Vladimir Sorokin

Psychogramm der Putin-Ära

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Der russische Autor Vladimir Sorokin, aufgenommen im Garten des Literarischen Colloquiums in Berlin am Wannsee © picture alliance / dpa / Stephanie Pilick
Von Tomas Fitzel |
Vladimir Sorokins Roman "Der Tag des Opritschniks" von 2006 erscheint im Rückblick weniger als durchgeknallte Vision, vielmehr als realistische Prophezeiung der heutigen russischen Verhältnisse. Jetzt wurde in Berlin eine Ausstellung mit Grafiken zu diesem Roman eröffnet.
Russland lebt in selbst gewählter Isolation, Künstler und Intellektuelle sind entweder im Ausland oder im Gefängnis, ein zarenähnlicher Herrscher steht an der Staatsspitze, dessen Macht eine skrupellose Geheimorganisation absichert.
Unterstützt wird dieser Herrscher von der orthodoxen Kirche. Europa hält man für dekadent und schwach, das man durch die Drosselung der Gaslieferungen jederzeit in Schach halten kann. Was fast wie eine politische Analyse Russlands der Gegenwart klingt, wurde bereits vor neun Jahren als Roman, als wilde Antiutopie mit dem Titel "Der Tag des Opritschniks" von dem Schriftsteller Vladimir Sorokin erdacht.
"Damals ich hab Tag der Opritschniks geschrieben und jetzt hab ich das Gefühl, dass es ist ein Buch über die Gegenwart. Es ist Wahrheit."
Was Michel Houellebecq für Frankreich ist, das ist Vladimir Sorokin für Russland, ein Mann der jahrelang die russische Öffentlichkeit provozierte und für Skandale sorgte.
"Ich schreibe die Romane, die Erzählungen, die Drehbücher und das ist mein Schicksal, aber ich lebe in Russland, in unserem Land es war immer ziemlich komplizierte Verbindung zwischen Schriftsteller und die Macht. Und ich bin bereit zum Alles. Selbstverständlich."
Sanfter Menschen, mit leiser Stimme
Pornographie und Obszönität warf man ihm vor, er musste sich vor Gericht verteidigen, sein Buch "Der himmelblaue Speck" wurde 2002 öffentlich verbrannt und von Putins Jugendorganisation vor dem Moskauer Bolschoi-Theater in eine gigantische Pappmascheetoilette geworfen. Überrascht trifft man dann auf einen sanften Menschen, der mit leiser Stimme sehr langsam spricht. Nicht nur auf deutsch, sondern ebenso in seiner Muttersprache. Inzwischen ist es auch ruhiger geworden um ihn.
2010 wurde er sogar mit dem Maxim-Gorki-Preis ausgezeichnet für seine Verdienste um die russische Sprache, die bei ihm unglaublich sinnlich, farbenfroh und bildhaft ist.
"Das ist so eine Literatur, wo man jedes Wort illustrieren möchte, weil jedes Wort sehr stark, sehr schön ist, da kommen die Bilde so einfach auf, da musste ich mich erst begrenzen, was ich nicht zeichne."
Jaroslav Schwarzstein, knapp vierzig Jahre alt, ist Grafiker, studierte Musik im Moskau und Kunst in Hannover, wo er seit 20 Jahren lebt. 34 großformatige Illustrationen schuf er zu Sorokins beiden Romanen "Der Tag des Opritschniks" sowie dessen Fortsetzung "Der Zuckerkreml", den er in seiner ersten Zeichnung ganz wörtlich nimmt, als Zuckergusswerk, das ein Frauenkopf ableckt.
"Das ist das erste Projekt in diesem Stil. Ich habe diese Bilder, ich würde nicht sagen, dass es Illustrationen sind, das sind Illuminationen zu einem Buch. Das ist ein Spagat, wo ein Bein ist in der weiten Vergangenheit und das andere Bein ist in der unklaren Zukunft."
So wie Sorokin in diesen Romanen das Zeitalter Iwans des Schrecklichen mit der imaginären Zukunft von 2028 vermengt, mischt auch Jaroslav Schwarzstein in seinem Bildstil mittelalterliche Elemente in der Kalligrafie, altkyrillische Schriftzeichen, am Anfang jedes Textes ein verziertes Initial, seine Zeichnungen wiederum erinnern an die schon klassischen französischen Comics von Künstlern wie Moebius oder Enki Bilal. Auch in der Verbindung von Gewalt und Sex. So ist auf einem Bild eine Vergewaltigungsszene zu sehen.
"Das sind Opritschniks und die sind bei der Arbeit, das ist ihre harte Arbeit, die sie jeden Tag machen müssen, das machen sie ausgezeichnet, sie haben ihre Sitten, wie sie das machen."
Zur Zeit Iwans des Schrecklichen waren die Opritschniki eine Art private Armee des Zaren, die Furcht und Schrecken verbreiteten. Ihr Zeichen war ein Besen und ein Hundekopf. Und so sieht man auf einer Zeichnung die feuerroten PS-Boliden der Opritschniki mit einem Hundekopf auf dem Kühler und einem Besen als eine Art Auspuff. Doch während im Roman "Der Tag des Opritschniks" beispielhaft gewissermaßen ein Arbeitstag des Söldners Komjagin geschildert wird, fehlt in diesen Bildern die Fokussierung auf einen Helden, eine Hauptfigur.
"Der Hauptheld ist ein neues Mittelalter."
So Vladimir Sorokin.
"Wir haben vier Jahre zusammengearbeitet und das ist eine lange Geschichte."
Enge Zusammenarbeit ist nicht zufällig
Dadurch entstand etwas Neues, Eigenständiges, das eher ein atmosphärisches Grundmotiv wiedergibt und weniger den Inhalt. Auch die beigefügten kalligrafisch gestalteten Texte sind nicht einfach Zitate aus den Romanen, Sorokin schrieb sie extra für die Zeichnungen neu. Diese enge Zusammenarbeit ist nicht zufällig, denn Sorokin begann selbst als Buchgestalter und Künstler, bevor er sich ab den 90er-Jahren ganz dem Schreiben zuwandte.
"Für mich ist das eine ontologische Frage. Ich schreibe oder ich male und es gibt keine Symbiose."
Das ist wie Wasser und Feuer. Was ist der Autor? Das Feuer oder das Wasser?
"Heute wahrscheinlich das Wasser aber in Zukunft - alles ist möglich. Jetzt mache ich eine Pause und ich male und als Schriftsteller habe ich Urlaub."
Sorokin besitzt mittlerweile eine Wohnung in Berlin. Dort entstand sein zwölfteiliger Zyklus von Ölbildern: die neue Anthropologie. Im Herbst erscheint dann sein jüngster Roman "Telluria" auf Deutsch.
"Es ist ein Roman über Europa und die europäische Ängste."
Aber Sorokin redet ungern über seine neuen Bücher, so wie er insgesamt sehr sparsam mit seinen Worten umgeht.
Informationen zur Ausstellung in der Berliner daadgalerie -> hier
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