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Der Ruf der Kraniche
11:10 Minuten
Der Naturforscher Bernhard Weßling räumt mit einigen Mythen rund um die Kraniche auf. So sind sie treuloser als gedacht. Mit dem Computer analysiert der Experte die Kommunikation der Zugvögel und unterscheidet ihre Zurufe.
Liane von Billerbeck: Es gibt dieses Jahr besonders viele Kraniche, die an der Ostseeküste auf ihrem Weg nach Süden rasten. Voriges Wochenende wurden bei einer Synchronzählung in der Darß-Zingster Boddenkette und auf Rügen über 86.000 Kraniche gezählt. Das war neuer Rekord. Die Kraniche, müssen sich aber verständigen, wenn sie sich auf den Weg machen auf so große Strecken, die sie zurücklegen müssen.
Also haben wir uns einen Mann eingeladen, der sich bestens mit Kranichkommunikation auskennt. Bernhard Weßling ist das, der macht beruflich was ganz anderes, hat aber so viel Ahnung von diesen großen Vögeln, dass er auf einem Kongress des NABU für Naturgucker im November sogar einen Vortrag hält. Herr Weßling, schönen guten Morgen!
Bernhard Weßling: Guten Morgen, Frau von Billerbeck!
Billerbeck: Sie sind von Beruf Chemiker. Wie bitte schön sind Sie denn auf die Kraniche gekommen?
Weßling: Das ist natürlich, wie immer, eine lange Geschichte. Als Jugendlicher habe ich angefangen, Vogelfedern zu sammeln, habe mich dafür interessiert. Als junger Vater habe ich eine zweite Stelle angetreten im Nordosten von Hamburg, in einer Kleinstadt gewohnt, und dort ist in der Nähe, gerade mal vielleicht zehn Minuten Fahrt mit dem Auto, viertel Stunde mit dem Fahrrad, der Duvenstedter Brook, ein relativ großes Naturschutzgebiet. Genau in dem Jahr, in dem wir dahingezogen sind, hat sich in diesem Naturschutzgebiet ein erstes Kranichpaar angesiedelt, und dann bin ich in den Naturschutz gekommen, dann bin ich mehrere Jahre, fünf, sechs Jahre, Leiter des Kranichschutzes gewesen und habe, weil ich einfach nun auch Naturwissenschaftler bin, das Interesse daran entwickelt, besser zu verstehen, wie die Kraniche sich verhalten.
Daraus hat sich dann entwickelt, dass ich begonnen habe, die Stimmen der Kraniche aufzunehmen, um zu analysieren in die Richtung, ich wollte wissen, wer ist wer. Wenn ich Verhaltensforschung betreibe im Freiland, muss ich eigentlich wissen, wer wer ist, und normalerweise werden Kraniche beringt, das finde ich nicht so passend, vor allen Dingen hier im Duvenstedter Brook nicht, und habe deshalb die Stimme genommen, um die Kraniche zu charakterisieren. Da habe ich sehr viel nebenbei über die Kommunikation der Kraniche gelernt, weil es nicht nur den einen Ruf gibt, sondern viele andere.
Partnertausch der Kraniche
Billerbeck: Nun hat man ja einige Mythen, die man so im Kopf hat über die Kraniche, zum Beispiel, dass diese Vögel ganz besonders treue, ewig treue Tiere sind. Was haben Sie denn da rausgefunden?
Weßling: Das ist einer der wunderschönen Mythen, die immer wieder Spaß machen zu hören. Ich habe hier im Brook die Kranichgesellschaft, die sich entwickelt hat, über zehn Jahre detailliert verfolgt mit vielen, vielen hundert Aufnahmen pro Jahr und dabei herausgefunden, dass bis auf ganz wenige Ausnahmen praktisch jeder Kranich in seinem Leben auch mal einen anderen Partner hat. Der erfolgreichste Kranich, den ich je hatte, das Männchen Nummer sechs, er hatte hier vier Kranichweibchen.
Auf der anderen Seite ist es gar nicht gesagt, dass immer nur die Männchen sich neue Weibchen suchen, sondern Weibchen sind auch im folgenden Jahr mit einem neuen Männchen in ihrem alten Revier aufgetaucht. Weiter darüber hinaus ist es nicht so, dass alle Paarungen oder neue Umverpaarungen deshalb geschehen, weil der frühere Partner vielleicht verstorben ist, sondern ich habe auch Kreuzverpaarungen gesehen. Also da haben zwei Paare nebeneinander gewohnt.
Billerbeck: Und die haben dann einfach mal Partnertausch gemacht.
Weßling: Und nach ein paar Wochen war Partnertausch.
Billerbeck: Verrückt. Sie haben gesagt, sie haben hunderte Aufnahmen. Das muss ja ein Wahnsinn gewesen sein, diese einzelnen Stimmen tatsächlich rauszufiltern und dem Kranichmännchen Nummer sechs oder dem Weibchen Nummer 27 zuzuordnen.
Weßling: Ja, ich habe die entsprechenden Rufe mit Computer analysiert, Frequenzspektren erstellt, diese ausgedruckt und übereinandergelegt. Natürlich, je mehr Kraniche es werden, umso wahnsinniger wird die Arbeit. In diesem Jahr habe ich hier im Gebiet 26 verschiedene Paare analysiert. Das ist also schon eine ziemliche Mordsarbeit, die auseinanderzuhalten.
Billerbeck: Wie läuft Sie denn überhaupt ab, die Kommunikation von Kranichen? Wir haben vorhin, als wir auf unser Gespräch hingewiesen haben, natürlich die Kranichrufe mal abgespielt, wenn da so ein großer Pulk am Himmel langfliegt, aber da gibt es ja vermutlich unterschiedliche Rufe.
