Völkermorde auf der ganzen Welt
Mit seinem Buch "Hitlers willige Vollstrecker" löste Daniel Jonah Goldhagen eine Debatte aus, die unter Historikern und vor allem in den Medien geführt wurde. Nun knüpft der Politologe an seine früheren Studien über den Holocaust an und widmet sich in "Schlimmer als Krieg" dem Thema Völkermord generell, überall in der Welt.
Daniel Jonah Goldhagen stellt gleich zu Beginn des Buches klar, dass er nicht über Völkermord, sondern über Eliminationismus schreibt. Denn Völkermord sei ja nur ein Mittel, Völker oder Gruppen zu eliminieren, während Eliminationismus auch andere Formen umschreibt und somit als übergreifende Kategorie gilt, zum Beispiel auch für Vertreibung und Unterdrückung.
Mit seinem Buch, schreibt Goldhagen, habe er eine "besondere Herangehensweise" an den Völkermord gewählt. Sie sei umfassender als die herkömmlichen Definitionen. Tatsächlich beschreibt er sehr ausführlich Gewaltakte in den vergangenen hundert Jahren in allen Teilen der Welt: Die Vertreibung und Ermordung der Herero durch die deutschen Kolonialisten in Südwestafrika zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, ein "Jahrhundert des Massenmords".
Dann der Völkermord der Türken an den Armeniern, die Vernichtung politischer Gegner in den sowjetischen Gulags, der Holocaust, der Terror der Roten Khmer in Kambodscha, die Verbrechen der Japaner in China, die Ermordung irakischer Kurden durch Saddam Hussein, die Völkermorde der bosnischen Serben an ihren muslimischen Nachbarn, der Hutu an den Tutsi in Ruanda, die brutalen Taten der Regierungsmilizen in Darfur und viele mehr. Warum Völkermord oder, um mit dem Autor zu reden, "Eliminationismus", schlimmer ist als Krieg, erklärt er mit Zahlen: Die Massenmorde forderten etwa 130 Millionen, vielleicht auch 175 Millionen Opfer, jedenfalls erheblich mehr als im Zweiten Weltkrieg umkamen, nämlich 61 Millionen.
Aber Goldhagen liefert keine Analyse der Verbrechen und ihrer Entstehungsgeschichte, sondern eine Aneinanderreihung der Massaker. Manchmal verarbeitet er in einem Absatz die Verbrechen an fünf verschiedenen Schauplätzen. Goldhagen beschreibt die Taten in ihrer ganzen Brutalität, oft unterlegt mit Zitaten Überlebender oder der Täter, das liest sich so: "hören wir … einen kambodschanischen Überlebenden", wie in einer Rundfunkreportage. Er schwankt zwischen journalistischem und wissenschaftlichem Sprachstil. Von anderen Wissenschaftlern distanziert er sich gern, vor allem von den "häufig mit Scheuklappen geschlagenen und irregeleiteten Holocaust-Forschern".
Dass er sich für den Besten hält, scheint immer wieder durch. Gern zitiert er sich selbst, vor allem aus seinem Buch "Hitlers willige Vollstrecker", das – wie er schreibt – "ein jahrelanges internationales Beben nach sich zog". Ihm wurde in der damaligen Debatte Unwissenschaftlichkeit vorgeworfen. Was er mit dem neuen Buch beabsichtigt, erklärt er so: "… das planmäßige Problem des Eliminationismus auf neue Weise begrifflich zu fassen und zu verstehen, anders zu deuten, angemessen zu erklären und praktikable Reaktionen darauf anzuregen."
Und dann schlägt Goldhagen vor, die Vereinten Nationen abzuschaffen und durch eine internationale Institution demokratischer Staaten zu ersetzen. Für das Völkerrecht hat er nur Verachtung übrig. Gegen Verbrechen, die schlimmer sind als Krieg, will er so vorgehen: Kopfgelder von etwa zehn Millionen Dollar für die Anführer verbrecherischer Regime ausloben, für die Minister eine Million, für die unteren Chargen entsprechend weniger. Das würde einen "mächtigen Anreiz bieten", schreibt Goldhagen, "auf diese Leute Jagd zu machen oder sie zu entmachten".
Das Töten der Täter hält er für einen "defensiven Akt". Er ruft zum Mord an jenen auf, die von seiner phantasierten Staatengemeinschaft als Feinde definiert werden. Fragen der Souveränität und der Rechtsstaatlichkeit spielen für ihn keine Rolle.
