Völker Europas, sprecht Englisch!

Von Andreas Rinke |
Mit einem Heer von Dolmetschern und Milliarden an Steuergeldern pflegt die EU das Sprachenwirrwarr und festigt so das alte nationalstaatliche Denken. Zeit, dass sich das ändert, findet der Journalist Andreas Rinke. Wir Europäer müssen uns endlich angewöhnen, in Englisch miteinander zu kommunizieren.
Als Joachim Gauck im März über Europa sprach, hakten zynische Hauptstadtjournalisten das Gesagte schnell ab. Wieder keine "Ruck"-Rede, scheinbar keine Sensation, keine kritischen Worte über den Euro.

Dabei hatte er einen echten Sprengsatz in seinen Text eingebaut. Denn kurzerhand räumte der erste Bundespräsident aus Ostdeutschland die kulturelle Basis der europäischen Einigung ab. Sie werde, so war es Konsens nach dem Zweiten Weltkrieg, nur als ein Europa der Vaterländer gelingen, also beispielsweise, wenn möglichst viel Deutsche Französisch und möglichst viele Franzosen Deutsch lernen.

Doch dem widersprach Gauck mit dem unbefangenen Blick des politischen Seiteneinsteigers. Er gibt der europäischen Einigung erst eine Chance, wenn alle Europäer endlich eine gemeinsame Sprache lernen: nämlich Englisch.

Und er hat Recht. Wirtschaftlich, rechtlich und politisch, vor allem aber kulturell müssen die Völker des Kontinents aus der Enge nationaler Grenzen ausbrechen und akzeptieren, wie sehr sich die Welt ändert.

Es scheitern ja nicht nur gutgemeinte Sprachprogramme der Schulen für Französisch oder Spanisch, sondern es scheitert auch die EU-Administration in Brüssel. Sie wird das absurd große Dolmetscherheer noch einmal vergrößern, wenn Kroatien der EU am 1. Juli als 28. Mitglied beitritt. Mit Milliarden an Steuergeld pflegt die Union auf diese Weise das Sprachenwirrwarr und festigt das alte nationalstaatliche Denken.

Dabei schreiben und sprechen die Mächtigen hinter den Kulissen längst Englisch. Wenn die engen Partner Deutschland und Frankreich verhandeln, liegen englische Texte vor ihnen auf dem Tisch. Wenn sich Angela Merkel und Francois Hollande ohne Dolmetscher abstimmen wollen, reden sie miteinander Englisch.

Einige französische Minister beherrschen nur die eigene Sprache
Sie wechseln ausgerechnet in die Sprache des integrationsfeindlichsten aller Mitgliedstaaten. Die Ironie zeigt, worum es geht - um einen Mentalitätswandel, der hilft, auch im übertragenen Sinne eine gemeinsame Sprache zu finden.

Sie hätte nicht nur Kostenvorteile. Sie würde endlich eine Generation von Politikern in Amt und Würden bringen, die eine Vorstellung davon hat, dass es um sie herum eine globalisierte Welt gibt. Mit einigem Entsetzen hatten deutsche Minister feststellen müssen, dass auch im Jahr 2013 einige ihrer französischen Kollegen nur ihre eigene Sprache beherrschen.

Das entscheidende Argument aber ist, dass Informationen direkt ausgetauscht werden könnten, ohne zuvor mehrfach übersetzt werden zu müssen. Das ist viel zu aufwendig in einer schnelllebigen Zeit - und auch absurd, wenn beispielsweise Berichte über unseren engsten Partner über eine dritte Sprache vermittelt werden, oft von Personen, die weder das eine noch das andere Land wirklich kennen. Gerade in der Finanzkrise zeigte sich, dass dies enorme Missverständnisse erzeugt hat.

Die Europa-Sprache Englisch würde zudem Kontrolle und Debatte stärken, ja so etwas wie eine europäische Öffentlichkeit schaffen. So ungewöhnlich es sich also auch anhören mag: Wir Europäer müssen uns angewöhnen, in Englisch miteinander zu kommunizieren.

Auch ein europäischer Arbeitsmarkt kann nur so funktionieren. Niemand erwartet, dass ein junger griechischer oder spanischer Arbeitsloser Deutsch spricht. Aber dass er oft kein Englisch kann, zementiert nur seine mangelnde Mobilität und die Arbeitslosigkeit.

Am Ende stehen zwei vielleicht verblüffende, paradoxe Erkenntnisse: Ausgerechnet der Siegeszug des Englischen war eine Folge der europäischen Integration, mit der sich vor allem Franzosen und Deutsche behaupten wollten. Und die gemeinsame Sprache kann mehr zu einer wirklich gelebten Union beitragen als die gemeinsame Währung.

Die eigene nationale Kultur wird dabei übrigens nicht untergehen – auch nicht durch die in Deutschland mittlerweile angebotenen, in Frankreich aber immer noch bekämpften englisch-sprachigen Universitätsstudiengänge.

Diese Erkenntnis hat Joachim Gauck vorwegnehmen wollen. Doch sein Publikum scheint es überhört zu haben.

Andreas Rinke, Jahrgang 1961, ist ausgebildeter Historiker und hat über das Schicksal der französischen "Displaced Persons" im Zweiten Weltkrieg promoviert. Er hat als politischer Beobachter bei der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" und dem "Handelsblatt" gearbeitet. Heute ist er politischer Chefkorrespondent der internationalen Nachrichtenagentur "Reuters" in Berlin.