Die Berliner und das Flughafentrauma - Hören Sie hier eine Glosse von Julius Stucke über die Verspätung beim Hauptstadtflughafen BER und die Offenhaltung von Berlin-Tegel.
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Macht Tegel den Abflug?
Das Kürzel TXL spaltet die Hauptstadt: Bei der Bundestagswahl wird in Berlin per Volksentscheid über die Offenhaltung des Flughafens Tegel abgestimmt. Für hunderttausende Berliner, die in der Einflugschneise leben, verknüpft sich damit die Hoffnung auf ein Leben ohne Fluglärm.
Diesen Fluglärm haben die Demonstranten Mitte der Woche selbst mitgebracht, als sie auf dem Kurfürstendamm demonstrieren für die Schließung des Flughafens Tegel. Sie halten Transparente hoch, auf denen zu lesen ist "Lärm gegen den Lärm" oder "Gib mir den Himmel zurück". Prominente Unterstützung gibt es auch.
Auf einer Bühne spricht die Schauspielerin Jasmin Tabatabai zu den Menschen, die sich auf dem Bürgersteig versammelt haben vor schicken Modegeschäften und Cafés:
"Liebe Berliner, liebe Berlinerinnen! Lasst euch bitte nicht missbrauchen von Populisten, die euch vorgaukeln, dass es hier etwas zu entscheiden gibt. Wo jeder, der sich auch nur ein bisschen mit der Rechtslage auskennt, sagt: Es ist nicht möglich, ohne dass Berlin in ein Chaos gestürzt wird."
Seit Mitte der 90er-Jahre, als die Planungen begannen für den neuen, aber bis heute nicht fertiggestellten Flughafen BER, rechnet man in Berlin damit, den Flughafen Tegel zu schließen. Und zwar ein halbes Jahr, nachdem der Flughafen BER eröffnet ist.
Umfragen im Frühjahr deuteten noch auf ein klares Ergebnis hin zugunsten der Tegel-Befürworter. Derzeit stehen die Prognosen nur noch für eine knappe Mehrheit.
Michael Kromarek: "Wenn der Volksentscheid durch geht, und da sind wir ziemlich sicher, weil es ja mit den Bundestagswahlen auf einen Tag fällt und damit kein Problem besteht, das Quorum zu erreichen, dann haben wir eine sehr starke Empfehlung an den Senat von Berlin und das Abgeordnetenhaus, Tegel offen zu halten."
Michael Kromarek ist Rentner und hat "Tegel bleibt offen e.V." gegründet. Eine Bürgerinitiative, die im Frühjahr mehr als 200.000 Unterschriften in einem Volksbegehren sammelte für diesen Volksentscheid am Sonntag.
Das Kürzel TXL spaltet Berlin
Und so spaltet das Kürzel TXL seit gut einem halben Jahr die Stadt Berlin. Die einen wollen einen Airport erhalten, der neben Tempelhof auch als Symbol dient für die Freiheit West-Berlins, die anderen halten diesen Plan für einen ökologischen und ökonomischen Irrsinn.
"Ich sehe in Tegel überhaupt keine Zukunft. Wir können nicht Unsummen in zwei Flughäfen stecken. Das rentiert sich auch nicht als Drehkreuzkonzept, das macht einfach auch wirtschaftlich und planerisch keinen Sinn."
Diese Rentnerin wohnt in Pankow, also in der Einflugschneise. Der Tegel-Befürworter kommt aus Steglitz, einem Stadtteil ohne Fluglärm.
"Weil es unmöglich ist, als Weltstadt nur einen Flughafen zu haben. Der Neue wird kaum fertig. Man spekuliert schon darauf, dass er gar nicht fertig wird. Also eigentlich unmöglich."
