"Argumente wie ein spannender Boxkampf"
Einen Kriegsfilm zu drehen, der nicht auf dem Schlachtfeld spielt, habe ihn gereizt, sagt Volker Schlöndorff. In "Diplomatie" ringt in einer Nacht im August 1944 der kommandierende General von Groß-Paris, Dietrich von Choltitz, mit einem schwedischen Generalkonsul, Raoul Nordling, über das Für und Wider einer Vernichtung der Seine-Metropole – in einer eleganten Hotelsuite.
Susanne Burg Er ist in gewisser Weise wandelnde Filmgeschichte, und zwar, weil Volker Schlöndorff selber mit Filmgeschichte geschrieben hat, indem er zum Beispiel mit seiner Filmversion der "Blechtrommel" 1979 als erster deutscher Film seit 1927 mit einem Oscar bedacht wurde, aber auch, weil er mit Kinolegenden zusammengearbeitet hat. Schlöndorff ging in Frankreich zur Schule und tauchte früh ein in die Welt der Nouvelle Vague, arbeitete als Regieassistent an Filmen von Louis Malle, Jean-Pierre Melville und Alain Resnais mit.
Mittlerweile hat Schlöndorff fast drei Dutzend eigene Filme gedreht. Sein jüngstes Werk heißt "Diplomatie", ein Historiendrama, das in Paris im August 1944 spielt. In Frankreich haben den Film schon über eine halbe Million Zuschauer gesehen, in Deutschland kommt er am Donnerstag in die Kinos. Mein Kollege Patrick Wellinski hat Volker Schlöndorff getroffen, bevor der schon wieder zu neuen Projekten in die USA aufgebrochen ist. Patrick, wie viel geballte Filmgeschichte ist dir denn da begegnet?
Patrick Wellinski: Ganz viel, und vor allem ein bisschen angeschwitzt, denn wir haben uns am heißesten Tag des Jahres getroffen, was wir davor natürlich nicht wussten. Und Volker Schlöndorff ist so entspannt und so locker, dass man, wenn man ihn trifft, nie das Gefühl hat, vor einem steht ein Oscar-Gewinner, ein Gewinner des Filmfests in Cannes. Nein, er war da ganz entspannt, wollte noch Geld in den Taxameter werfen – ein Oscar-Gewinner, der das macht, ist einem sofort sympathisch. Und man muss sich das schon mal auf der Zunge zergehen lassen: Er hat ja überall und mit jedem gearbeitet, und der Mann verdient, finde ich, viel mehr Respekt als er zurzeit vor allem in Deutschland bekommt. Das ist ein großes Problem, dass wir unsere großen Filmkünstler nicht ehren.
Und zurzeit dreht er ja halt an einer sehr interessanten Periode in seiner Karriere. Die letzten Filme beschäftigen sich sehr stark mit dem Zweiten Weltkrieg, das war schon immer ein sehr prägendes Thema, aber wenn wir uns an "Der Neunte Tag" erinnern oder "Das Meer am Morgen", seine letzten zwei Filme – das waren wunderbar interessante Einblicke in den Alltag des Zweiten Weltkrieges von Widerstandskämpfern, und so ist auch sein neuer Film. Und deshalb wollte ich ihn am Anfang fragen, Herr Schlöndorff, wie ist das eigentlich: Finden diese Themen Sie oder suchen Sie konkret nach diesen Themen?
Volker Schlöndorff: Es ist eine Heimsuchung. Schon vor Jahren hat mir mal ein alter Agent in Hollywood gesagt: Suchen Sie nicht den nächsten Stoff, der nächste Film wird Sie finden. Und mich finden halt leider immer die mit der deutschen Vergangenheit.
Wellinski: Ihr Film "Diplomatie" spielt in einer Nacht im August 1944. Es ist ein Kammerduell zwischen dem kommandierenden General von Groß-Paris, Dietrich von Choltitz, der mit einem schwedischen Generalkonsul, Raoul Nordling, über das Für und Wider über die Vernichtung von Paris spricht. Warum war das für Sie ein so würdiger Kinostoff?
