Weite Freiheit oder Wohnpark?
Seit fast sechs Jahren ist der frühere Zentralflughafen Tempelhof stillgelegt. Aber wie geht es mit dem riesigen Gelände weiter? Nach den Plänen des Senats soll der Rand des ehemaligen Flugfeldes bebaut werden. Doch eine Bürgerinitiative will das mithilfe eines Volksentscheids verhindern und das gesamte Areal in seiner jetzigen Form erhalten.
"Eigentlich ist das Areal doch total oll. Was findet ihr bloß alle daran? Ein stillgelegter Flughafen! Es gibt nicht mal 'nen scheiß Teich oder Bäume und Bänke." "Dafür aber die absolute Freiheit", insistiert Florian. "Freiheit?" Eske zieht die Beine an ihren Oberkörper. "Alles ist begrenzt. Die Öffnungszeiten. Wo man grillen darf. Wo Hunde ohne Leine sein dürfen. Wo man seinen Garten hinpflanzen darf. Hier ist doch auch überall Asphalt!", wirft Eske ein. "Aber die Natur holt sich das Gelände Stück für Stück zurück. Und alles, was die Menschen veranstalten, kommt nicht von oben, sondern dient der individuellen Verwirklichung." "Wer weiß, wie lange noch", sagt Eske. "Ist ein bisschen wie mit dem Internet", sagt Joshua. "Wenn wir da nicht krass aufpassen, wird das bald nicht mehr so frei sein wie heute." "Geniales Bild, Josh!" Florian hebt den Zeigefinger. "Das Tempelhofer Feld ist voll das analoge Internet: jeder kann sich ausprobieren, weil Platz ist übelst genug für alle da!" - Aus: Thilo Bock: Tempelhofer Feld. Ein Freiluftroman. Berlin, April 2014, Verlag Fuchs & Fuchs.
Ein ganz normaler Sonntag auf dem Gelände des ehemaligen Berliner Zentralflughafens: Kinder lassen ihre Drachen steigt, andere lernen Fahrradfahren. Auf der früheren Startbahn hat ein Fotograf Stativ und Blitz aufgebaut - ein Model bringt sich in Position. Türkische und arabische Großfamilien treffen sich zum Grillen. Hundebesitzer lassen ihre Vierbeiner laufen, Radrennfahrer trainieren für den nächsten Wettkampf, die Unsportlichen leihen sich Elektroroller oder Segways aus. An einer Ecke spielen Leute Boccia, nebenan liegt ein Pärchen im Gras und knutscht. Die Feldlerchen zwitschern.
Ein Sehnsuchtsort
Das Tempelhofer Feld - ein Sehnsuchtsort für viele. Und das Allerbeste daran: Das Feld ist so groß, dass sich keiner gestört fühlt.
Frau: "Man braucht keinen Eintritt bezahlen, was ja höchst selten ist in der Großstadt Berlin, hier wird man nicht gestört, die Leute verlieren sich in der großen Anlage, also wir sind hellauf begeistert, es ist überwältigend."
Wie fast immer pfeift der Wind über das Feld, ideal für die Kiter, die Lenkdrachensegler. Das ist Windsurfen an Land. In 25 Metern Höhe schwebt der Gleitschirm, mit vier Leinen am Körper des Sportlers befestigt. Der steht auf einem Skateboard. Stimmt der Wind, zischen die Segler über das Feld oder die asphaltierte Startbahn, bei einer Böe fliegen sie zwei, drei Meter in die Luft, Profis drehen dabei noch Pirouetten.
Kiterin Manuela Köhler ist gerade mit Schirm und Board auf das Feld gekommen, entwirrt jetzt die Leinen, um starten zu können.
Köhler: "Ich muss nochmal die Leinen korrigieren. Der Schirm hat sich in sich gedreht, das ist über Kreuz, jetzt muss ich für die Sicherheit das nochmal auseinanderfitzeln."
Die Leinen sind klar, der Schirm ausgerichtet, Manuela Köhler steigt auf ihr Board mit den dicken Gummirädern, lässt sich vom Wind übers Feld tragen. Klarer Fall, dass die Windsportler gegen neue Gebäude am Rande des Geländes sind. Hier sind Zehn-Geschosser geplant, sagt Manuela Köhler, die werden dafür sorgen, dass für uns zu wenig Wind auf dem Feld ist. Sie wird am Sonntag für den Gesetzentwurf der Initiative 100 % Tempelhofer Feld stimmen.