Aber es gibt auch Tegel-Fans, die in der Nähe des Flughafens wohnen und ihn dennoch behalten wollen. Und sich nicht vorstellen wollen, in Brandenburg abzufliegen, um in Mallorca zu landen:
"Weil wir doch als Hauptstadt unseren eigenen Flughafen brauchen. Wir leben jetzt 50 Jahre damit. Ich bin Teglerin. Und ich finde, die Alternative nur Schönefeld, das ist einfach zu wenig. Wenn Tegel eine Entlastung bekommt und nur noch minimal für Geschäftsflieger und so offen ist, aber für den Notfall immer noch verfügbar ist."
Große Podiumsdiskussion in der Urania
Nach der Demonstration auf dem Kurfürstendamm ziehen die Tegel-Gegner in das Bildungszentrum Urania in Schöneberg, am Abend veranstalten die Lokalzeitung Tagesspiegel und der Sender rbb eine große Podiumsdiskussion. Der Fernsehmoderator berichtet vor allem von Emotionen, die die rund 1.000 Besucher mitgebracht haben:
"Man hört, es geht hoch her. Es gibt eine klare Mehrheit der Tegel-Schließungs-Befürworter hier im Saal ..."
Die jetzt auf die politischen Protagonisten treffen im Kontext Tegel: Den Regierenden Bürgermeister Michael Müller von der SPD und seine bündnisgrüne Stellvertreterin, Wirtschaftssenatorin Ramona Pop. Die rot-rot-grüne Landesregierung von Berlin will den Flughafen Tegel wie geplant schließen nach der Fertigstellung des BER.
Ramona Pop: "Ich möchte nicht, dass unser Luftverkehrsstandort Berlin kaputt gemacht wird, weil die Berliner FDP hier eine Politik der Büche-der-Pandora-Öffnung betreibt. (Buh-Rufe) Und sie haben die Stadt gespalten in dieser Frage."
Der angesprochene Fraktionschef der FDP, Sebastian Czaja, er ist quasi das Gesicht der "Tegel-offen-Halten" Kampagne. Im Bundestagswahlkampf lassen sich die Kandidaten als "Tegel-Retter" plakatieren, nachdem Czajas Berliner Freie Demokraten mit diesem Thema im vergangenen Jahr den Wiedereinzug seiner Partei ins Abgeordnetenhaus geschafft hatten.
Sebastian Czaja: "Weil Berlin Tegel braucht." (Buh-Rufe)
Aufgeheizte Stimmung im Saal
Die Stimmung im Saal ist so aufgeheizt, dass bereits bei der Fragestellung der Moderatoren gebuht wird, bevor die Diskussionsteilnehmer überhaupt antworten können. Immer wieder bemühen sich die beiden um Sachlichkeit, insbesondere auch mit ganz konkreten Fragen der Zuschauer – jenseits aller Polemik:
"Wie sieht es denn aus mit Entschädigungen für die, die unter ganz anderen Voraussetzungen gekauft haben?"
Weil es eine klare Aussage des Senats gab, dass Tegel geschlossen wird.
Stimmt das Wahlvolk nun für die Offenhaltung, hat die recht junge Regierung von Berlin ein großes politisches Problem. Denn über 300.000 Menschen leben in der Einflugschneise des Flughafens.
So viele, wie Karlsruhe Einwohner hat. Nirgendwo in Deutschland dröhnen Flugzeuge so laut wie in den Stadtteilen Wedding und Pankow oder wie in Spandau.
Hier lebt Familie Fahrun. Ein schmuckes Reihenhaus am Wasser. Und Keimzelle einer Bürgerinitiative, die sich jetzt wehrt gegen den Höllenlärm. Auf der Dachterrasse erzählt Michael Fahrun, wie sehr er sich darauf verlassen habe, dass Tegel schließt:
"Ich habe mir das Haus gekauft mit meiner Familie zusammen, um hier zu leben - und zwar in Ruhe zu leben. Ich wollte das Haus eigentlich nicht verkaufen, wenn der Flughafen weg ist, dann hätte ich Gewinn machen können, aber das ist nicht der Plan. Ich bin ein normaler Mensch mit normaler Familie und wir wollen hier Leben – in Ruhe."
