Völlig stillos - Planspiel ''Hauptstadtarchitektur''
Berlin wurde im Zweiten Weltkrieg gründlich zerbombt. Und so ist die Hauptstadt heute ein Flickenteppich unterschiedlichster Baustile. Barocke Preußenhäuser, NS-Relikte, DDR-Beton sowie Nachwende-Experimente bilden ein architektonisches Durcheinander.
Kein Wunder, dass ständig gestritten wird, welcher Stil nun zu bevorzugen sei, wenn neu gebaut wird. Wer hat bei der Hauptstadtarchitektur das Sagen, wer entscheidet bei der Stadtplanung über geschmackliche Fragen?
"Wir stehen hier unter dem Vordach von Alexa, der hässlichsten Shoppingmall von Berlin!"
"Schweinchenrosa!", schimpft Theresa Keilhacker. Die Nachwuchsarchitektin steht auf dem Alexanderplatz, umgeben von DDR-Bauten aus den 60er-Jahren: dem Fernsehturm, der futuristisch silber glänzenden Kongresshalle und dem Zwölfgeschosser "Haus des Lehrers". Die Künstlerin blickt böse auf einen architektonischen Fremdkörper - einen roséfarbenen, fensterlosen Massivbau. Neben Keilhacker gestikuliert wütend ihr Kollege Roland Borgwardt.
Keilhacker: "Der Berliner Volksmund nennt es Pharaonengrab. Also es hat wirklich etwas von einer riesigen Grabanlage, nur dass die Farben eben für die heutige Zeit etwas typischer sind."
Borgwardt: "Das sind Betonfertigteile, die eingefärbt worden sind, die offensichtlich nicht so rot wurden, wie es erhofft war."
Keilhacker: "Hier hat eben offensichtlich ein sehr marktschreierischer Designer auch alle möglichen Attribute noch an den ursprünglichen Baukörper noch angeklebt."
Borgwardt: "Dekorationen, und die wirken in meinen Augen einfach nur peinlich und ziemlich kitschig"
Keilhacker: "Und das ist ein Trauerspiel, dass hier in diesem tollen, modernen Städtebau der Nachkriegszeit, dass man hier so einen Fremdkörper reingesetzt hat und überhaupt nicht den Kontext, den städtischen, berücksichtigt hat."
Keilhacker und Borgwardt sind kritische Künstler der Berliner Vereinigung Plattformnachwuchsarchitekten. An diesem Tag bieten sie eine exklusive Führung an, eine Fahrradtour zu den steinernen "Sündenfällen" der Hauptstadt. Auf dem Programm stehen hässliche und langweilige Neubauten - errichtet auf einem Fundament aus Cliquenwirtschaft, Konservatismus und Behördenwillkür. Sagen die Nachwuchskünstler. Andere Experten loben die Berliner Baupolitik. Planspiel Hauptstadt-Architektur - Regula Lüscher, Berliner Senatsbaudirektorin:
"Ich glaube, die Stadt hat eine Geschichte der konträren Positionen, wie Stadt entwickelt werden soll."
Dieter Hoffmann-Axthelm, Stadtplaner: "Also wir haben da eine fast konfessionelle Spaltung zwischen Leuten, die noch im traditionellen Sinne Architektur machen wollen und den Anderen, die von Architekturen träumen, die praktisch nur aus Stahl und Glas bestehen. Das ist doch klar, dass es dann immer Leute gibt, die sich benachteiligt fühlen. Die dann anfangen zu weinen. Aber so ist das Schicksal nun mal (lacht)."
Christine Edmaier, Vizechefin der Berliner Architektenkammer: "Ja, die kreative Szene hat sich teilweise aus Berlin zurückgezogen. Tatsächlich sind eben viele Architekten auch … hatten nicht die Möglichkeiten, sich zu entfalten. Also die Büros sind mehr oder weniger dann eingegangen."
Wer entscheidet in Berlin, wer wie bauen darf? Wer definiert den Stil der Hauptstadt? "Na, die Behörden, der Amtsschimmel", sagt Carsten Grauel. Grauel ist selbstständiger Projektentwickler und errichtet für Investoren Hotels sowie Geschäfts- und Wohnhäuser. Seine Auftraggeber besitzen Privatgrundstücke oder kaufen sich Areale von der öffentlichen Hand, etwa vom Berliner Liegenschaftsfond.
"Die Baupreise sind relativ günstig im europäischen Vergleich, das Problem ist, eine Baugenehmigung zu bekommen."
Grauel schreibt Nutzungskonzepte für die Grundstücke und beauftragt einen Architekten. Will er mehrere Entwürfe, führt er einen Architektenwettbewerb durch. Mit den Plänen klingelt der Bauherr beim zuständigen Bezirksamt an – beziehungsweise bei der übergeordneten Senatsverwaltung. Dann beginnen die Verhandlungen. Provinzielle Verhandlungen, schimpft der Projektentwickler.
"In Berlin zeigt sich dieser provinzielle Umgang mit Investoren mit der Blockade von wichtigen Bauvorhaben aus rein geschmacklichen Überlegungen. Die Stadtplanungsämter sind halt sehr restriktiv. Es gibt unausgesprochene Richtlinien, die eingehalten werden müssen, und die werden hinter irgendwelchen Paragraphen versteckt."
Der Bauherr ist schon mehrfach "die Wände hochgegangen". Etwa, als er ein Bürogebäude in der Friedrichstraße plante - mit einer lichtdurchfluteten Fassade.
"Eine Glasfassade, schuppenförmig ausgeführt. Sah sehr modern aus. Sowohl der Bezirk als auch der Senat waren mit diesem Entwurf überhaupt nicht zufrieden, weil es keine steinerne Fassade war, sondern eine Glasfassade. Das wurde sehr lange blockiert. Das hat den Investor mehrere Millionen Euro für Planung und Vorbereitung gekostet."
