moll
"Abschieds-Sinfonie"
Gustav Mahler
Fünf Lieder nach Gedichten von Friedrich Rückert für Singstimme und Orchester
Fünf Lieder nach Gedichten von Friedrich Rückert für Singstimme und Orchester
Brett Dean
"Vexations and Devotions" für Kinderchor, gemischten Chor und großes Orchester
"Vexations and Devotions" für Kinderchor, gemischten Chor und großes Orchester