Völkerverständigung im Gorki-Theater

Hommage an Gomidas Vartabed, „Stimme der Armenier“

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Schwarzweißfoto von Gomidas Vartabed vor einem knallig bunten Hintergrund, auf dem auch die Berliner Siegessäule zu erkennen ist.
Gomidas Vartabed war Priester, Komponist, Musikethnologe, Sänger und Erfinder der modernen armenischen Musik. © Johannes von Dassel / Maxim Gorki Theater
Von Luise Sammann |
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Der armenische Komponist Gomidas Vartabed setzte sich für Völkerverständigung im heutigen Anatolien ein. In diesem Jahr wäre er 150 Jahre alt geworden. Das Berliner Gorki-Theater würdigte ihn mit einem besonderen Konzertabend - gefördert von Osman Kavala.
"Mein Name ist Ara Dinkcan. Ich bin in Amerika geboren, aber meine Vorfahren sind Armenier. Gomidas ist für mich die Quelle, um mich meiner selbst zu versichern. Schon als kleiner Junge wuchs ich mit seiner Volksmusik auf. Sie hat mir geholfen, zu definieren, wer ich als Musiker bin."
Ara Dinkcan sitzt mit seiner Oud, einer orientalischen Kurzhalslaute, in einem Probenraum in Berlin-Friedrichshain. Wenn der 61-Jährige spielt, senken die Menschen um ihn herum andächtig den Kopf. Dinkcan ist einer der besten Oud-Spieler der Welt.

Erfinder der modernen armenischen Musik

Gemeinsam mit anderen armenischen, kurdischen und türkischen Musikern gedenkt er dieser Tage dem Priester, Komponisten, Musikethnologen und Sänger Gomidas Vartabed – Erfinder der modernen armenischen Musik und künstlerischer Vorkämpfer für den interkulturellen Austausch im heutigen Anatolien.
Im April 1915 wurde Gomidas wie Hunderte andere armenische Intellektuelle von den Jungtürken verhaftet und deportiert. Obwohl er überlebte, erholte er sich nie. Die Musikethnologin und Sängerin Burcu Yildiz aus Istanbul gehört zu den wenigen, die sich heute intensiv mit Gomidas Leben und Werk beschäftigen:
"Seine Musik und auch seine Lebensgeschichte erzählen uns bis heute so viel über die Region, in der wir leben. Er sollte ein Erinnerungsträger für die türkische Gesellschaft sein. Aber in deren Quellen finden wir ihn leider nicht. Das muss sich ändern. Gomidas muss sichtbarer werden!"

Initiator des Abends ist der Kulturförderer Kavala

Genau das dachte auch Osman Kavala. Der türkische Unternehmer und Kulturförderer gehört zu denen, die die Konzertreihe zu Gomidas 150. Geburtstag initiierten. Kavalas Stiftung Anadolu Kültür ist es unter anderen zu verdanken, dass der Oud-Spieler Ara Dinkcan, die Solistin Burcu Yildiz und andere hochkarätige Musiker Gomidas Werk im Berliner Gorki-Theater gedachten.
Doch ausgerechnet der Initiator Kavala selbst fehlte im Publikum. Auch bei der Fortsetzung der Konzertreihe in Istanbul wird er nicht anwesend sein. Osman Kavala, ein auch international geachteter Kulturvermittler, sitzt seit bald zwei Jahren in der Türkei im Gefängnis, weil er laut Staatsanwaltschaft die Gezi-Proteste vom Sommer 2013 mit initiiert haben soll. Der Vorwurf: Versuchter Umsturz und Fınanzıerung der Massenproteste mit ausländischer Hilfe.

Von Präsident Erdogan zum Feind erklärt

Präsident Erdogan höchstpersönlich hat ihn zum Erzfeind der Türken erklärt: "Wir werden stark bleiben gegen die, die unsere Nation von innen zerstören wollen. Wir werden entschieden gegen sie vorgehen und sie bezahlen lassen!", sagte er kurz nach Kavalas Verhaftung im Oktober 2017.
Kavalas Einsatz für den Austausch zwischen Türken, Kurden, Armeniern und Europäern wird heute von einem Teil der türkischen Gesellschaft als Gefahr angesehen. Die Parallelen zu Gomidas Vartabed und seinem Schaffen vor mehr als hundert Jahren sind auch für die Ethnologin und Sängerin Burcu Yildiz unübersehbar:
"Gomidas hatte eine Mission. Unter den schwierigen Bedingungen seiner Zeit arbeitete er daran, die armenische und auch kurdische Musik zu teilen und zu verbreiten. Und was Osman Kavala seit Jahren in der Türkei tut, ist genau das: die Kultur der unterschiedlichen Volksgruppen in der Türkei verbreiten und Möglichkeiten für kulturellen Austausch schaffen."

Künstler und Intellektuelle setzen sich für Kavala ein

Der Armenier Gomidas erholte sich nie von seiner Deportation. Den Rest seines Lebens verbrachte er schwer traumatisiert und von vielen vergessen im Pariser Exil. Damit das Schicksal des inhaftierten Osman Kavala an diesem Punkt eine andere Wendung nimmt, setzen sich zahlreiche internationale Künstler und Intellektuelle – darunter Shermin Langhoff, Intendantin des Gorki-Theaters in Berlin – dafür ein, dass sein Fall nicht in Vergessenheit gerät.
Auch sein Lebenswerk, nämlich den Austausch zwischen den Bewohnern der heutigen Türkei, wollen sie während seiner Abwesenheit vorantreiben. Das Konzert von kurdischen, armenischen und türkischen Musikern zu Ehren Gomidas Vartabed sollte ein Beitrag dazu sein.

Weiteres Konzert in Istanbul

In Istanbul wird das Konzert in deutlich größerer Besetzung noch einmal wiederholt. Nur einige Kilometer von dem Ort entfernt, an dem Osman Kavala seit bald zwei Jahren ohne nachvollziehbare Anklage im Gefängnis sitzt. Dazu erklärt Burcu Yildiz:
"Menschen, die etwas erreichen wollen, die versuchen, endlich Frieden zu stiften, werden heute wieder auf undemokratische Weise verurteilt. Dass wir heute hier sind, verdanken wir Osman Kavalas Initiative. Mir bleibt nichts, als ihm viele Grüße von hier zu senden und zu hoffen, dass er bald freikommt."
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