Wegen der Verzögerung – und wegen der folgenden Krise auf dem Büromarkt – musste der Bauherr seine Pläne in den Papierkorb werfen. Als Ersatz begann Grauel 2002, ein Hotel zu errichten: das Viersterne-Hotel Meliá Berlin. Und wieder legte ihm die Senatsverwaltung Steine in den Weg. Diesmal war die Fassade angeblich nicht elegant genug. Grauel musste nachgeben – und eine feine Sandsteinfassade errichten.
"Nun ist man irgendwann als Projektentwickler am kürzeren Hebel, weil man muss irgendwann eine Genehmigung erlangen. Und insofern muss man sich dann auf solche 'Verhandlungen' über Gestaltungsfragen einlassen."
Keilhacker: "Also wir sind jetzt hier in der Humboldt-Bibliothek, und die ist gerade frisch errichtet worden und sieht aus wie hermetisch abgeriegelter Baukörper, eigentlich eher wie ein Gefängnis."
Zweite Station der Fahrrad-Führung "Berliner Architektursünden".
Borgwardt: "Diese Fassade ist mit Natursteinen verkleidet und hat relativ schmale hohe Fenster, wodurch das Gebäude relativ abgeschlossen wirkt. Also weniger, wenn man direkt davor steht, weil man durch diese Fensterschlitze noch reingucken kann. Aber vor allem von der Seite, weil die Fenster relativ tief in den Leibungen liegen. Und dadurch wirkt das Gebäude von der Seite wie eine geschlossene Fassade."
Keilhacker: "Und das ist natürlich eine gewisse Aufgabenverfehlung, wenn es sich um einen öffentlichen Ort handelt, der die Bürger eigentlich hineinlocken möchte."
Strittige Neubauten, eine gespaltene Architektenszene, eine eigensinnige Verwaltung und frustrierte Investoren. Wer Orientierung im Berliner Baudschungel finden will, muss zurückblicken. Und zwar auf die Zeit nach der Wende, auf die frühen 90er-Jahre. Damals habe Wildwest geherrscht, erinnert sich Stadtplaner Dieter Hoffmann-Axthelm. Massen von Investoren hätten aus dem frisch vereinigten Berlin ein neues Manhattan machen wollen.
Hoffmann-Axthelm: "Das war die Hotspot-Theorie. Die kamen also im Flugzeug angeflogen und sagten: Wo ist ein Grundstück, was ich kaufen kann? Hatten Architekten unterm Arm, kamen also schon mit fertigen Entwürfen, ohne Rücksicht darauf, ob die irgendwo hinpassten. Und da kamen also irrwitzige Preise für den Quadratmeter. Spitzenwert war 15.000 Mark pro Quadratmeter. Wer das gezahlt hat, der hat das Geld nie wieder gesehen. Also das war absolut absurd."
In der Zeit des überhitzten Marktes wird der Lübecker Bausenator Hans Stimmann Senatsbaudirektor der Hauptstadt. Und Stimmann bremst die Investoren. Keine Hochhäuser, verkündet er. Und: Wiederaufbau des historischen Stadtkerns.
Stimmann: "Die ganze Berliner Altstadt ist in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg abgeräumt worden, kriegsbedingt, aber vor allem planungsbedingt. Also es sind Gebäude abgerissen worden, die noch große Qualitäten hatten. Und meine Position war: Damit muss jetzt Schluss sein. Wir müssen bei allem Mut zu Experimenten, muss die Stadt auch in der Geschichte verwurzelt sein. Das bedeutet also Rekonstruktion des Stadtgrundrisses."
Stimmanns Konzept heißt "Kritische Rekonstruktion" und geht zurück auf den Architekten Josef Paul Kleihues. Es besagt, dass alte Straßenzüge aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg wieder errichtet, aber gleichzeitig - bei der Fassadengestaltung - neu interpretiert werden.
Senatsbaudirektor Stimmann setzt auf ein strenges architektonisches Korsett: Blockrandbebauung, also Häuserblöcke, die bis an die Straße reichen. Weiterhin: monotone Sandsteinfassaden mit stehenden Fenstern. Und: eine maximale Außenwand - also Traufhöhe von 22 Metern. Stimmann ist nach eigener Aussage "ein mächtiger Mann"; offensiv setzt er seinen preußischen Baustil den Manhattan-Verfechtern entgegen. Und auch allen anderen Investoren. Zahlreiche Bauherren, wie Carsten Grauel, klagen:
"Namentlich war das dann der Herr Stimmann, der dann während der Sitzungen mit den Architekten gesagt hat: Also das ist ja totaler Mist, nehmt Euch doch mal einen neuen, vernünftigen Architekten, ich hätte da auch welche zu empfehlen, mit denen kriegt Ihr eine Baugenehmigung."
Stimmann umgibt sich in den 90er-Jahren mit einem Kreis ausgewählter Architekten, die seine Kritische Rekonstruktion eifrig umsetzen. Der Beamte sorgt dafür, dass die Künstler Aufträge erhalten – und platziert sie gleichzeitig in den Jurys von Architektenwettbewerben. So haben Entwürfe moderner Architekten, die lieber mit Glas als mit Stein bauen, bei der konservativen "Betonfraktion" keine Chance.
Hoffmann-Axthelm: "Ja, äh, ich mein, Wettbewerbe sind immer Gemauschel. Es ist immer die Frage, wer ist in der Jury, wer wird als Häuptling gewählt. Da gibt es dann immer etwas einseitige Reaktionen und das gehört einfach zum Job."
Dieter Hoffmann-Axthelm ist viele Jahre einer der engsten Mitstreiter des Senatsbaudirektors Hans Stimmann gewesen. Der Stadtplaner gesteht freimütig: Unter Stimmann hätten moderne Architekten wirklich keine Chance gehabt.
Hoffmann-Axthelm: "Das ist doch klar, dass es dann immer Leute gibt, die sich benachteiligt fühlen. Die dann anfangen zu weinen. Aber so ist das Schicksal nun mal (lacht)."