Angst in den betroffenen Wohngebieten
Wenn man in Tegel landet, dann hat man ja oft das Gefühl, dass es ganz gut wäre, wenn jetzt mal die Landebahn kommt, das heißt, man fliegt in einer Intensität über Wohngebiete, das merkt man ja, haben Sie auch Angst?
Heike Fahrun: "Ja, habe ich. Besonders, wenn irgendwie man das Gefühl hat, dass durchgestartet wird. Wir haben hier Situationen schon erlebt, wo man denkt, oh, das ist jetzt aber knapp ... das ist kaum auszuhalten."
Als Heike Fahrun erzählt ist es einer dieser sehr windigen Tage, an denen die Flugzeuge über dem Tegeler See mit den Flügeln wackeln und bei der Landung seitwärts wegschmieren, in unmittelbarer Stadtnähe ein in der Tat beängstigendes Bild. Vor der Abstimmung am kommenden Sonntag beschäftigen Sicherheit, Lärmbelastung, juristische und damit auch wirtschaftliche Risiken rund um das Thema Tegel die Stadt wie nie zuvor. Der rot-rot-grüne Senat hat in einem Brandbrief an alle Berliner Haushalte noch einmal seine Argumente für die Schließung des Flughafens zusammengefasst.
Für Manfred Glitza, einen Nachbar der Fahruns, kommt dies allerdings etwas spät:
"Wir haben ja ungefähr seit Anfang September den Brief des Senats bezüglich der Punkte, die wesentlich sind für die Schließung von Tegel und das ist ein Zeitpunkt, der eigentlich zu spät liegt. Man hat so den Gegnern zu viel Platz gelassen und zu viel Raum gelassen, vor allem aber auch Zeit, ihre Aktion zu starten und durchzuziehen und deswegen sind sie auch relativ erfolgreich und liegen jetzt bei 52 oder 54 Prozent."
Für Klaus Lederer, Kultursenator der Linkspartei, sind solche Umfragewerte ein doppeltes Problem, denn eigentlich gilt er als expliziter Verfechter der direkten Demokratie. So stimmte er auch für einen Abstimmungstermin zeitgleich mit der Bundestagswahl, um eine hohe Beteiligung zu erreichen – pokerte damit aber hoch:
"Wir werden auch keine umfassende mit Steuern finanzierte Senatskampagne machen. Sondern alle Senatsmitglieder werden bei jeder sich bietenden Gelegenheit am Wahlkampfstand, bei öffentlichen Veranstaltungen, bei Presseterminen und dergleichen unsere Argumente nach vorne schieben und damit auch deutlich machen, dass wir hier die Interessen der ganzen Stadt vertreten. Und nicht nur die Interessen eines kleinen Teils der Stadt wie beispielsweise die Interessen eines Billigfliegers, der ein windiges Gutachten in den Raum geworfen hat, was jetzt offensichtlich bei der Union als Verhandlungsgrundlage bei einem Mitgliederentscheid ausgereicht hat. Das ist schon einigermaßen erstaunlich."
CDU, FDP und AfD auf einer Linie
Lederer spricht von Ryanair und der CDU. Die irische Fluglinie nutzt die Tegel-Diskussion um Schlagzeilen zu machen, hat selbst jedoch gar keine Aktien in der Angelegenheit, da sie in Berlin ausschließlich den Flughafen Schönefeld anfliegt. Die CDU wiederum nutzte das angesprochene Gutachten als Entscheidungsgrundlage für eine Mitgliederumfrage, in der sich im Hochsommer eine Mehrheit der Befragten für eine Offenhaltung von Tegel entschied. Somit liegt die Berliner CDU bei diesem Thema auf einer Linie mit der AfD und der FDP.
