Die musikalische Metropole des 19. Jahrhunderts
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Berlioz, Chopin, Rossini: Sie alle lebten im 19. Jahrhundert in Paris. Die französische Stadt war damals das Zentrum der Musik. Der Publizist Volker Hagedorn erklärt, was den "Klang von Paris" ehemals ausgemacht hat.
Mascha Drost: Jede Stadt hat ihre Zeit, auch musikalisch. Im Barock waren es die italienischen Großstädte, dann Wien, das einer ganzen Epoche den Namen gegeben hat – die Wiener Klassik –, und schließlich Mitte des 19. Jahrhunderts war Paris die Metropole der Musik.
Dort lebten und arbeiteten Chopin und Berlioz, Wagner und Offenbach, Meyerbeer, Rossini, sie alle sorgten für den Klang von Paris, und was genau diesen Klang ausgemacht hat, das möchte ich jetzt mit Volker Hagedorn besprechen, Publizist und Musiker, der gerade ein Buch mit eben diesem Titel veröffentlicht hat: "Der Klang von Paris". Herr Hagedorn, wie klang Paris denn damals, die europäische Hauptstadt der Musik?
Volker Hagedorn: Das kommt ganz drauf an, wo man sich bewegte. Also für einen Neuankömmling am Stadtrand spielte die Musik keine Rolle, sondern die Rufe der ersten Straßenverkäufer, die Cris de Paris, mit denen Waren angepriesen wurden. Wenn man sich ins Zentrum der Musik bewegt, natürlich also die Grand Opera, dann spielt das Orchester die größte Rolle. Das war damals also auch schon als Hector Berlioz da ankam.
1821 galt das allgemein als das beste Orchester in Europa. Das haben selbst die kritischen und verwöhnten Londoner zugegeben. Also ein groß besetztes Orchester auf höchstem technischem Niveau, wo man das spielte, was wir heute zeitgenössische Musik nennen würden. Also das Älteste war dann vielleicht was von 1790 oder so, also 30 Jahre alte Sachen.
Dazu kamen exzellente Sänger und eine wichtige Ausbildungsstätte gleich um die Ecke und noch weitere Musiktheater und etliche Salons, in denen Musik gemacht wurde. So viel zur Musik, und ansonsten muss man sich den Klang der Stadt laut und lärmig vorstellen, durchmischt selbst mit dem Grunzen von Schweinen, die damals noch in Hinterhöfen gehalten wurden.
Dazu kamen exzellente Sänger und eine wichtige Ausbildungsstätte gleich um die Ecke und noch weitere Musiktheater und etliche Salons, in denen Musik gemacht wurde. So viel zur Musik, und ansonsten muss man sich den Klang der Stadt laut und lärmig vorstellen, durchmischt selbst mit dem Grunzen von Schweinen, die damals noch in Hinterhöfen gehalten wurden.
Paris: Anziehungspunkt nicht nur für Musiker
Drost: Gehen wir mal zur Musik. Wie hat sich denn die Stadt überhaupt zum musikalischen Zentrum entwickelt?
Hagedorn: Das hängt viel zusammen damit, dass schon im 17. Jahrhundert unter dem Sonnenkönig die Oper, also die Académie royale de musique, als feste Institution gegründet wurde, und dadurch, dass im 18. Jahrhundert es dann einfach viele Auftraggeber gab, vor der Revolution natürlich, Adlige, den Hof, und im 19. Jahrhundert ist die Stadt dann so rasch expandiert nach der napoleonischen Zeit, und auch das bürgerliche Publikum, das ist in mehrfacher Hinsicht einfach ein großer Anziehungspunkt gewesen, also nicht nur für Musiker, sondern auch für Literaten, für Künstler. Da musste man einfach gewesen sein. Das war, wie Heine das gesagt hat, die Spitze der Welt.
Drost: Und was brauchte es, um dort zu reüssieren beziehungsweise anders gefragt: Welche Fehler durfte man als Musiker, als Komponist auf keinen Fall begehen? Paris ist ja auch eine Stadt der spektakulären Reinfälle.
Hagedorn: Tja, also eigentlich hat da wohl jeder Fehler gemacht. So viel kann man gar nicht richtig machen. Das ist natürlich eine Stadt, ein Kessel, was einerseits einen Vorteil hat, der gegenseitigen raschen Anregung, Vergleiche, andererseits einfach auch ein Kessel der Konkurrenz.