Hoffmann-Axthelm konzipiert ab Mitte der 90er-Jahre für den Senatsbaudirektor das "Planwerk Innenstadt". Das Papier legt den Grundstein für die Entwicklung der historischen City – auch für den Neubau des Stadtschlosses. Andere Städte arbeiten eher mit Bebauungsplänen. Aber die sogenannten B-Pläne sind kleinteilig und zeitaufwendig. Das wiedervereinigte Berlin hingegen muss schnell große City-Areale beleben. Die konservativen Strategen um Hoffmann-Axthelm wollen mit dem Planwerk Innenstadt den historischen Stadtgrundriss wieder herstellen – und dahinter möglichst viele Ostberliner Bauten der 60er-und 70er-Jahre verschwinden lassen.
Hoffmann-Axthelm: "Kritische Rekonstruktion – in einem Stadtraum, der sich behauptet gegenüber dem, was dort an DDR-Architektur im Augenblick da steht."
In Folge des konsequenten, einseitigen Senatskurses spaltet sich die Berliner Architektenszene - in Pro-Stimmann und Contra-Stimmann-Lager. Konflikte mit Top-Architekten brechen aus. Etwa mit Günter Behnisch, der am Pariser Platz die Akademie der Künste gestaltet – und mit dem Senatsbaudirektor heftig streiten muss, wie viel Glas er in der Fassade einsetzen darf.
Erst mit dem Ende der Stimmann-Ära 2007 werden in der Berliner Bau-Szene die Karten beziehungsweise der Beton neu gemischt. Christine Edmaier ist Vizechefin der Berliner Architektenkammer und war zuvor Vorsitzende des Bundes der Architekten. Nach Ansicht der Expertin hat die Kritische Rekonstruktion tatsächlich Wildwest- und Billig-Bauten verhindert – bis auf Ausnahmen, wie das Alexa-Kaufhaus. Zum anderen sei aber nur Vorkriegsarchitektur gefördert und die Nachkriegsmoderne ignoriert worden. Nicht nur in Ostberlin, bemängelt Edmaier, sondern auch in Westberlin. Dort habe der Senat etwa das berühmte Schimmelpfenghaus abreißen lassen, einen Bürobau auf Stelzen von 1960.
Edmaier: "Das Schimmelpfenghaus stand immerhin unter Denkmalschutz und ich denke mal, dieses Ensemble, wie es dort war mit der Gedächtniskirche, war für Berlin sehr typisch, für Westberlin. Das ist bedenkenlos dieser Rekonstruktion dann auch wiederum geopfert worden. Also da wird Geschichte doch sehr mit zweierlei Maß gemessen. Hier wird man noch die nächsten Jahre über die Weiterentwicklung sicher nachdenken müssen."
Auch viele Bauherren wie Carsten Grauel finden die strenge Auslegung der Kritischen Rekonstruktion einfach "unterirdisch".
Grauel: "Wir haben den Wildwuchs durch Langeweile ersetzt."
Keilhacker: "Wir sind hier an der Ecke Friedrichstraße/Unter den Linden und hier gibt es eine neue Entwicklung. Früher war das hier ein öffentlicher Platz, und jetzt ist er komplett überbaut worden."
Protest per pedales: Berliner Architektursünden, Station drei - vor einem gewöhnlichen Sandstein-Neubau, der über den Gehweg ragt.
Borgwardt: "Zu DDR-Zeiten hat man den Platz frei gelassen und hatte eine wichtige stadträumliche Funktion, die hier, wo alles sehr eng bebaut ist, wichtig ist. Aber zum anderen hat er auch die Funktion gehabt, Unter den Linden, darauf hinzuweisen: Achtung, hier ist etwas Besonderes: Hier kommt die Friedrichstraße! Und jetzt sehen wir eben ein Gebäude mit Stein verkleidet."
Keilhacker: "Wir sind ja immerhin in Sichtweite vom Brandenburger Tor und es ist eine solche steinerne Banalität entstanden, es ist eigentlich zu dürftig für so eine wichtige Straßenkreuzung."
Historischer Stadtgrundriss, Blockrandbebauung, Traufhöhe: 16 Jahre lang lässt Senatsbaudirektor Hans Stimmann seinen Rekonstruktionskurs in Stein meißeln. Doch dann der Wechsel: Im Frühjahr 2007 tritt seine Nachfolgerin ihr Amt an - Regula Lüscher. Eine Architektin aus dem Züricher Städtebauamt; eine sensible Frau mit kurzen, roten Haaren. Die 48-Jährige arbeitet in einem großzügigen Büro mit einem zwei mal zwei Meter großen Zeichen- und Besprechungstisch. Auf der Erde steht, wie in einer Werkstatt, ein Megaplan der Berliner City.
Lüscher: "Ich glaube, die Stadt hat eine Geschichte der konträren Positionen, wie Stadt entwickelt werden soll. Ich denke aber, dass es wichtig ist, dass man die Diskussion immer wieder versucht zu öffnen über diese, wie soll ich jetzt mal… alten eingefuchsten Kreise, die sich gegenseitig auch bekämpfen."
Die Senatsbaudirektorin hat in der Berliner Stadtplanung einen neuen Weg eingeschlagen: Sie baut auf Diskussion statt auf Dogma. So versuchte sie etwa beim umstrittenen Großprojekt Mediaspree die Wogen zu glätten. Bei dem gigantischen Berliner Büro-Loft- und Hotelkomplex gab es 2008 einen erfolgreichen Bürgerentscheid, der sich gegen eine dichte Uferbebauung richtete sowie gegen mächtige Hochhäuser. Lüscher will Debatten anstoßen über die jeweils beste Architektur. Für sie ist ganz klar: Einbettung in die jeweilige Umgebung geht vor persönlichen Geschmack. Die Beamtin berichtet, sie selbst stehe eher auf moderne Architektur. Dennoch habe sie kürzliche einen konservativen Hochhausentwurf genehmigt.