Köhler: "Ich hoffe, dass ganz viele sagen, dass es nicht bebaut wird. Nicht nur für die Kiter, sondern für alle anderen, die ja hier auch sind. Sei's die Griller, sei's die Kinder, die man hier frei laufen lassen kann. Und dann hoffe ich, dass das hier so bleibt, dass man es weiter nutzen kann."
(Film der Initiative 100 % Tempelhofer Feld)
"Ein Stückchen Paradies"
Wer in der Mitte steht und sich einmal im Kreis dreht, der sieht: das massige, 1,3 Kilometer lange Gebäude des Flughafens Tempelhof - von den Nazis errichtet, nie fertiggestellt. Von weitem blitzt der Fernsehturm in der Sonne. Das Minarett der Sehetlik-Moschee, der Neuköllner Schillerkiez. S-Bahn und Stadtautobahn legen ein Grundrauschen über das Feld. Das Wichtigste: die Weite und der Himmel. Kaum jemand, der auf der Freifläche unterwegs ist, möchte, dass hier gebaut wird.
Umfrage: "Hier muss kein teurer Schicki-Micki stattfinden, damit dieses Feld von den Berliner Bürgern angenommen wird, sondern das passiert ganz von alleine und das passiert auf eine so besondere Art und Weise, das ist herrlich."
"Ich möchte, dass es so bleibt wie es ist."
"Natürlich, stelle ich mir schrecklich vor, wenn das zugebaut wird, geht auch ein Stückchen Paradies verloren."
"Ich hab die Befürchtung, wenn es einmal losgeht mit der Bebauung, ist ganz schnell alles bebaut."
"Ich möchte, dass es so bleibt wie es ist."
"Natürlich, stelle ich mir schrecklich vor, wenn das zugebaut wird, geht auch ein Stückchen Paradies verloren."
"Ich hab die Befürchtung, wenn es einmal losgeht mit der Bebauung, ist ganz schnell alles bebaut."
Zwei Gesetzentwürfe stehen am Sonntag zur Abstimmung. Die Initiative 100 Prozent Tempelhofer Feld will die gesamte Freifläche schützen - keine Bebauung, kaum Veränderungen. Die Oppositionsfraktionen im Abgeordnetenhaus - Grüne, Linke, Piraten - rufen dazu auf, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen.
Die Freifläche weckt Begehrlichkeiten
Der rot-schwarze Senat, die Regierungsfraktionen SPD und CDU sowie ein Bündnis aus Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften favorisieren den zweiten Gesetzentwurf - damit wird die Freifläche in der Mitte gesetzlich geschützt, die Ränder des Feldes können dann bebaut werden. Berlin wächst, nach Prognosen des Senats braucht die Stadt in den nächsten 20 Jahren 220.000 neue Wohnungen. Stadtentwicklungssenator Michael Müller:
"Dann wollen wir eben an den Rändern dieser großen Freifläche in drei Abschnitten um die 4500/ 5000 Wohnungen bauen, die einfach dringend benötigt werden. Wir sind eine wachsende Stadt, im letzten Jahr sind wieder 50.000 Menschen dazugekommen, darauf muss die Stadtgesellschaft auch reagieren."
Mit 300 Hektar ist das Tempelhofer Feld etwa so groß wie der Central Park in New York - und um ein Drittel größer als das Fürstentum Monaco. Plattes Land, einige wenige Bäume. Diese riesige Freifläche weckt Begehrlichkeiten von Investoren, Bauherrn, Architekten, Stadtplanern und nicht zuletzt der Politik. Berlins regierender Bürgermeister Klaus Wowereit setzt sich für den Neubau einer Landesbibliothek auf dem Feld ein. Und sein SPD-Parteifreund Michael Müller plädiert für mehr bezahlbare Wohnungen in zentraler Lage:
"Dann ist uns ja auch wichtig, in der ganzen Stadt Wohnbebauung anbieten zu können und soziale Durchmischung. Und dann gehören natürlich gute innerstädtische Flächen, landeseigene Grundstücke, wo wir mit landeseigenen Gesellschaften günstig bauen können, auch dazu. Damit man nicht einfach sagt, die die in Berlin leben, die leben ja gut. Und die, die neu kommen, die sollen dann eben an den Stadtrand ziehen. Nein. Wir wollen absichern, dass man in der ganzen Stadt gut leben kann und dann gehören auch solche Baufelder mit dazu."
Erschwinglicher Wohnraum?