Also es gab das Wespennest der Klavierszene, also unzählige Virtuosen, die sich gegenseitig versuchten niederzuspielen. Für einen Komponisten war es eigentlich unabdingbar, Netzwerkerei zu betreiben und Kompromisse zu machen. Also Berlioz neigte gerade nicht zu Kompromissen, und das hat ihm zeitlebens Schwierigkeiten gemacht.
Drost: Und man hat es auch mit einem anspruchsvollen Publikum zu tun, könnte ich mir vorstellen.
Hagedorn: Ja, absolut. Also Berlioz hat das anders gesehen. Er hat immer wieder über das Pariser Publikum hergezogen, aber …
Drost: Aber nur, wenn sie ihn ausgebuht haben vermutlich.
Hagedorn: Er ist da mehrmals auf die Nase gefallen, und natürlich gab es die üblichen Niveaulosigkeiten in der Rezeption auch, aber eigentlich waren das ziemlich gut informierte Leute, und man muss auch sagen, was meine Kollegen von damals angeht, also die Musikkritiker, bei denen war es selbstverständlich, dass sie ein Instrument beherrschten und Partituren lesen konnten. Also das Ganze hat sich auf ziemlich hohem Niveau abgespielt.
Von literarischen Strömungen beeinflusst
Drost: In Ihrem Buch begegnet man allerdings nicht nur Musikern, sondern auch Schriftstellern, wie zum Beispiel Balzac oder Heine. Inwiefern haben sich denn die Künstler oder die Künste gegenseitig beeinflusst damals?
Hagedorn: Also auf jeden Fall waren die alle miteinander viel besser bekannt. Das ist die eine Sache. Die Literaten waren an der Musik viel interessierter, als das beispielsweise bei der literarischen Intelligenz in Frankreich heute ist. Also Balzac hat sich ausführlich mit Rossini beschäftigt, auch mit Meyerbeer, mit "Robert le diable". Das hat ihn fasziniert als Laien. Das ist in sein Werk eingeflossen.
Umgekehrt haben sich die Musiker von zeitgenössischen literarischen Strömungen beeindrucken lassen. Also Liszt hat die Prélude von Lamartine als Inspiration genommen, genau wie übrigens auf seine Art auch Chopin. Dann muss man sich auch klarmachen, dass sie sich alle auch mit verwandten Themen beschäftigt haben.
Also sowas wie die Todesstrafe, die da jeden Sonntag um vier auf der Place de Grève, also nicht jeden Sonntag, aber wenn, dann sonntags um Vier auf der Place de Grève mit der Guillotine exekutiert wurde, die spiegelt sich im Werk von Victor Hugo ebenso wie in der "Symphonie fantastique" von Berlioz - also das ist ein Stück, was wir heute fast … oder was heute oft fast als Gassenhauer gehört wird, der Albtraum vom Gang zum Schafott, das war aber für Berlioz etwas, wovon er wusste, wie das klingt.
Drost: Wie viel ist denn von der Atmosphäre von damals auch heute noch zu spüren, ganz kurz zum Schluss?
Hagedorn: Das kommt drauf an, wo man hingeht. Also ausgerechnet in der Grand Salle des Conservatoire, wo wichtige Berlioz-Werke uraufgeführt wurden sind, wie die "Symphonie fantastique" und "Romeo et Juliet", da kann man der Atmosphäre nur nachtrauern. Das ist ein ganz trockener verbauter Saal geworden mit wenig Aura.
Es gibt aber andere Orte. Ich finde vor allem im Quartier Latin, wo das Kommerzielle auch immer noch nicht so eine Rolle spielt, sondern was mehr studentisch geprägt ist, wo man mehr ahnen kann von dieser Unberechenbarkeit und Aufbruchsstimmung, in der sich die, die wir heute Romantiker nennen, da bewegt haben … Also in so einen alten Hinterhof zu gehen und auf den Spuren von Berlioz und eine uralte Wendeltreppe hochzugehen, da war ich der Zeit, ehrlich gesagt, näher, als wenn ich jetzt vor der Oper stehe.
Drost: "Der Klang von Paris", so heißt das neue Buch von Volker Hagedorn. Erschienen ist es im Rowohlt-Verlag, 416 Seiten kosten 25 Euro.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.