Volker Weiß: "Das Deutsche Demokratische Reich"

Wie Rechte versuchen, die Geschichte zu verdrehen

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Buchcover des Sachbuchs „Das Deutsche Demokratische Reich. Wie die extreme Rechte Geschichte und Demokratie zerstört“ von Volker Weiß: Es ist schlicht schwarz-weiß gehalten und verzichtet auf Bilder
© Klett-Cotta

Volker Weiß

Das Deutsche Demokratische Reich. Wie die extreme Rechte Geschichte und Demokratie zerstörtKlett-Cotta, Stuttgart 2025

288 Seiten

25,00 Euro

Von Nils Schniederjann |
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Nicht nur der Nationalsozialismus steht im Fokus rechter Geschichtsklitterung. Auch bei der Beziehung zu Russland oder dem Verhältnis zur DDR schwanken rechte Denker zwischen Bewunderung und Abscheu. Kein Zufall, sagt der Historiker Volker Weiß.
Rechte, traditionalistische Bewegungen sind naturgemäß daran interessiert, die Geschichte in ihrem Sinne zu deuten. Schließlich prägt nach ihrem Weltbild die eigene Geschichte, wer und was wir heute sind. Zweifel an den heroischen Taten der Vorfahren sollen zumindest zerstreut, wenn nicht gar aus dem Diskurs verbannt werden.
Welche erschreckenden, manchmal bizarren, oft genug auch nur kuriosen Blüten ein solch instrumenteller Blick auf die eigene Vergangenheit treibt, hat der Historiker Volker Weiß in seinem Buch zusammengetragen. Er widmet sich darin, wie er schreibt, „den Überschreibungen und Umdeutungen des Historischen, mit denen in der Gegenwart massiv Politik gemacht wird“.
Die historischen Bezugspunkte, um die die radikale Rechte dabei vor allem mit sich selbst und teils auch mit dem Mainstream ringt, sind die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und der DDR sowie das Verhältnis zur Ukraine und zu Russland. Der Blick nach Osten, so der Autor, sei immer ambivalent gewesen.

„Es gab den preußischen Traditionsstrang, der Ruhe an der Ostgrenze suchte, aber die slawischen Minderheiten im eigenen Land unterdrückte. Es gab den ‚abendländischen‘ Flügel, der Mitteleuropa dominieren wollte und sich nach Osten mit einer Pufferzone abzusichern gedachte. Völkische Rassentheoretiker sahen im Osten den dringend benötigten ‘Lebensraum’, den sie bis zum Ural zu kolonisieren anstrebten, andere wollten lieber mit Russland und später selbst der Sowjetunion den ‘Westen’ besiegen. Manche planten auch alles in einem und wollten erst mit der Sowjetunion gegen den Westen zu Felde ziehen, um sich dann weiter nach Osten auszubreiten.“

Volker Weiß in: „Das Deutsche Demokratische Reich. Wie die extreme Rechte Geschichte und Demokratie zerstört“

Widersprüchliches Bild von Russland

Das Russlandbild der extremen Rechten ist bis heute widersprüchlich. Ein Teil sieht etwa im Ukraine-Krieg eine Fortsetzung der Konflikte des Zweiten Weltkriegs und will die Chance nutzen, Russland endlich zu besiegen. Ein anderer Teil hofft darauf, sich mit dem autoritär geführten Russland gegen den als liberal und dekadent gebrandmarkten Westen zu verbünden.
Einig seien sich beide Seiten nur darin, so Weiß, dass man sich der Geschichte instrumentell bediene, um die jeweils eigene Position zu stärken. Dazu gehört zentral auch die Erinnerungsabwehr gegen die Gräueltaten des Nationalsozialismus.
In einem hochaktuellen Kapitel zeigt Weiß, wie sich die Rechte seit Jahren eines vermeintlichen Zitats von Goebbels bedient, um die Nazis zu Linken umzudeuten. Dieser soll geschrieben haben: „Der Idee der NSDAP entsprechend sind wir die deutsche Linke. Nichts ist uns verhaßter als der rechtsstehende nationale Besitzbürgerblock.“
Volker Weiß weist durch exzellente Recherche nicht nur nach, dass Goebbels diese Worte nie geschrieben hat, sondern auch, von welchem heute unbekannten Autor das Zitat tatsächlich stammt. Schließlich beweist er, dass der echte Goebbels nie Zweifel an der anti-egalitären Agenda seiner Bewegung aufkommen ließ.
Für die extrem Rechten gilt das Zitat dennoch als Beweis, dass sie selbst mit dem Nationalsozialismus nichts zu tun hätten – im Gegensatz zu ihren politischen Gegnern, die wiederum als politische Nachfolger Adolf Hitlers dargestellt werden.

Sozialistische Hymne auf AfD-Demos

Ein ähnlich lockerer Umgang mit der Geschichte sei auch in Bezug auf die DDR zu beobachten. Eines der Beispiele im Buch: Das in der DDR weit verbreitete Lied „Kleine weiße Friedenstaube“. Einst eine sozialistische Hymne, werde das Lied heute auf AfD-Demonstrationen gegen die Russland-Sanktionen gespielt. Dieser plötzliche Pazifismus der ehemaligen DDR-Bürger sei erstaunlich – hätten sich vor 1989 doch nur wenige gegen die enorme Militarisierung der DDR gewehrt.
Das Beispiel zeige, wie wenig geeignet die Situation noch für Diskussionen sei, schreibt Volker Weiß: „Wenn eine Partei, die sich selbst dem radikalen Antikommunismus verschrieben hat, mit sowjetnostalgischen Elementen spielt und ein ostdeutsches Publikum, das sonst alles Übel mit der DDR vergleicht, dabei vor Rührung mit den Tränen kämpft, sind Instanzen jenseits der Ratio angesprochen.“
So entsteht das Bild einer durchaus machthungrigen Gruppe von Rechten, die zu jeder noch so verqueren Geschichtsverdrehung bereit ist, wenn es ihr nützt. Das Pendant dazu ist die Masse, die ihrerseits bereit ist, diese Verdrehungen zu glauben und gegen jede Vernunft weiter zu verbreiten.
Dieser Eindruck drängt sich durch die Fülle der Einzelfallstudien immer mehr auf. Bloß die Frage, warum so viele Menschen überhaupt bereit sind, den extrem Rechten zu glauben, bleibt unbeantwortet.

Erfolg mit Taschenspielertricks

Der Historiker schließt mit der Pointe, dass diese Rechten mit ihren Versuchen, Begriffe neu zu besetzen und Geschichte in ihrem Sinne umzudefinieren, im Grunde ähnlich arbeiteten wie die von ihnen verhasste dekonstruktivistische Linke. Diese „subversive Resignifikation“, wie er ihre Strategie nennt, sei sogar eine der wirksamsten Waffen der Rechten.
Angesichts der Tatsache, dass die Linke mit dieser Strategie – also mit der Abkehr von handfesten, materiellen Konflikten hin zu Kämpfen um Begriffe und Symbolik – weitgehend gescheitert ist, wundert man sich als Leser doch: Warum die Rechten mit diesen kuriosen Taschenspielertricks ganz anders als die Linken so erfolgreich sind, bleibt letztlich ungeklärt.
Dennoch: Einzelne unbeantwortete Fragen schmälern nicht den Wert des Buches, das eindrucksvoll belegt, dass es den selbsternannten Liebhabern von Tradition und Geschichte vor allem um eines geht: um die eigene Macht.
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