Vögelzählen als Hobby

Von Jochen Spengler |
Für viele Briten ist das letzte Januarwochenende stets fest verplant: Dann beobachten und zählen sie Vögel im heimischen Garten. Dazu ruft die größte europäische Vogelschutzorganisation jedes Jahr auf. Ein paar Teilnehmer können sich auch für die restlichen Monate keine schönere Freizeitbeschäftigung vorstellen.
- "”Ich sehe zwei Kohlmeisen.""
- "Jetzt haben wir drei zusammen."
- "Ich habe hier drei und wieviel hast Du?"
- "Ist gerade weg, aber ich glaube, wir können vier festhalten…"

Für die zwei Erwachsenen und drei Kinder ist es offenkundig spannend wie ein Elfmeterschießen. Sie sitzen in einer Reihe in dem Wintergarten und starren - mit Ferngläsern bewaffnet - nach draußen in einen kurzen, aber breiten Garten.

Dort laben sich Meisen, Stare und Finken an den mehr als zwei Dutzend Tränken Futtersäulen und -häuschen.

- "Hier sind vier Blaumeisen...."
- "Und ich habe hier vier, macht acht."
- "Wir schneiden gut ab bei den Blaumeisen."

Die Briten sind wie an jedem letzten Januarwochenende aufgerufen zum Big Garden Bird Watch, zum großen Gartenvögel-Beobachten und -Zählen.

Janet Gilbert lässt sich nicht lange bitten:

"Weil ich besessen bin von Vögeln. Ich kann nicht aufhören, sie zu beobachten. Das ist ein Zwang, den ich wirklich genieße."

Janet ist 65, klein, mollig und mit Kupferrot gefärbten Haaren. Sie hat heute Graham, ihren Freund aus der Vogelgruppe eingeladen und drei zehnjährige Nachbarmädchen. Alle machen Strichlisten. Notiert wird die höchste Zahl jeder Vogelart, die zur selben Zeit im Garten zu sehen war.

Welche finden Abby, Amelia und Sophie am schönsten?

- "Ich mag Blaumeisen und Stieglitze."
- "Blaumeisen und Rotkehlchen."
- "Ich mag Spatzen und Rotkehlchen."
- "Könnt Ihr schon alle erkennen?"
- "Nicht alle – Finken, Blaumeisen, Elstern."
- "Da ist ein Buntspecht hier im Baum rechts."

Wohl nirgendwo in Europa gibt es so viele Vogelfreunde wie in Großbritannien. Die "Royal Society for the Protection of Birds (RSPB)" ist die größte europäische Vogelschutzorganisation. Frauen gründeten sie 1889 aus Protest gegen die Verwendung von Vogelfedern in der Modeindustrie. Seit 30 Jahren bittet die RSPB ihre eine Million Mitglieder zweimal im Jahr, eine Stunde lang die Vögel in Gärten, Balkons oder Parks zu zählen. Bis zu einer halben Million Menschen machen mit.

Es sei zwar keine wissenschaftliche Erhebung, so sagt ihr Funktionär Tim Webb, aber:

"Wir zählen die Vögel, weil es ein unglaublich hilfreiches Spiegelbild der Gesundheit unserer Umwelt ergibt. Die jährlichen Zahlen allein bringen nicht sehr viel, aber wenn wir die Zahlen über die 30 Jahre hinweg nehmen und in einer Grafik betrachten, dann können wir sehen, welche Arten abnehmen oder zunehmen."

So habe man beispielsweise herausgefunden, dass die Zahl der Haussperlinge über die letzten drei Jahrzehnte um drei Viertel zurück gegangen ist. Ähnliches gilt auch für den Star.

"Auch wieder ein gewöhnlicher Gartenvogel. Wir hatten davon so viele, dass die, die sich auf den Zeigern von Big Ben niedergelassen haben, die Uhr zum Stillstand gebracht haben. Aber heute sieht man kaum noch einen Star in London."

Jedenfalls, wenn damit die Vogelart gemeint ist. Tim Webb versteht sich selbst eher als Umweltschützer, denn als fanatischer Vogelkundler, aber er weiß:

"Birdwatching ist ein riesiges Hobby in Großbritannien. Es hat seine Extreme. Es gibt Leute, die würden bis ans Ende der Welt gehen, um das seltenste Exemplar zu entdecken und dann gibt es die Leute, die einfach nur aus ihrem Küchenfenster schauen und bewundern, was sie dort sehen."

Die Rentnerin Janet gehört zweifellos zur erst genannten Spezies. Sie war schon auf den Galapagos- und Falkland-Inseln, in Costa Rica, Ecuador - mitunter ein gefährliches Hobby, sagt sie:

"Manche Vögel sind aggressiv. Ich bin schon von Schmarotzerraubmöwen und Silbermöwen angegriffen worden und außerdem sind Birdwatcher so auf die Büsche oder auf den Himmel über ihnen konzentriert, dass wir dazu neigen, öfters hinzufallen."

Ehemann Clive, der während des Vogelzählens Tee und Kekse serviert, hält seine Frau, die täglich um 5 aufsteht, um Vögel zu beobachten, für ein bisschen verrückt. Und ihre Metallbrille verleiht ihr etwas Eulenhaftes. Ihr Spitzname:

"I am called the Pygmy Tyrant.”"

Der kleinwüchsige Tyrann, der den Vogelfreunden in der örtlichen RSPB-Gruppe den Lunch nicht gönnt, weil man ja in der Zeit auch Vögel beobachten könnte.

Natürlich ist sie auch diejenige, mit der man in Rivalität steht, so gibt Freund Graham zu, weil sie meistens die Jahreslisten anführt, auf denen alle gesichteten Vogelarten notiert werden. 111 Vogelarten seit dem 1. Januar, sagt sie stolz.

Und dann gibt Janet, nach einer Stunde intensiven Beobachtens, das Zählergebnis für ihren Garten bekannt.

""Wir haben maximal zehn Stare zur selben Zeit gesehen, acht Blaumeisen, nur zwei Grünfinken, was ungewöhnlich ist, sechs Distelfinken, zehn Spatzen, eine Heckenbraunelle, drei Amseln, drei Kohlmeisen, zwei Rotkehlchen, eine Elster, zwei Ringeltauben, eine Türkentaube, ein Buntspecht, zwei Buchfinken und eine Rabenkrähe."


Programmtipp: Die Große Vogelschau im Deutschlandradio Kultur vom 7.-12. Mai 2012 Da fliegen sie wieder!