"Auch wenn ich vielleicht an dieser Stelle von der Architektursprache her etwas anderes lieber gesehen hätte, musste ich aber sagen: Die städtebauliche Setzung, die Art und Weise wie der Turm skulptural geformt war, war das einfach der beste Entwurf. Und da kann man sich dann durchaus streiten, ob das etwas mehr Stein oder etwas mehr Metall sein soll, Hauptsache, die Steinfassade ist dann auch gut gemacht. Und das war sie in diesem Fall."
Lüscher hat ein neuartiges Baukollegium mit externen Beratern ins Leben gerufen. Zudem regt sie Kiezdiskussionen an und offene Architekturwettbewerbe. Ihr Hauptziel ist dabei der Erhalt von Freiflächen. So soll auf dem stillgelegten Flugplatz Berlin-Tempelhof ein riesiger Erholungspark aus dem Boden gestampft werden, umgeben von einzelnen Energiesparhäusern. Und was wird aus dem Planwerk Innenstadt? Lüscher hält sich zwar an das Senats-Konzept aus Stimmanns Zeit, also an den historischen Stadtgrundriss. Aber sie will weniger Kritische Rekonstruktion. Und weniger Dicht-an-Dicht-Bebauung. Auch am Ostberliner Alexanderplatz.
"Ja, ich sehe das im Moment schon im Vordergrund: Eher den Fokus auf die Freifläche – auch aus städtebaulicher Betrachtung. Auf diesem Rathausforum steht ja der Fernsehturm. Der Fernsehturm ist nicht aus Berlin wegzudenken. Also es ist unvorstellbar. Es ist wirklich das Wahrzeichen neben dem Brandenburger Tor. Dieser Fernsehturm, der muss meiner Meinung nach in einem gewissen Freiraum stehen, der braucht diesen Raum."
Doch Lüschers Offenheit und Liberalität stoßen auf Mauern. Sie sei "nicht durchsetzungsfähig" lautete das Urteil gleich nach ihrer Amtsübernahme, sie sei "zu zögerlich". Die Kritik stammt zumeist aus dem konservativen Stimmann-Lager. Auch Stimmann selbst meldet sich immer wieder aus dem Off zu Wort. Der pensionierte Beamte, der in einem Berliner Altbauviertel wohnt, breitet in Berliner Tageszeitungen regelmäßig seine Ideen für die Innenstadt aus. So lästerte er jüngst, weil das Rathausforum am Fernsehturm nicht wieder in den Vorkriegszustand versetzt wird.
Stimmann: "Das ist ja ne Kabarettlösung. Also den Status quo so zu belassen, das Ganze als ein Denkmal für die untergegangene DDR – aber das ist ja für "Neues aus der Anstalt" oder irgendsowas."
Christine Edmaier von der Berliner Architektenkammer ist entsetzt, dass der Ex-Senatsbaudirektor weiter mitmischen will. Dass er immer wieder Druck macht auf seine Nachfolgerin.
Edmaier: "Ja, das ist ein sehr unschönes Spiel aus meiner Sicht. Also ich denke, wenn man auf eine Amtszeit zurückblickt wie Herr Stimmann, dann sollte man eigentlich auch mal zufrieden sein und sollte mal jemand anderem die Chance geben, vielleicht das, was von ihm vernachlässigt wurde, weiter zu bearbeiten."
Keilhacker: "Wir sind hier an der Spree, am sogenannten Spreedreieck. Hier steht ein zusammen gestutztes Hochhaus."
Die Nachwuchsarchitekten Theresa Keilhacker und Roland Borgwardt haben am S-Bahnhof Berlin-Friedrichstraße haltgemacht, vor dem legendären Tränenpalast - dem früheren DDR-Grenzübergang. Die Sicht wird durch einen geschwungenen Neubau versperrt, ein Gebäude mit viel Glas und grauer Aluminium-Fassade. Das Bauwerk ist sehr lang, aber nur neun Stockwerke hoch. Letzter "Sündenbau".
Borgwardt: "Ursprünglich gedacht war ein schlanker, schmaler Turm, und geworden ist es letztlich dann ein breites, relativ plump proportioniertes kurzes, breites Ding."
Keilhacker: "Und da hat ja mal der berühmte Architekt Düttmann gesagt: Alles, was in Berlin angefasst wird, wird zur Bulette."
Eigentlich war an dieser Stelle ein Wolkenkratzer geplant – nach einem weltberühmten Entwurf des Architekten Mies van der Rohe von 1921. Ein futuristisches, kristallisch-glänzendes Hochhaus sollte hier entstehen. Doch der Berliner Senat wollte dies nicht. So kam ein Investor zum Zuge, der ein graues, gestutztes Hochhaus hinsetzte. Die öffentliche Hand machte beim Grundstücksverkauf zudem so viele Fehler, dass letztlich ein Minus von neun Millionen Euro aufgetürmt wurde – zu Lasten des Steuerzahlers. Ein Untersuchungsausschuss des Abgeordnetenhauses versucht derzeit, hinter die Fassade des Grundstückdeals zu gucken.
Planspiel Hauptstadtarchitektur: Streit um Kritische Rekonstruktion, Streit um Freiflächen – wie geht’s weiter? Die Investoren stehen längst nicht mehr Schlange, Berlin muss Bauherren anlocken. Trotzdem sind viele Planer optimistisch. So bilanziert die Vereinigung Plattformnachwuchsarchitekten: Mit dem Kurswechsel in der Senatsverwaltung - weg vom strengen Korsett, hin zu mehr Offenheit - könne Berlin endlich eine bunte, vielschichtige Architektur-Hauptstadt werden.