Der Masterplan steht, die ersten Vorverträge mit städtischen Wohnungsbaugesellschaften sind geschlossen. Die Hälfte der entstehenden Wohnungen soll auch für Geringverdiener erschwinglich sein, sechs bis acht Euro Miete pro Quadratmeter. So verspricht es der Senat. Im Gesetzentwurf des Abgeordnetenhauses - vom Senat unterstützt - ist allerdings keine Rede von bezahlbaren Wohnungen am Tempelhofer Feld. Der Entwurf, über den ebenfalls am Sonntag abgestimmt wird - regelt lediglich, dass 230 Hektar Freifläche in der Mitte unbebaut bleiben. Das ist wichtig für das Stadtklima.
Müller: "Das sind zusätzliche Grünflächen, die für die Stadtgesellschaft wichtig sind. Aber für die Stadtgesellschaft ist auch soziale Infrastruktur wichtig. Kitas, Schulen, Krankenhäuser und auch Wohnungen gehören auch zu einer wachsenden Stadt. Und das ist das Entscheidende: Kriegen wir den Interessenausgleich hin aus einer gesamtstädtischen Sicht. Grün ist wichtig, nicht nur für die Anwohner, sondern für die ganze Stadt. Aber andere Dinge sind auch wichtig. Und es ist Aufgabe von Politik, genau diesen Interessenausgleich aus einer gesamtstädtischen Sicht heraus zu organisieren."
Abrechnung mit Rot-Schwarz
Der Transitbereich des Flughafens Tempelhof - hier haben früher die Passagiere nach dem Check-in gewartet. Der Blick fällt durch die bodentiefen Fenster: Auf dem Feld verlieren sich eine Handvoll Besucher, bunte Drachen steigen in den Abendhimmel.
Vor sechs Jahren startete hier das letzte Flugzeug. Die Schrift auf der verriegelten Tür ist ausgeblichen, aber noch lesbar: "No smoking beyond this point" - "Von hier ab Rauchen verboten". Dahinter führt eine Treppe aufs Rollfeld. Ein ausgemustertes Flugzeug vom Typ Douglas C54 steht dort, besser bekannt als Rosinenbomber.
Die ehemalige Transithalle füllt sich, etwa 400 Anwohner sind an diesem Abend zur Podiumsdiskussion über die Zukunft des Flugfeldes gekommen. Für den sozialdemokratischen Stadtentwicklungssenator Michael Müller müsste es ein Heimspiel ein. Er ist gebürtiger Tempelhofer, wohnt gleich um die Ecke am Platz der Luftbrücke, hat hier seinen Wahlkreis. Doch genau wie bei vielen öffentlichen Veranstaltungen zuvor wird auch an diesem Abend deutlich: Den Wählerinnen und Wählern geht es um mehr als um die Bebauung eines ehemaligen Flugfeldes. Viele machen ihre Entscheidung am kommenden Sonntag zu einer Abrechnung mit der Politik des schwarz-roten Senats, mit Klaus Wowereit und dem Skandalflughafen BER:
"Allerdings wird mir schwindelig, wenn dieser Senat, stellvertretend Herr Müller, Geld in die Hand nimmt für irgendwelche Großprojekte, ich würde vorschlagen, nehmen Sie ihre Plakate, wo Sie sich gegen den Stillstand äußern, gehen Sie damit zum BER."
"Wenn ich doch wirklich seit 25 Jahren regiere und den entsprechenden Einfluss habe, die Wohnungsnot zu verhindern, warum baue ich denn dann als Erstes eine Klaus-Wowereit-Gedenkbibliothek, das ist doch völlig unsinnig, damit anzufangen."
"Der Verdacht ist ja schon da, wenn man erstmal mit dem Rand anfängt, dann kommt in zehn Jahren die nächste Bedarfsstudie, dann kommt der nächste Rand und irgendwann ist der Rand dann die Mitte, dann ist nix mehr über. Gibt es denn eine Bestandsgarantie, dass das zentrale Feld nie und nimmer angerührt wird?"
Wohnungen nur für Reiche?