Weßling: Ja, in Wirklichkeit ist es natürlich so, dass ich jetzt nicht behaupten kann, die Kranichkommunikation entziffert zu haben. Ich habe vielleicht eine Größenordnung von einem Dutzend Kranichlautäußerungen verstanden, aber die ganz komplizierte Kommunikation, die kann ich auch nicht verstehen.
Verständigung auf Zuruf
Billerbeck: Aber wie haben Sie rausgekriegt, welcher Ruf wofür steht?
Weßling: Weil ich in vielen Situationen im Freiland beobachtet habe, was die Kraniche tun, und dann Rufe aufgenommen habe, die mit einer bestimmten Situation zusammenhängen. Zum Beispiel es erscheint ein Adler am Himmel, und es sind vielleicht sechs oder zwanzig Kraniche auf einer Wiese, erscheint ein Adler am Himmel, ein ganz bestimmter Ruf ertönt, und alle Hälse gehen nach oben, die Schnäbel werden nach oben gerichtet nach diesem Ruf.
Oder wieder eine Gruppe von Kranichen auf einer Wiese sind am Futter suchen, und am Rand der Wiese kommt ein Marderhund vorbei. Ein wenig aufregendes Tier aus Sicht der Kraniche. Irgendeiner dieser Kraniche sieht diesen Marderhund, macht einige Rufe, einige Laute, die selbst für unsere Ohren sich so anhören wie "Guck doch mal hier, das ist ganz interessant, aber nicht besonders gefährlich".
Billerbeck: Also was Neues.
Weßling: Etwas Neues, genau. Alle Kraniche hören auf zu futtern, gucken nach rechts und gehen ganz langsam hin, ganz interessiert, gucken sich das an und sind völlig unaufgeregt.
Billerbeck: Sehr interessant.
Weßling: Dass es überhaupt komplizierte Kommunikation geben muss, ist allein schon daran zu sehen – und ich glaube, da habe ich angefangen, mich auch für die Kommunikation zu interessieren –, Hamburg mit dem Duvenstedter Brook liegt überhaupt nicht oder lag damals überhaupt nicht auf einem Hauptzugweg. In Wirklichkeit sind hier gar keine Kraniche rübergezogen. Ich habe immer wissen wollen, wie sind eigentlich die Kraniche, die hier wohnen, angekommen, und ich habe damit gerechnet, dass die den Hauptzugweg der, ich sage mal, über Frankfurt, Kassel, Berlin läuft, diesen Hauptzugweg aus Südfrankreich, Spanien zurückkommen und dann aus Osten hier wieder ankommen.
Dem ist aber nicht so, sondern es kommt eine Gruppe von Kranichen aus dem Südwesten, 40 oder 70 Stück, und über dem Duvenstedter Brook wechselt diese Gruppe die Richtung nach Osten, aus der Gruppe lässt sich das Paar aus dem Hamburger Duvenstedter Brook herausfallen, aus vielen hundert Metern Höhe lässt es sich fallen, landet im Revier und ist wieder da, ist wieder angekommen, während die Gruppe – jetzt nicht mehr 70, sondern nur nach 68 Kraniche – weiter nach Osten fliegt. Da muss eine Kommunikation stattgefunden haben, dass sie wissen, sie wollen über Hamburg fliegen, und der Rest der Gruppe fliegt dann über Hamburg weiter nach Osten.
Billerbeck: Also ein Navi ist gar nichts gegen die Kommunikation der Kraniche, würde ich mal sagen.
Weßling: Nein.
Flexible Kranichzüge
Billerbeck: Sie sind mit Ihren Forschungen ja inzwischen auch international bekannt, waren in den Vereinigten Staaten, sogar an der Grenze zwischen Nord- und Südkorea. Ich habe jetzt gelesen, das habe ich auch am Anfang gesagt, dass es dieses Jahr eine Rekordzahl von Kranichen an der Ostseeküste gab, die da gezählt worden ist. Da könnte man ja annehmen, dass auch besonders viele Jungvögel dabei sind. Ist dem denn so?
Weßling: Ich kann natürlich jetzt nicht überblicken, wie die Bruterfolge in den verschiedenen Ländern gewesen sind. Das erfährt man dann immer erst, ich sage mal, ein halbes Jahr später. Ich würde nicht sagen, dass es unbedingt sehr viele Jungvögel sein müssen.
Billerbeck: Wegen der Trockenheit?
Weßling: Müssen gar nicht unbedingt viele sein. Dieses Jahr war der Bruterfolg, ich sage mal, was ich so gesehen habe, im Wesentlichen durchschnittlich. Letztes Jahr war er schlecht wegen der Trockenheit. Dieses Jahr ging es so einigermaßen. Aber hohe Rastzahlen wie jetzt zum Beispiel an der deutschen Ostseeküste müssen nicht unbedingt mit hohen Brutzahlen in Übereinstimmung gebracht werden, denn die Kranichzüge verschieben sich immer wieder mal.
Mal sind es mehr, mal sind es weniger an dieser oder jener Raststätte, an diesem oder jenem Zugweg. Das liegt daran, dass die Kraniche ihren Zug außerordentlich flexibel gestalten, mal hierher fliegen, mal daher fliegen, mal gar nicht überwintern, sondern in Hamburg bleiben oder nur an die Elbe fliegen oder mal nach Nordafrika und dann nach ein paar Wochen in Nordafrika dann nach Spanien und dann wieder nach Südwestfrankreich und dann schon wieder zurückkommen. Das ist außerordentlich flexibel.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.