Keilhacker: "Man muss natürlich gleichzeitig sagen, dass natürlich jeder immer sagt: Wir brauchen wieder jemanden, der starke Visionen hat und so weiter. Das ist allerdings eigentlich die falsche Vorstellung. Weil Berlin braucht überhaupt keine starken Visionen. Wir sind ne Stadt im Wandel und eine Stadt der Ideen. Es gibt hier ein riesiges Kreativpotential, man muss die Leute nur machen lassen."
"Wir stehen hier unter dem Vordach von Alexa, der hässlichsten Shoppingmall von Berlin!"
"Schweinchenrosa!", schimpft Theresa Keilhacker. Die Nachwuchsarchitektin steht auf dem Alexanderplatz, umgeben von DDR-Bauten aus den 60er-Jahren: dem Fernsehturm, der futuristisch silber glänzenden Kongresshalle und dem Zwölfgeschosser "Haus des Lehrers". Die Künstlerin blickt böse auf einen architektonischen Fremdkörper - einen roséfarbenen, fensterlosen Massivbau. Neben Keilhacker gestikuliert wütend ihr Kollege Roland Borgwardt.
Keilhacker: "Der Berliner Volksmund nennt es Pharaonengrab. Also es hat wirklich etwas von einer riesigen Grabanlage, nur dass die Farben eben für die heutige Zeit etwas typischer sind."
Borgwardt: "Das sind Betonfertigteile, die eingefärbt worden sind, die offensichtlich nicht so rot wurden, wie es erhofft war."
Keilhacker: "Hier hat eben offensichtlich ein sehr marktschreierischer Designer auch alle möglichen Attribute noch an den ursprünglichen Baukörper noch angeklebt."
Borgwardt: "Dekorationen, und die wirken in meinen Augen einfach nur peinlich und ziemlich kitschig"
Keilhacker: "Und das ist ein Trauerspiel, dass hier in diesem tollen, modernen Städtebau der Nachkriegszeit, dass man hier so einen Fremdkörper reingesetzt hat und überhaupt nicht den Kontext, den städtischen, berücksichtigt hat."
Keilhacker und Borgwardt sind kritische Künstler der Berliner Vereinigung Plattformnachwuchsarchitekten. An diesem Tag bieten sie eine exklusive Führung an, eine Fahrradtour zu den steinernen "Sündenfällen" der Hauptstadt. Auf dem Programm stehen hässliche und langweilige Neubauten - errichtet auf einem Fundament aus Cliquenwirtschaft, Konservatismus und Behördenwillkür. Sagen die Nachwuchskünstler. Andere Experten loben die Berliner Baupolitik. Planspiel Hauptstadt-Architektur - Regula Lüscher, Berliner Senatsbaudirektorin:
"Ich glaube, die Stadt hat eine Geschichte der konträren Positionen, wie Stadt entwickelt werden soll."
Dieter Hoffmann-Axthelm, Stadtplaner: "Also wir haben da eine fast konfessionelle Spaltung zwischen Leuten, die noch im traditionellen Sinne Architektur machen wollen und den Anderen, die von Architekturen träumen, die praktisch nur aus Stahl und Glas bestehen. Das ist doch klar, dass es dann immer Leute gibt, die sich benachteiligt fühlen. Die dann anfangen zu weinen. Aber so ist das Schicksal nun mal (lacht)."
Christine Edmaier, Vizechefin der Berliner Architektenkammer: "Ja, die kreative Szene hat sich teilweise aus Berlin zurückgezogen. Tatsächlich sind eben viele Architekten auch … hatten nicht die Möglichkeiten, sich zu entfalten. Also die Büros sind mehr oder weniger dann eingegangen."
Wer entscheidet in Berlin, wer wie bauen darf? Wer definiert den Stil der Hauptstadt? "Na, die Behörden, der Amtsschimmel", sagt Carsten Grauel. Grauel ist selbstständiger Projektentwickler und errichtet für Investoren Hotels sowie Geschäfts- und Wohnhäuser. Seine Auftraggeber besitzen Privatgrundstücke oder kaufen sich Areale von der öffentlichen Hand, etwa vom Berliner Liegenschaftsfond.
"Die Baupreise sind relativ günstig im europäischen Vergleich, das Problem ist, eine Baugenehmigung zu bekommen."
Grauel schreibt Nutzungskonzepte für die Grundstücke und beauftragt einen Architekten. Will er mehrere Entwürfe, führt er einen Architektenwettbewerb durch. Mit den Plänen klingelt der Bauherr beim zuständigen Bezirksamt an – beziehungsweise bei der übergeordneten Senatsverwaltung. Dann beginnen die Verhandlungen. Provinzielle Verhandlungen, schimpft der Projektentwickler.
"In Berlin zeigt sich dieser provinzielle Umgang mit Investoren mit der Blockade von wichtigen Bauvorhaben aus rein geschmacklichen Überlegungen. Die Stadtplanungsämter sind halt sehr restriktiv. Es gibt unausgesprochene Richtlinien, die eingehalten werden müssen, und die werden hinter irgendwelchen Paragraphen versteckt."
Der Bauherr ist schon mehrfach "die Wände hochgegangen". Etwa, als er ein Bürogebäude in der Friedrichstraße plante - mit einer lichtdurchfluteten Fassade.
"Eine Glasfassade, schuppenförmig ausgeführt. Sah sehr modern aus. Sowohl der Bezirk als auch der Senat waren mit diesem Entwurf überhaupt nicht zufrieden, weil es keine steinerne Fassade war, sondern eine Glasfassade. Das wurde sehr lange blockiert. Das hat den Investor mehrere Millionen Euro für Planung und Vorbereitung gekostet."
Wegen der Verzögerung – und wegen der folgenden Krise auf dem Büromarkt – musste der Bauherr seine Pläne in den Papierkorb werfen. Als Ersatz begann Grauel 2002, ein Hotel zu errichten: das Viersterne-Hotel Meliá Berlin. Und wieder legte ihm die Senatsverwaltung Steine in den Weg. Diesmal war die Fassade angeblich nicht elegant genug. Grauel musste nachgeben – und eine feine Sandsteinfassade errichten.
