"Die Täter geben gar nichts zu"
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Vor 27 Jahren begann in Ruanda der Völkermord an den Tutsi. Frankreich wird beschuldigt, mutmaßlichen Tätern geholfen zu haben, das Land zu verlassen. Ihnen sind Dafroza und Alain Gauthier auf der Spur.
Dafroza Gauthier steht vor einem Regal mit sorgfältig beschrifteten violetten und grauen Aktenordnern. Die sind voll von schriftlichen Zeugenaussagen. Die gebürtige Ruanderin und ihr Mann Alain haben sie von ihren regelmäßigen Besuchen aus Ruanda mitgebracht. Sie sind die Grundlage für die Ermittlungen gegen mutmaßliche Täter im Völkermord an den Tutsi. Diese in Frankreich ausfindig zu machen, sei nicht schwer, sagt die schlanke Frau.
"Die Verbrechen wurden nicht hinter verschlossenen Türen begangen. Sie fanden in aller Öffentlichkeit statt. Alle sahen es – und die Leute sagten danach: Dieser oder jener hat den Völkermord, in Kigali, in Butare oder einer anderen ruandischen Stadt begangen."
30 Klagen, drei Verurteilungen
Dafroza und Alain Gauthier suchen die Hauptverantwortlichen der Verbrechen. Über 30 Klagen haben sie in den letzten 20 Jahren bei der französischen Justiz eingereicht. Verurteilte gibt es bisher nur drei. Männer, die eher morden ließen, als selbst zum Mörder zu werden, und die sich unschuldig fühlen, sagt Alain Gauthier.
"Sie leugnen absolut alle Zeugenaussagen im Prozess. Wir sind für sie ein Verein von Denunzianten. Sie beschuldigen uns zum Beispiel, systematisch intellektuelle Hutu in Europa zu verfolgen. Sie geben gar nichts zu – bis zu dem Punkt, dass ihre Anwälte für einen Freispruch plädieren."
Die französische Justiz aber verhängte bisher drei lange Gefängnisstrafen. Es sind die größten Erfolge in der Arbeit der Gauthiers und für die Überlebenden des Genozids in Ruanda eine große Genugtuung.
In dem kleinen ostafrikanischen Land ist das Ehepaar mittlerweile bekannt – was die Arbeit erleichtert. Das Sammeln der Zeugenberichte wird mit der Zeit trotzdem schwieriger. Die Leute seien entmutigt, weil die Justiz in Frankreich in diesen Fällen nur langsam vorankäme, kritisieren die beiden. Zudem erlischt fast 27 Jahre nach dem Genozid die Erinnerung der Betroffenen. Zeugen versterben, manche wollen auch keine alten Wunden neu aufreißen. Dennoch, findet Dafroza Gauthier, gibt es noch genug Involvierte, die aussagen.
"Was die betrifft, die getötet haben: Viele von ihnen reden. Sie sind nicht damit einverstanden, dass sie im Gefängnis sind oder waren, obwohl sie die Befehle derjenigen ausgeführt haben, die sich jetzt in Frankreich aufhalten – all die großen Organisatoren und Planer des Genozids. Wer nichts sagt, sind die Ideologen. Sie glauben, sie haben nichts verbrochen, auch keine Leichen gesehen. Es ist ein bisschen wie bei den Nürnberger Nazi-Prozessen. Die Angeklagten sind wie undurchlässig für die Geschichte."
Beschimpfungen in der Schule
Dafroza Gauthier erinnert sich, wie bereits in ihrer Kindheit die Tutsi in Ruanda diskriminiert wurden – über Jahrzehnte hinweg gab es immer wieder Pogrome gegen die Volksgruppe.
In den Schulen wurden verächtliche Stereotype gezeichnet, Tutsi als Kakerlaken und Schlangen beschimpft, erzählt Dafroza. Sie verließ das Land in den Siebzigern, um in Belgien zu studieren, ging dann nach Frankreich, wo Alain und sie ein Paar wurden.
Ihr Mann, ein gebürtiger Franzose, hatte 1970 als Entwicklungshelfer in Ruanda gearbeitet. Besorgt beobachteten die gelernte Chemikerin und der Französischlehrer von Frankreich aus, wie 1990 in Ruanda der Bürgerkrieg ausbrach. Die Lage für die Tutsi im Land wurde immer gefährlicher. Die französische Regierung und der damalige Präsident François Mitterrand pflegten zu der Zeit enge freundschaftliche Beziehungen zum Regime in Ruandas Hauptstadt Kigali – eine Hutu-Regierung, in der mehr und mehr die Extremisten das Sagen hatten.
Alain zieht die Kopie eines Briefes vom Januar 1993 aus einem Schnellhefter. "An den Präsidenten der Republik" – ist er überschrieben. Gauthier fragte François Mitterrand darin anklagend: Wie kann Frankreich ein Regime unterstützen, das die elementarsten Menschenrechte mit den Füßen tritt? Die Antwort aus dem Elysée ein paar Tage später hat Gauthier auch noch schwarz auf weiß: Frankreich setze sich weiterhin für Menschenrechte und die Wiederherstellung des Friedens ein.
Hassbotschaften und Massengräber
Einen Monat vor Beginn des Genozids besuchte Dafroza Gauthier ihre Familie in Kigali. Zwei Wochen wollte sie bleiben.
"Nach einer Woche hat meine Mutter gesagt: Du musst abreisen. Du bist hier nicht sicher. Du hast deinen Ehemann und deine Kinder in Frankreich. Wir sollen hier nicht alle zusammen umkommen. Wir hatten uns verbarrikadiert. Ich bin in der Woche gar nicht rausgegangen. Kein Tutsi war mehr in Sicherheit. Es gab schon Morde, Festnahmen, Einschüchterungen. Das Radio sendete Hassbotschaften. Man hat Massengräber gegraben. Im Radio sagte man: Wir bereiten uns auf etwas vor."
Die Erinnerung daran verursache ihr manchmal Blackouts, sagt Dafroza Gauthier, aber manche Bilder bleiben: "Ich erinnere mich an die Nachbarn, wo Kinder waren und junge Leute, die aus Kanada für die Ferien gekommen waren. Es war vor Ostern. Der Genozid begann an Ostern. Ich denke oft an sie, an alle dort. Es gibt keinen einzigen Überlebenden. Niemand hat überlebt." Dafroza konnte das Land noch verlassen, der Großteil ihrer Familie kam im Völkermord um.
Vor ein paar Jahren wurde das Ehepaar Gauthier vom jetzigen Präsidenten Ruandas, Paul Kagame, für sein Engagement ausgezeichnet. Dass Kagame international wegen seines autoritären Regierungsstils immer wieder scharf kritisiert wird, störte sie nicht.
Ihr Fokus liegt auf den Tutsi-Opfern des Genozids. Es sei wichtig, dass die Überlebenden ihre Würde durch die Rechtsprechung wiedererlangen, sagt Alain. Dafroza fügt hinzu: "Wir machen weiter, für die Opfer, für ihre Erinnerungen, einfach, um sie zu rehabilitieren."