Florian Graf: "Aber wo wir bei Ihren Verzweiflungstaten sind: Gut eine halbe Million Euro Steuergeld haben Sie verschwendet für Ihren Werbebrief. Die Fotos waren auch gut von Ihnen Dreien, das hat auch gut geklappt. Aber darin rechnen Sie den Bürgerinnen und Bürgern vor, dass etwa eine Milliarde Euro Sanierungskosten für Tegel den Baukosten von 50 Schulen oder 8409 Wohnungen entsprechen. Herr Regierender Bürgermeister, haben Sie eigentlich schon mal nachgerechnet, wie viele Schulen und wie viele Wohnungen Sie bauen könnten, wenn unter sozialdemokratischer Führung der letzten Regierungen es in den letzten 15 Jahren nicht zu den Verzögerungen beim BER gekommen wäre? Es sind über zwei Milliarden Euro, meine Damen und Herren!"
Florian Graf ist Fraktionsvorsitzender der CDU im Abgeordnetenhaus und Raed Saleh sein Pendant von der SPD:
"Ich schäme mich für Sie. Ich schäme mich für Sie, weil Sie Verrat an unzähligen Ihrer eigenen Wählerinnen und Wähler begehen, ob in Spandau, in Pankow, in Mitte oder in Reinickendorf."
Ähnlich spät wie der Senat reagierte auch das Abgeordnetenhaus auf die inzwischen hitzige Debatte in der Stadt. Das Thema ins Stadtparlament bringen wollte ursprünglich eigentlich nur die AfD-Fraktion, sie war es, die einen Tegel-Ausschuss beantragte. Vergeblich, denn weder die Pro-Tegel-Partei FDP noch die CDU wollten in einer Oppositionslinie mit der AfD auftauchen.
Viele Fragen um den BER
Frank Christian Hansel, parlamentarischer Geschäftsführer der AfD-Fraktion, wollte den Ausschuss nach eigenem Bekunden schlichtweg, um im Abgeordnetenhaus die zweifelsfrei ausstehenden Fragen klären zu lassen:
"Weil erstens bleibt der BER ein Problem und wird nicht vor 2020 fertig und die Tegel-Frage bleibt bis zur Eröffnung des BER latent offen. Es muss der Lärmschutz organisiert werden, es muss gesprochen werden mit den Luftfahrtgesellschaften, wer welche Rechte übernimmt und welche Rechte zum BER gehen. Wir werden weitere Passagier-Wachstumszahlen haben, und zwar deutlich stärker als die Prognosen sind. Und das Thema muss weiterhin bleiben, weil so, wie sich der Senat die Realität hindrehen will, wird sie nicht kommen."
Die Realität des Senats wird von der Tegel Projekt GmbH entworfen, einer städtischen Gesellschaft mit der Aufgabe, die frei werdende Fläche des Flughafens städtebaulich zu entwickeln. Diese Gesellschaft hatte nun immerhin ein paar Jahre mehr Zeit als erwartet, die Bevölkerung über das aufzuklären, was auf dem Gelände des Flughafens entstehen soll.
Platz für Wohnungen, Hochschule, Startups und Natur
Jutta Glitza von der Bürgerinitiative "Tegel schließen" hat sich informiert über das, was kommen soll, wenn die Flugzeuge endlich verschwunden sind:
"Also mir ist bekannt, dass es da schon relativ konkrete Pläne gibt unter dem Motto Zukunft für Berlin. Die Hochschule möchte dort gerne hin, Startup-Unternehmen, das ist alles auch schon in der Planung, wie die Umbauten erfolgen sollen. Wohnungsbau, ungefähr 9000 Wohnungen. Und eine große Freifläche wird bleiben für die Natur."
Es ist müßig, die freundliche Frau zu fragen, wie sie am Sonntag abstimmen wird:
"Da werden Autobahnen nicht gebaut, weil da irgendein Käfer krabbelt. Also Käfer können nicht mehr wert sein als 300.000 Leute."