Völkermord an Armeniern

Maxim-Gorki-Theater baut die Arche

Schauspielerin Ruth Reinecke in "Musa Dagh — Tage des Widerstands" am Maxim Gorki Theater
Schauspielerin Ruth Reinecke in der Inszenierung "Musa Dagh - Tage des Widerstands" unter der Regie von Hans-Werner Kroesinger am Maxim Gorki Theater Berlin. © imago stock&people
Von Michael Laages |
Ein grandioser, spielerisch mitreißender Theaterabend ist das Musa-Dagh-Projekt im Maxim-Gorki-Theater nicht. Aber es gelangt an den Punkt, an dem die historischen Ereignisse ein Haltung im Heute einfordern. Und das ist schon viel.
Vor 100 Jahren, bald nach Kriegsausbruch, wurde im osmanischen Reich der Türken die seit Ende des 19. Jahrhunderts betriebene Vertreibung und Ausrottung des armenischen Volkes wieder aufgenommen. Und die Weigerung der heutigen Türkei, die Verantwortung für den Massenmord damals als Schuld auf sich zu nehmen, gehört zu den haltbaren Skandalen aktueller europäischer Politik.
Viele Staaten haben die Vorgänge damals inzwischen deutlich verurteilt und dafür auch den erst seit Beginn der 50er Jahre rechtsfesten Begriff des Völkermords (Genozid) benutzt. Deutschlands Regierung weigert sich bislang, sich dieser Verurteilung anzuschließen – mit der formalen Begründung, die UN-Definition von "Genozid" gelte nicht rückwirkend. Damit bleibt die deutsche Haltung dem türkischen Partner gegenüber schwach – obwohl alle Daten und Fakten auf dem Tisch liegen und auch die damalige deutsche Beteiligung an der Vertreibung der Armenier unbestritten ist.
Unter dem Motto "Es schneit im April" erinnert das Berliner Maxim-Gorki-Theater bis zum 24. April, dem Tag der ersten Verhaftung armenischer Intellektueller durch die türkische Kriegs-Junta vor 100 Jahren, an das Drama. Dokumentar-Spezialist Hans-Werner Kroesinger hat die Veranstaltungsreihe eröffnet.
Grundlage bietet Franz Werfels Roman "Die 40 Tage des Musa Dagh"
Er nutzt dafür Franz Werfels legendären Roman "Die 40 Tage des Musa Dagh", der von der Flucht, vom Widerstand und vom Überleben der Einwohnerschaft einiger Dörfer am Fuße des Mosesberges erzählt, des Musa Dagh. Das Bergmassiv, bis zum 1400 Meter hoch, liegt direkt am Mittelmeer, südlich der heutigen Stadt Iskenderun und im militärisch-administrativen Einzugsgebiet der syrischen Stadt Aleppo.
5000 Menschen zogen auf den Bergsattel des Musa Dagh, um sich von dort gegen türkische Truppen zu verteidigen, die die Vertreibung des armenischen Volkes auf allerhöchsten Befehl hin zu exekutieren hatten. 1933 veröffentlicht, nimmt Werfels voluminöser 1000-Seiten-Roman hellsichtig die von den Nazis betriebene Vernichtung des deutschen und europäischen Judentums vorweg. Das Buch war Lektüre im Warschauer Ghetto, dessen Bevölkerung sich ähnlich verzweifelt verteidigte wie die Armenier, und es zeigt auch deutliche Parallelen zum Partisanen-Aufstand im brasilianischen Canudos Anfang der 1890er Jahre.
Werfel beschreibt (unter blumiger Verwendung allerlei privater Heldengeschichten) vor allem Struktur und Aufbau strategischen Widerstands. Kroesinger lässt auf der Bühne (neben immens viel dokumentarischem Text aus Akten und amtlichen Mitteilungen sowie einiger wenigen, ein wenig wahllos sortierten Werfel-Passagen) eine Art Arche bauen. Tatsächlich bauten Überlebende in den 40er Jahren ein Erinnerungsschiff auf der Spitze des Musa Dagh; die 1980 putschenden Generale in der Türkei ließen das Mahnmal wieder abreißen. Drei Frauen und drei Männer aus dem Gorki-Ensemble bauen Planken und Schanzen ins Arche-Gerippe – und blättern derweil den Katalog der Kenntnisse über den Genozid an den Armeniern auf.
Deutsche Perspektive herrscht vor
Immer wieder herrscht dabei die Perspektive des reichsdeutschen Weltkriegspartners Deutschland vor – denn zwar wiesen Konsulate, der Botschafter sogar, und zahlreiche Vertreter von kirchlichen und anderen Hilfsorganisationen in aller Deutlichkeit auf die Unhaltbarkeit der anhaltenden Barbarei in den armenisch besiedelten Regionen hin, aber die Kritik auf den Kriegs-Alliierten Türkei erreichte nicht mal deutsche Zeitungen. Auch die wirtschaftliche Verstrickung war enorm – beim Bau der Bagdad-Bahn, bei Waffenlieferungen von Krupp aus Essen und Skoda aus Pilsen.
Aktenschränke, Regale und Ordner bevölkern zunächst die Bühne; und Kroesinger lässt auch eine Leinwand für Dia-Projektionen herein fahren, die dann aber nie benutzt wird – Dia-Positive von den Massakern sehen sich immer nur die Ensemblemitglieder selbst an. Ein bisschen zu deutlich zeigt diese Eröffnung, dass von den dramatischen Bildern des Genozids nichts zu sehen sein wird. Eine kleine Ausstellung im Gorki-Foyer hilft da weiter.
Kroesingers szenisches Material bleibt (wie fast immer bei ihm) vor allem verlesenes Papier; es menschelt nur in den wenigen originalen Werfel-Passagen - und in den Eindrücken, die die Mitspielerinnen und Mitspieler selber beim Lesen des Musa-Dagh-Wälzers entwickelten. Drei zentrale Werfel-Szenen bilden das Gerüst – Besuche des deutschen Pastors Johannes Lepsius im Kriegs- und Genozid-Gebiet. Im Gespräch mit Lepsius offenbart sich speziell der türkische Potentat Enver Pascha unüberhörbar als Hitlers Bruder im Geiste.
Ein grandioser, spielerisch mitreißender Theaterabend ist das Musa-Dagh-Projekt naturgemäß nicht. Aber es gelangt an den Punkt, an dem die historischen Ereignisse verbindliche Haltung im Hier und Jetzt und Heute einfordern. Mehr war nicht zu haben. Aber das ist schon viel.
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