"Nun ist man irgendwann als Projektentwickler am kürzeren Hebel, weil man muss irgendwann eine Genehmigung erlangen. Und insofern muss man sich dann auf solche 'Verhandlungen' über Gestaltungsfragen einlassen."
Keilhacker: "Also wir sind jetzt hier in der Humboldt-Bibliothek, und die ist gerade frisch errichtet worden und sieht aus wie hermetisch abgeriegelter Baukörper, eigentlich eher wie ein Gefängnis."
Zweite Station der Fahrrad-Führung "Berliner Architektursünden".
Borgwardt: "Diese Fassade ist mit Natursteinen verkleidet und hat relativ schmale hohe Fenster, wodurch das Gebäude relativ abgeschlossen wirkt. Also weniger, wenn man direkt davor steht, weil man durch diese Fensterschlitze noch reingucken kann. Aber vor allem von der Seite, weil die Fenster relativ tief in den Leibungen liegen. Und dadurch wirkt das Gebäude von der Seite wie eine geschlossene Fassade."
Keilhacker: "Und das ist natürlich eine gewisse Aufgabenverfehlung, wenn es sich um einen öffentlichen Ort handelt, der die Bürger eigentlich hineinlocken möchte."
Strittige Neubauten, eine gespaltene Architektenszene, eine eigensinnige Verwaltung und frustrierte Investoren. Wer Orientierung im Berliner Baudschungel finden will, muss zurückblicken. Und zwar auf die Zeit nach der Wende, auf die frühen 90er-Jahre. Damals habe Wildwest geherrscht, erinnert sich Stadtplaner Dieter Hoffmann-Axthelm. Massen von Investoren hätten aus dem frisch vereinigten Berlin ein neues Manhattan machen wollen.
Hoffmann-Axthelm: "Das war die Hotspot-Theorie. Die kamen also im Flugzeug angeflogen und sagten: Wo ist ein Grundstück, was ich kaufen kann? Hatten Architekten unterm Arm, kamen also schon mit fertigen Entwürfen, ohne Rücksicht darauf, ob die irgendwo hinpassten. Und da kamen also irrwitzige Preise für den Quadratmeter. Spitzenwert war 15.000 Mark pro Quadratmeter. Wer das gezahlt hat, der hat das Geld nie wieder gesehen. Also das war absolut absurd."
In der Zeit des überhitzten Marktes wird der Lübecker Bausenator Hans Stimmann Senatsbaudirektor der Hauptstadt. Und Stimmann bremst die Investoren. Keine Hochhäuser, verkündet er. Und: Wiederaufbau des historischen Stadtkerns.
Stimmann: "Die ganze Berliner Altstadt ist in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg abgeräumt worden, kriegsbedingt, aber vor allem planungsbedingt. Also es sind Gebäude abgerissen worden, die noch große Qualitäten hatten. Und meine Position war: Damit muss jetzt Schluss sein. Wir müssen bei allem Mut zu Experimenten, muss die Stadt auch in der Geschichte verwurzelt sein. Das bedeutet also Rekonstruktion des Stadtgrundrisses."
Stimmanns Konzept heißt "Kritische Rekonstruktion" und geht zurück auf den Architekten Josef Paul Kleihues. Es besagt, dass alte Straßenzüge aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg wieder errichtet, aber gleichzeitig - bei der Fassadengestaltung - neu interpretiert werden.
Senatsbaudirektor Stimmann setzt auf ein strenges architektonisches Korsett: Blockrandbebauung, also Häuserblöcke, die bis an die Straße reichen. Weiterhin: monotone Sandsteinfassaden mit stehenden Fenstern. Und: eine maximale Außenwand - also Traufhöhe von 22 Metern. Stimmann ist nach eigener Aussage "ein mächtiger Mann"; offensiv setzt er seinen preußischen Baustil den Manhattan-Verfechtern entgegen. Und auch allen anderen Investoren. Zahlreiche Bauherren, wie Carsten Grauel, klagen:
"Namentlich war das dann der Herr Stimmann, der dann während der Sitzungen mit den Architekten gesagt hat: Also das ist ja totaler Mist, nehmt Euch doch mal einen neuen, vernünftigen Architekten, ich hätte da auch welche zu empfehlen, mit denen kriegt Ihr eine Baugenehmigung."
Stimmann umgibt sich in den 90er-Jahren mit einem Kreis ausgewählter Architekten, die seine Kritische Rekonstruktion eifrig umsetzen. Der Beamte sorgt dafür, dass die Künstler Aufträge erhalten – und platziert sie gleichzeitig in den Jurys von Architektenwettbewerben. So haben Entwürfe moderner Architekten, die lieber mit Glas als mit Stein bauen, bei der konservativen "Betonfraktion" keine Chance.
Hoffmann-Axthelm: "Ja, äh, ich mein, Wettbewerbe sind immer Gemauschel. Es ist immer die Frage, wer ist in der Jury, wer wird als Häuptling gewählt. Da gibt es dann immer etwas einseitige Reaktionen und das gehört einfach zum Job."
Dieter Hoffmann-Axthelm ist viele Jahre einer der engsten Mitstreiter des Senatsbaudirektors Hans Stimmann gewesen. Der Stadtplaner gesteht freimütig: Unter Stimmann hätten moderne Architekten wirklich keine Chance gehabt.
Hoffmann-Axthelm: "Das ist doch klar, dass es dann immer Leute gibt, die sich benachteiligt fühlen. Die dann anfangen zu weinen. Aber so ist das Schicksal nun mal (lacht)."