"Es ist erst mal eine finstere Unterhaltung"
Schlöndorff: Na ja, es ist erst mal eine finstere Unterhaltung, wenn man sich überlegt, dass im elegantesten Hotel von Paris in einer sehr schönen Suite bei der letzten Flasche guten Rotwein darüber debattiert wird, ob das, was vor dem Fenster ist, nämlich der Louvre, die Seine-Brücken und der Eifelturm, in die Luft gesprengt werden sollen oder nicht. Und diese Diskrepanz hat mich natürlich zunächst mal gereizt. Also ein Kriegsfilm, der nicht auf dem Schlachtfeld spielt, sondern in einer Hotelsuite, ist schon mal interessant. Dann kommt dazu: Der General Dietrich von Choltitz, der Paris nicht in die Luft sprengt, ist aber bei Weitem kein Gutmensch und auch kein großer Kunstliebhaber oder Humanist, es muss also bei ihm ein Kalkül geben, und, sagen wir mal, wenn Paris von einem Bösewicht gerettet wird – ist ja noch fast interessanter. Und ebenso ist es bei dem Konsul, dem schwedischen Konsul, der sich sozusagen selbst den Auftrag gibt, Paris zu retten – denn er ist der eigentliche Retter von Paris –, der benutzt nun alle Mittel, erlaubte oder unerlaubte, der Diplomatie, insbesondere faustdicke Lügen, um sein Ziel zu erreichen, also ist auch nicht gerade ein Chorknabe.
Wellinski: So wie das Theaterstück verdichten Sie natürlich. Die Fiktion legt sich über die Quellen aus den Archiven dieser Geschichte. Was wollen Sie eigentlich herausfiltern? Weil es geht Ihnen ja nicht nur darum, historische Fakten wiederzugeben.
Schlöndorff: Nein, natürlich, da könnte man einen sehr guten Dokumentarfilm machen, gibt es wahrscheinlich auch. Das ist natürlich beinah eine Meditation. Frage: die Macht des Wortes – kann man Kriegsgeschehen beeinflussen durch Verhandlungen? Meine klare Antwort ist, ja, nicht nur im Fall von Paris, sondern hoffentlich auch in Israel, in Afghanistan, im Irak, in Syrien, wo es gerade überall nötig wäre, dass starke Diplomaten auftreten und mit guten Argumenten ihre Ziele erreichen. Es ist keine Vergangenheitsbewältigung. Mir ist auch egal, ob jetzt der General von Choltitz zum Schluss als ein Held oder ein etwas bornierter deutscher General rüberkommt, es ist interessiert mich gar nicht. Man nimmt sich dieses Spielfeld, um eine Betrachtung anzustellen: Wie kommt man überhaupt zu einer Entscheidung?
Der General ist ratlos buchstäblich, er ist in einem Dilemma. Für ihn gibt es eigentlich nur einen Wert als preußischer General, das ist die Ehre der Familie. Darum kämpft übrigens noch heute seine Familie, also die Söhne und Töchter und die weiteren Nachkommen. Auf der anderen Seite sagt aber der Konsul zu ihm: Ja, aber die Ehre Ihrer Familie wird erheblich befleckt werden, wenn Sie Paris zerstören. Ewig wird die Menschheit mit dem Finger auf die Familie Choltitz zeigen. Das werden Sie nicht loswerden. Und nun versucht der General, rauszubekommen: Was ist das Beste für mich? Er überlegt nicht, was ist das Beste für Paris? Er sagt ausdrücklich: Warum soll ich mich um eine Stadt kümmern, die ich gar nicht kenne? Er ist drei Wochen vorher angekommen. Er hat keine Zeit gehabt, die zu besichtigen, er ist kein Tourist hier, er ist im Krieg, und da draußen, das sind keine Menschen, sondern das sind Feinde, und wenn diese Feinde auf seine Truppen schießen, auch die Zivilisten, dann sind das eben Terroristen und dann ist alles erlaubt. Also das ist die eine Logik.