Das Buch ist ein pseudowissenschaftliches Machwerk, das vor allem auf Medienwirksamkeit abzielt. Es bleibt ohne Substanz und endet mit absurden Vorschlägen. Eine ernsthafte Debatte oder gar ein "internationales Beben" wird es sicher nicht auslösen.
Besprochen von Annette Wilmes
Daniel Jonah Goldhagen: Schlimmer als Krieg - Wie Völkermord entsteht und wie er zu verhindern ist
Siedler Verlag München 2009, 684 Seiten, 29,95 Euro
Mit seinem Buch, schreibt Goldhagen, habe er eine "besondere Herangehensweise" an den Völkermord gewählt. Sie sei umfassender als die herkömmlichen Definitionen. Tatsächlich beschreibt er sehr ausführlich Gewaltakte in den vergangenen hundert Jahren in allen Teilen der Welt: Die Vertreibung und Ermordung der Herero durch die deutschen Kolonialisten in Südwestafrika zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, ein "Jahrhundert des Massenmords".
Dann der Völkermord der Türken an den Armeniern, die Vernichtung politischer Gegner in den sowjetischen Gulags, der Holocaust, der Terror der Roten Khmer in Kambodscha, die Verbrechen der Japaner in China, die Ermordung irakischer Kurden durch Saddam Hussein, die Völkermorde der bosnischen Serben an ihren muslimischen Nachbarn, der Hutu an den Tutsi in Ruanda, die brutalen Taten der Regierungsmilizen in Darfur und viele mehr. Warum Völkermord oder, um mit dem Autor zu reden, "Eliminationismus", schlimmer ist als Krieg, erklärt er mit Zahlen: Die Massenmorde forderten etwa 130 Millionen, vielleicht auch 175 Millionen Opfer, jedenfalls erheblich mehr als im Zweiten Weltkrieg umkamen, nämlich 61 Millionen.
Aber Goldhagen liefert keine Analyse der Verbrechen und ihrer Entstehungsgeschichte, sondern eine Aneinanderreihung der Massaker. Manchmal verarbeitet er in einem Absatz die Verbrechen an fünf verschiedenen Schauplätzen. Goldhagen beschreibt die Taten in ihrer ganzen Brutalität, oft unterlegt mit Zitaten Überlebender oder der Täter, das liest sich so: "hören wir … einen kambodschanischen Überlebenden", wie in einer Rundfunkreportage. Er schwankt zwischen journalistischem und wissenschaftlichem Sprachstil. Von anderen Wissenschaftlern distanziert er sich gern, vor allem von den "häufig mit Scheuklappen geschlagenen und irregeleiteten Holocaust-Forschern".
Dass er sich für den Besten hält, scheint immer wieder durch. Gern zitiert er sich selbst, vor allem aus seinem Buch "Hitlers willige Vollstrecker", das – wie er schreibt – "ein jahrelanges internationales Beben nach sich zog". Ihm wurde in der damaligen Debatte Unwissenschaftlichkeit vorgeworfen. Was er mit dem neuen Buch beabsichtigt, erklärt er so: "… das planmäßige Problem des Eliminationismus auf neue Weise begrifflich zu fassen und zu verstehen, anders zu deuten, angemessen zu erklären und praktikable Reaktionen darauf anzuregen."
Und dann schlägt Goldhagen vor, die Vereinten Nationen abzuschaffen und durch eine internationale Institution demokratischer Staaten zu ersetzen. Für das Völkerrecht hat er nur Verachtung übrig. Gegen Verbrechen, die schlimmer sind als Krieg, will er so vorgehen: Kopfgelder von etwa zehn Millionen Dollar für die Anführer verbrecherischer Regime ausloben, für die Minister eine Million, für die unteren Chargen entsprechend weniger. Das würde einen "mächtigen Anreiz bieten", schreibt Goldhagen, "auf diese Leute Jagd zu machen oder sie zu entmachten".
Das Töten der Täter hält er für einen "defensiven Akt". Er ruft zum Mord an jenen auf, die von seiner phantasierten Staatengemeinschaft als Feinde definiert werden. Fragen der Souveränität und der Rechtsstaatlichkeit spielen für ihn keine Rolle.
Das Buch ist ein pseudowissenschaftliches Machwerk, das vor allem auf Medienwirksamkeit abzielt. Es bleibt ohne Substanz und endet mit absurden Vorschlägen. Eine ernsthafte Debatte oder gar ein "internationales Beben" wird es sicher nicht auslösen.
Besprochen von Annette Wilmes
Daniel Jonah Goldhagen: Schlimmer als Krieg - Wie Völkermord entsteht und wie er zu verhindern ist
Siedler Verlag München 2009, 684 Seiten, 29,95 Euro