Hoffmann-Axthelm konzipiert ab Mitte der 90er-Jahre für den Senatsbaudirektor das "Planwerk Innenstadt". Das Papier legt den Grundstein für die Entwicklung der historischen City – auch für den Neubau des Stadtschlosses. Andere Städte arbeiten eher mit Bebauungsplänen. Aber die sogenannten B-Pläne sind kleinteilig und zeitaufwendig. Das wiedervereinigte Berlin hingegen muss schnell große City-Areale beleben. Die konservativen Strategen um Hoffmann-Axthelm wollen mit dem Planwerk Innenstadt den historischen Stadtgrundriss wieder herstellen – und dahinter möglichst viele Ostberliner Bauten der 60er-und 70er-Jahre verschwinden lassen.
Hoffmann-Axthelm: "Kritische Rekonstruktion – in einem Stadtraum, der sich behauptet gegenüber dem, was dort an DDR-Architektur im Augenblick da steht."
In Folge des konsequenten, einseitigen Senatskurses spaltet sich die Berliner Architektenszene - in Pro-Stimmann und Contra-Stimmann-Lager. Konflikte mit Top-Architekten brechen aus. Etwa mit Günter Behnisch, der am Pariser Platz die Akademie der Künste gestaltet – und mit dem Senatsbaudirektor heftig streiten muss, wie viel Glas er in der Fassade einsetzen darf.
Erst mit dem Ende der Stimmann-Ära 2007 werden in der Berliner Bau-Szene die Karten beziehungsweise der Beton neu gemischt. Christine Edmaier ist Vizechefin der Berliner Architektenkammer und war zuvor Vorsitzende des Bundes der Architekten. Nach Ansicht der Expertin hat die Kritische Rekonstruktion tatsächlich Wildwest- und Billig-Bauten verhindert – bis auf Ausnahmen, wie das Alexa-Kaufhaus. Zum anderen sei aber nur Vorkriegsarchitektur gefördert und die Nachkriegsmoderne ignoriert worden. Nicht nur in Ostberlin, bemängelt Edmaier, sondern auch in Westberlin. Dort habe der Senat etwa das berühmte Schimmelpfenghaus abreißen lassen, einen Bürobau auf Stelzen von 1960.
Edmaier: "Das Schimmelpfenghaus stand immerhin unter Denkmalschutz und ich denke mal, dieses Ensemble, wie es dort war mit der Gedächtniskirche, war für Berlin sehr typisch, für Westberlin. Das ist bedenkenlos dieser Rekonstruktion dann auch wiederum geopfert worden. Also da wird Geschichte doch sehr mit zweierlei Maß gemessen. Hier wird man noch die nächsten Jahre über die Weiterentwicklung sicher nachdenken müssen."
Auch viele Bauherren wie Carsten Grauel finden die strenge Auslegung der Kritischen Rekonstruktion einfach "unterirdisch".
Grauel: "Wir haben den Wildwuchs durch Langeweile ersetzt."
Keilhacker: "Wir sind hier an der Ecke Friedrichstraße/Unter den Linden und hier gibt es eine neue Entwicklung. Früher war das hier ein öffentlicher Platz, und jetzt ist er komplett überbaut worden."
Protest per pedales: Berliner Architektursünden, Station drei - vor einem gewöhnlichen Sandstein-Neubau, der über den Gehweg ragt.
Borgwardt: "Zu DDR-Zeiten hat man den Platz frei gelassen und hatte eine wichtige stadträumliche Funktion, die hier, wo alles sehr eng bebaut ist, wichtig ist. Aber zum anderen hat er auch die Funktion gehabt, Unter den Linden, darauf hinzuweisen: Achtung, hier ist etwas Besonderes: Hier kommt die Friedrichstraße! Und jetzt sehen wir eben ein Gebäude mit Stein verkleidet."
Keilhacker: "Wir sind ja immerhin in Sichtweite vom Brandenburger Tor und es ist eine solche steinerne Banalität entstanden, es ist eigentlich zu dürftig für so eine wichtige Straßenkreuzung."
Historischer Stadtgrundriss, Blockrandbebauung, Traufhöhe: 16 Jahre lang lässt Senatsbaudirektor Hans Stimmann seinen Rekonstruktionskurs in Stein meißeln. Doch dann der Wechsel: Im Frühjahr 2007 tritt seine Nachfolgerin ihr Amt an - Regula Lüscher. Eine Architektin aus dem Züricher Städtebauamt; eine sensible Frau mit kurzen, roten Haaren. Die 48-Jährige arbeitet in einem großzügigen Büro mit einem zwei mal zwei Meter großen Zeichen- und Besprechungstisch. Auf der Erde steht, wie in einer Werkstatt, ein Megaplan der Berliner City.
Lüscher: "Ich glaube, die Stadt hat eine Geschichte der konträren Positionen, wie Stadt entwickelt werden soll. Ich denke aber, dass es wichtig ist, dass man die Diskussion immer wieder versucht zu öffnen über diese, wie soll ich jetzt mal… alten eingefuchsten Kreise, die sich gegenseitig auch bekämpfen."
Die Senatsbaudirektorin hat in der Berliner Stadtplanung einen neuen Weg eingeschlagen: Sie baut auf Diskussion statt auf Dogma. So versuchte sie etwa beim umstrittenen Großprojekt Mediaspree die Wogen zu glätten. Bei dem gigantischen Berliner Büro-Loft- und Hotelkomplex gab es 2008 einen erfolgreichen Bürgerentscheid, der sich gegen eine dichte Uferbebauung richtete sowie gegen mächtige Hochhäuser. Lüscher will Debatten anstoßen über die jeweils beste Architektur. Für sie ist ganz klar: Einbettung in die jeweilige Umgebung geht vor persönlichen Geschmack. Die Beamtin berichtet, sie selbst stehe eher auf moderne Architektur. Dennoch habe sie kürzliche einen konservativen Hochhausentwurf genehmigt.