Und dann gibt es eben die andere Logik, das ist die Logik der Menschlichkeit, die Logik des Kompromisses, die Logik, dass vielleicht auch Kunstwerke zur Menschheit gehören und vielleicht so wichtig sind wie Menschen und gerettet werden sollten. Und damit ist man ja weit weg von der Vergangenheitsbewältigung, wer war schuld und wann hört die Schuld der Deutschen auf, sondern das sind für mich ganz allgemeine Betrachtungen, und das, finde ich, macht es auch so spannend, warum auch ja doch eine halbe Million Zuschauer in Frankreich aufmerksam zugehört haben, weil der Austausch der Argumente wie ein spannender Boxkampf ist.
Wellinski: Es geht in "Diplomatie" aber auch natürlich um Paris, Paris als Stadt, Paris als Ort der westlichen Kultur. Und da fällt mir ein Bonmot ein von Ernst Lubitsch, der sagte: Es gibt ein Paris vom Paramount, ein Paris von Metro und es gibt das Paris in Frankreich – und das beste ist das von Paramount. Was ist Ihr Paris?
"Als ob man in ein Bild von Caravaggio reinfliegt"
Schlöndorff: Ja, mein Paris ist dieses Paris, ich würde sogar sagen, ist das Paris von Jean-Pierre Melville, der es aber nur sehr, sehr sparsam immer gezeigt hat. Und an dieser Sparsamkeit habe ich mich versucht, zu orientieren, bis auf die letzte Einstellung, da dachte ich: Jetzt haben wir den ganzen Film über hier über Paris gesprochen und jetzt einmal, wumm, und habe mir vorgestellt, also eine Drohne fliegt über den Fluss, damit der Fluss ganz glatt bleibt im Morgengrauen, und die Stadt spiegelt sich beinah wie eine irreale, schöne Kulisse. Es ist, als ob man in ein Bild von Caravaggio reinfliegt.
Wellinski: Waren Sie im Grunde Ihres Herzens nicht eigentlich immer schon ein französischer Regisseur?
Schlöndorff: Ja, ich habe mir redlich Mühe gegeben, das zu sein, aber die deutsche Natur schlägt doch auch immer wieder durch. Aber jedenfalls die Handschrift ist Französisch, übrigens auch, wenn ich einen Brief schreibe. Ich habe nun mal das in Frankreich gelernt und meine Buchstaben sind französisch.
Wellinski: Was haben Sie eigentlich von jemandem wie Louis Malle gelernt, was ein heutiger Filmstudent vielleicht an der gerade zur Filmuniversität hochgestuften Konrad-Wolf-Hochschule nicht lernen wird?
Schlöndorff: Das meiste, was man lernt als Regieassistent, ist durch die Beobachtung: Wie verhält der Regisseur, dessen Assistent man ist, sich in gewissen Situationen? Wie verhält er sich, sagen wir mal, zwischen Brigitte Bardot und Jeanne Moreau, die beide schöne Frauen sind und noch schöner sein wollen und wo natürlich eine gewisse Rivalität ist und wo es auch gewisse Vorgeschichten gegeben hat? Und nun kommt ein männlicher Hauptdarsteller dazu – wie kann man das austarieren? Bei Melville, unglaublich – also wie schafft der diese Dichte in seinen Situationen? Wie schafft der, dass man dauernd diese Bedrohung fühlt? Und dabei sind das doch nur Männer mit Hut in einer Dekoration. Wie schafft es Alain Resnais beim "Letztes Jahr in Marienbad", dass man überhaupt sich darauf einlässt, auf dieses Spiel mit den Kamerafahrten durch die Schlösser? Und wenn ich ihn danach frage, er mir dann sagt, ja, ist alles nur eine Frage von Geduld und Ausdauer – also Genie für ihn ist Geduld und Ausdauer –, das sind die Sachen, die man lernt. Man lernt einfach, wie die Regisseure sind, beziehungsweise wie die Mensch sind.
