Vladimir Sorokin: "Manaraga"

Kulinarische Bücherverbrennung

Der Schriftsteller Vladimir Sorokin hat graue Haare und einen grauen Bart, er schaut über die Kamera hinweg in die Ferne.
Für seine Arbeit erhielt Vladimir Sorokin 2009 den Maxim-Gorki-Preis © Itar-Tass/Imago
Von Tobias Wenzel |
In Vladimir Sorokins neuem Buch klaut eine Gang Weltliteratur aus Bibliotheken, um sie als Brennmaterial für dekadente Grill-Parties zu benutzen. Klingt nach makabrer Groteske, hat aber einen ernsten Hintergrund: In Russland verbrannten Putin-Fans Sorokins Werke.
Zur Mittagszeit im voll besetzten Café des Berliner Literaturhauses. Vladimir Sorokin hat nur Mineralwasser bestellt, während die meisten anderen Gäste auch etwas essen. Es gibt unter anderem "Nürnberger Rostbratwürstchen mit Kartoffel-Gurkensalat".
Nach der Lektüre von Sorokins neuem Roman "Manaraga. Tagebuch eines Meisterkochs" muss man sich einfach vorstellen, dass die Rostbratwürstchen auf einem Grill zubereitet worden sind, für den die Köche seltene Ausgaben bedeutender Romane als Brennmaterial verwendet haben.
"Book'n'Grill. Alles ist möglich in Zukunft", sagt Sorokin und lacht.
"Jetzt mal ganz im Ernst: In einigen Jahrzehnten wird es das gedruckte Buch nur noch in Museen und Bibliotheken geben. Das Ausgangszenario in meinem Roman ‚Manaraga‘ ist also durchaus realistisch. Es ist denkbar, dass wir hier im Café des Literaturhauses im Jahr 2040 sitzen und ich mir ein Steak bestelle, das über einem verbrennenden Exemplar von ‚Im Westen nichts Neues" von Erich Maria Remarque gebraten wird."

Weltliteratur als Brennmaterial für dekadente Grill-Parties

Der Roman ist mindestens 50 Jahre in der Zukunft angesiedelt. In Europa hat es islamische Revolutionen und Kriege gegeben. In der Nachkriegszeit jettet Géza, wie wir aus seinen Tagebuchaufzeichnungen erfahren, als exklusiver Mietkoch um die Welt. Neue Bücher werden wegen der Digitalisierung schon lange nicht mehr gedruckt.
Géza und seine Kollegen lassen Erstausgaben der Weltliteratur aus Bibliotheken, Antiquariaten und Privathäusern stehlen, um sie als Brennmaterial für dekadente Grill-Events zu verwenden. Géza ist auf russische Literatur spezialisiert.
"Feurio! […] Wenn du ein Buch wirklich liebst, wird es dir alle Wärme spenden, die in ihm wohnt. […]", schreibt Sorokin in seinem neuen Buch. "Und es wird mir nie und nimmer einfallen, ein gutes Steak über einem zweitrangigen Autor – sagen wir: Gorki – zu grillen."
Géza und seinen Kollegen drohen Gefängnisstrafen. Auch die Glaubwürdigkeit der ganzen Kochzunft, die nur einzigartige Bücher verbrennt, steht auf dem Spiel: Ein Gegner klont in einer Höhle des Berges Manaraga im Ural mit einer Molekularmaschine die Erstausgabe von Nabokovs Roman "Ada" am Fließband, um teuer aussehendes Brennmaterial billig zu produzieren.

Mit "Manaraga" zündet Sorokin ein Feuerwerk schräger Einfälle

Hightech-Implantate in Hirn, Ohr und Haar warnen wiederum Géza vor Gefahren, liefern enzyklopädisches Wissen und sorgen für sein allgemeines Wohlempfinden. Ein Feuerwerk schräger Einfälle, das letztlich in Deutschland gezündet wurde:
"Die Idee ist mir in einem italienischen Restaurant in Charlottenburg gekommen. Ich habe mit einem befreundeten Slawisten aus Kalifornien zusammengesessen. Wir haben über die Szene in meinem Roman 'Der Tag des Opritschniks' gesprochen, in der Bücher verbrannt werden. Von unserem Tisch aus konnten wir die Küche und einen Steinofen sehen, in dem Feuer brannte. Da habe ich gedacht: Eigentlich schade, dass beim Verbrennen von Büchern so viel Wärme verloren geht."

In Russland verbrannten Putin-Fans Sorokins Bücher

Wider Erwarten trägt die Idee die ganzen 250 Seiten. Auch, weil Sorokin viele kleine, wunderbar absurde Geschichten in der großen erzählt und einige der stinkreichen Kunden der Buch-Grill-Veranstaltungen als Möchtegern-Literaten und esoterische Spinner entlarvt, sodass man die Gegenwart in der Zukunft zu erkennen meint.
Als Kriminelle sind Géza und seine Kollegen in der sogenannten Großen Küche mafiös organisiert. Wer sich nicht an den Kodex hält, wird schnell liquidiert. Die Leiche eines Verräters wird einbetoniert.
Fragt sich, ob Vladimir Sorokin, der im Roman auch von mordenden christlich-orthodoxen Fundamentalisten spricht, nicht fürchtet, selbst ermordet oder vergiftet zu werden?
"Ich weiß schon, dass es in Russland für Schriftsteller nur zwei Möglichkeiten gibt: Man hat Angst oder schreibt – tertium non datur."
Vor einigen Jahren verbrannte eine regierungstreue russische Jugendorganisation Sorokins Bücher öffentlich. Beim Schreiben seines neuen Romans habe er nicht daran gedacht, sagt er nun im Café des Berliner Literaturhauses, wo es nach Mittagessen riecht.
Bleibt eigentlich nur noch eine Frage an den Hobbykoch Sorokin: Wenn er selbst über Büchern kochen müsste, welche Werke würde er da wählen? Die Antwort: Er würde über seinen eigenen Büchern grillen.

Vladimir Sorokin: "Manaraga. Tagebuch eines Meisterkochs"
Aus dem Russischen von Andreas Tretner
Kiepenheuer & Witsch, 2018
251 Seiten, 20 Euro

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