"Auch wenn ich vielleicht an dieser Stelle von der Architektursprache her etwas anderes lieber gesehen hätte, musste ich aber sagen: Die städtebauliche Setzung, die Art und Weise wie der Turm skulptural geformt war, war das einfach der beste Entwurf. Und da kann man sich dann durchaus streiten, ob das etwas mehr Stein oder etwas mehr Metall sein soll, Hauptsache, die Steinfassade ist dann auch gut gemacht. Und das war sie in diesem Fall."
Lüscher hat ein neuartiges Baukollegium mit externen Beratern ins Leben gerufen. Zudem regt sie Kiezdiskussionen an und offene Architekturwettbewerbe. Ihr Hauptziel ist dabei der Erhalt von Freiflächen. So soll auf dem stillgelegten Flugplatz Berlin-Tempelhof ein riesiger Erholungspark aus dem Boden gestampft werden, umgeben von einzelnen Energiesparhäusern. Und was wird aus dem Planwerk Innenstadt? Lüscher hält sich zwar an das Senats-Konzept aus Stimmanns Zeit, also an den historischen Stadtgrundriss. Aber sie will weniger Kritische Rekonstruktion. Und weniger Dicht-an-Dicht-Bebauung. Auch am Ostberliner Alexanderplatz.
"Ja, ich sehe das im Moment schon im Vordergrund: Eher den Fokus auf die Freifläche – auch aus städtebaulicher Betrachtung. Auf diesem Rathausforum steht ja der Fernsehturm. Der Fernsehturm ist nicht aus Berlin wegzudenken. Also es ist unvorstellbar. Es ist wirklich das Wahrzeichen neben dem Brandenburger Tor. Dieser Fernsehturm, der muss meiner Meinung nach in einem gewissen Freiraum stehen, der braucht diesen Raum."
Doch Lüschers Offenheit und Liberalität stoßen auf Mauern. Sie sei "nicht durchsetzungsfähig" lautete das Urteil gleich nach ihrer Amtsübernahme, sie sei "zu zögerlich". Die Kritik stammt zumeist aus dem konservativen Stimmann-Lager. Auch Stimmann selbst meldet sich immer wieder aus dem Off zu Wort. Der pensionierte Beamte, der in einem Berliner Altbauviertel wohnt, breitet in Berliner Tageszeitungen regelmäßig seine Ideen für die Innenstadt aus. So lästerte er jüngst, weil das Rathausforum am Fernsehturm nicht wieder in den Vorkriegszustand versetzt wird.
Stimmann: "Das ist ja ne Kabarettlösung. Also den Status quo so zu belassen, das Ganze als ein Denkmal für die untergegangene DDR – aber das ist ja für "Neues aus der Anstalt" oder irgendsowas."
Christine Edmaier von der Berliner Architektenkammer ist entsetzt, dass der Ex-Senatsbaudirektor weiter mitmischen will. Dass er immer wieder Druck macht auf seine Nachfolgerin.
Edmaier: "Ja, das ist ein sehr unschönes Spiel aus meiner Sicht. Also ich denke, wenn man auf eine Amtszeit zurückblickt wie Herr Stimmann, dann sollte man eigentlich auch mal zufrieden sein und sollte mal jemand anderem die Chance geben, vielleicht das, was von ihm vernachlässigt wurde, weiter zu bearbeiten."
Keilhacker: "Wir sind hier an der Spree, am sogenannten Spreedreieck. Hier steht ein zusammen gestutztes Hochhaus."
Die Nachwuchsarchitekten Theresa Keilhacker und Roland Borgwardt haben am S-Bahnhof Berlin-Friedrichstraße haltgemacht, vor dem legendären Tränenpalast - dem früheren DDR-Grenzübergang. Die Sicht wird durch einen geschwungenen Neubau versperrt, ein Gebäude mit viel Glas und grauer Aluminium-Fassade. Das Bauwerk ist sehr lang, aber nur neun Stockwerke hoch. Letzter "Sündenbau".
Borgwardt: "Ursprünglich gedacht war ein schlanker, schmaler Turm, und geworden ist es letztlich dann ein breites, relativ plump proportioniertes kurzes, breites Ding."
Keilhacker: "Und da hat ja mal der berühmte Architekt Düttmann gesagt: Alles, was in Berlin angefasst wird, wird zur Bulette."
Eigentlich war an dieser Stelle ein Wolkenkratzer geplant – nach einem weltberühmten Entwurf des Architekten Mies van der Rohe von 1921. Ein futuristisches, kristallisch-glänzendes Hochhaus sollte hier entstehen. Doch der Berliner Senat wollte dies nicht. So kam ein Investor zum Zuge, der ein graues, gestutztes Hochhaus hinsetzte. Die öffentliche Hand machte beim Grundstücksverkauf zudem so viele Fehler, dass letztlich ein Minus von neun Millionen Euro aufgetürmt wurde – zu Lasten des Steuerzahlers. Ein Untersuchungsausschuss des Abgeordnetenhauses versucht derzeit, hinter die Fassade des Grundstückdeals zu gucken.
Planspiel Hauptstadtarchitektur: Streit um Kritische Rekonstruktion, Streit um Freiflächen – wie geht’s weiter? Die Investoren stehen längst nicht mehr Schlange, Berlin muss Bauherren anlocken. Trotzdem sind viele Planer optimistisch. So bilanziert die Vereinigung Plattformnachwuchsarchitekten: Mit dem Kurswechsel in der Senatsverwaltung - weg vom strengen Korsett, hin zu mehr Offenheit - könne Berlin endlich eine bunte, vielschichtige Architektur-Hauptstadt werden.
Keilhacker: "Man muss natürlich gleichzeitig sagen, dass natürlich jeder immer sagt: Wir brauchen wieder jemanden, der starke Visionen hat und so weiter. Das ist allerdings eigentlich die falsche Vorstellung. Weil Berlin braucht überhaupt keine starken Visionen. Wir sind ne Stadt im Wandel und eine Stadt der Ideen. Es gibt hier ein riesiges Kreativpotential, man muss die Leute nur machen lassen."