Wellinski: In der deutschen Filmgeschichte ist Ihr Name – mit anderen natürlich – verbunden mit dem Oberhausener Manifest, mit einem Kino, das sich radikal gegen Großvaters Kino wandte und Ihre neuen Stoffe in der Gegenwart suchte. Und ich finde es ganz interessant, jetzt auch "Diplomatie", aber auch Ihre letzten Filme, zum Beispiel, der von Ernst Jünger handelt – wenn man die noch mal sich annimmt, könnte man ja im ersten Moment meinen, das ist ja irgendwie Großvaters Kino, aber nein, Sie gucken ja auf das, was Großvater machte. Inszenieren Sie weiter Manifest-Kino unter anderen Gesichtspunkten?
"Ich bin eben auch ein Opa, biologisch jedenfalls"
Schlöndorff: Nein, man verändert sich Gott sei Dank im Laufe des Lebens, vielleicht nicht als Mensch, aber jedenfalls als Regisseur verändert man sich. Und damals haben wir gerufen nach mehr konkreter deutscher Wirklichkeit im Film. Alles spielte immer in den Bergen, in den Kulissen in Hongkong oder in Seoul, nur nie auf einer Straße in Berlin oder in München. Und inzwischen hat man ja, wie soll ich sagen, von dem allabendlichen oder allwöchentlichen "Tatort" bis zu sämtlichen jungen deutschen Filmen ununterbrochen die jungen Leute auf der Straße und das Leben in der Stadt und so weiter mehr oder weniger richtig da abgebildet. Deshalb erlaube ich mir so die Ausflüge in die Geschichte. Wenn man sagt, das ist Opas Kino – ja, da muss ich sagen, ich bin eben auch ein Opa, biologisch jedenfalls.
Wellinski: Stört es Sie eigentlich, dass man Sie manchmal auch kollektiv wahrnimmt eben mit den Kollegen, mit denen Sie dann weiter nach dem Oberhausener Manifest drehten, Werner Herzog, Wim Wenders? Ich erinnere mich an eine Szene vielleicht. Vor einiger Zeit war Werner Herzog in Berlin an der Volksbühne und hat eine szenische Lesung gegeben. Der lag da in einer Hängematte, hat aus seinen Tagebüchern gelesen und eine südamerikanische Band ging so durch den Raum. Und dann habe ich Sie dort gesehen, wie Sie an der Tür gelehnt waren und sehr zufrieden in den Raum guckten und Ihren altem Freund bei der Arbeit zusahen. Und ich dachte mir: Sie mögen das, oder? Sie mögen das auch. Sie sind eine Generation.
Schlöndorff: Ja. Also erstens mal ist Werner Herzog ein guter Freund und ich werde nie, nie aufhören, belustigt zu sein über seine Auftritte, also es ist nicht Hitchock, er hat sich stilisiert, Werner Herzog ist das Genie schlechthin in der Selbstdarstellung. Da braucht er gar nicht in seinen Filmen aufzutreten – seine Selbstdarstellung ist so stark, die spürt man sogar von hinter der Kamera. Und wenn er dann auf der Volksbühne sich in die Hängematte legt, also ich finde das ganz wunderbar. Übrigens ist auch der Text in dem Buch, aus dem er vorgelesen hat, ist ganz wunderbar, "Die Eroberung des Nutzlosen". Das könnte man ja ... die ganze Filmgeschichte so überschreiben. Und wenn es auch nutzlos ist, unser Kino – zum Leben gehört es doch.
Wellinski: Herr Schlöndorff, vielen Dank für das Interview!
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