Michael Müller lächelt etwas gequält. Vermutlich ärgert sich der Stadtentwicklungssenator gerade darüber, dass er bei öffentlichen Veranstaltungen den Ärger zu spüren bekommt, der eigentlich dem Regierenden Bürgermeister gilt. Klaus Wowereit hält sich bei der Debatte um den anstehenden Volksentscheid vornehm zurück. Ein Zeitungsinterview, ein paar Sätze auf dem SPD-Landesparteitag, das war's. Die Kärrnerarbeit, die direkte Debatte mit den Wählerinnen und Wählern überlässt er anderen. In erster Linie Michael Müller, der unermüdlich von einer Veranstaltung zur anderen zieht. Wir bauen auf dem Feld keine Wohnungen für Reiche, widerspricht er zum 100. Mal dem Vorwurf einer geplanten Luxusbebauung:
"Wir haben bewusst eine Verabredung getroffen mit zwei städtischen Gesellschaften und einer Wohnungsbaugenossenschaft, keine privaten Entwickler, wir haben uns bewusst für die drei Partner entschieden, weil wir genau nicht für dieses Luxussegment stehen, sondern weil wir ganz klar machen, eine städtische Gesellschaft steht für eine andere Mietenpolitik, für eine andere Bestandspolitik, wenn die Sachen gebaut sind und das ist uns wichtig. Private Partner könnte ich hier zehnmal am Tag finden, wir entscheiden uns bewusst für einen anderen Weg, weil wir ein soziales Mietenangebot machen wollen."
(Film der Berliner Senatskanzlei)
270 Millionen für eine neue Bibliothek
Neben Wohnungen sollen auch Gewerbeflächen am Rand des Feldes entstehen. Und ein Neubau der Zentral- und Landesbibliothek - kurz ZLB - für mindestens 270 Millionen Euro. Dieser Plan findet ebenfalls keinen Gefallen beim Publikum.
Mann: "Ist es nicht höchst unsozial, wenn Sie Schulen vergammeln lassen, aber zig Millionen für die ZLB ausgeben möchten? Oder hätte der Senat nicht mal vorher seine Schulaufgaben machen müssen und sagen müssen, die Schulen sind okay, jetzt können wir auch eine ZLB bauen."
Bibliotheksdirektor Volker Heller: "Manchmal habe ich den Eindruck, es ginge darum, hier ein Atommülllager zu bauen und entsprechend hochemotional sind die Widerstände dagegen."
"Dieser Neubau nimmt dem Tempelhofer Feld nichts weg, er schenkt 50.000 Quadratmeter öffentliche Fläche dazu. Es gibt keinen Bildungs- und Kulturort, der niedrigschwelliger ist als eine öffentliche Bibliothek, sie betreten den, ohne Eintritt zu bezahlen. Das ist Fläche, die für die Bürger da ist, die sie zur Bildung, zur Meinungsbildung, zum Meinungsaustausch nutzen können, zur Ertüchtigung in neuen digitalen Welten, um einen garantierten Informationszugang zu haben, der nicht marktwirtschaftlich getrieben ist und den sie umsonst bekommen. Das ist eine Bereicherung für diesen Ort in einer Kombination aus Freizeitgestaltung und Bildung und Kultur."
Die Argumentation des Bibliotheksdirektors klingt schlüssig, doch in der Stadt wächst die Furcht vor neuen Großprojekten - nach dem BER-Desaster sinkt der Mut, einen weiteren millionenschweren Neubau zu beginnen. Der Koalitionspartner CDU rückt bereits ab von der Idee des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit, auch der Landesrechnungshof hat Kritik an den Plänen für eine neue Bibliothek geübt.
An diesem Abend im früheren Transitbereich des Flughafens Tempelhof spricht sich nur ein einziger aus dem Publikum gegen den Gesetzentwurf der Initiative 100 Prozent Tempelhofer Feld aus, mit dem - vereinfacht gesprochen - eine Glasglocke über das Feld gelegt wird. Der Rentner Peter Klepper wohnt in der Nähe, wünscht sich eine Entwicklung des Feldes und wird am Sonntag für den Gesetzentwurf des Abgeordnetenhauses stimmen. Denn:
"Mir fehlt ne ganze Menge, zum Beispiel das Grün, ich finde es geradezu abwegig, dieses Feld im jetzigen Zustand mit dem Central Park zu vergleichen. Da ist wirklich ein Park. Das ist ein Feld, was vielleicht noch ein Park werden will. Ich bin also daran interessiert, dass sich hier etwas verändert, dass hier Cafés hinkommen, dass hier Bäume gepflanzt werden, Parkbänke hinkommen. Es kann doch so ein Riesenfeld nicht nur sein für sportbegeisterte junge Menschen, da müssen doch auch ältere Leute so wie ich gerne auf das Feld gehen."
Stadtentwicklungssenator Michael Müller nickt. Endlich jemand, der seine Meinung teilt. Gegen eine Glasglocke über dem Feld und für eine behutsame Entwicklung, dafür steht der SPD-Politiker.
Müller: "Es ist im Moment Freifläche für junge sportliche Männer, die jede Fun-Sportart machen, Kiten, Surfen, Joggen, Fahrradfahren. Wenn man sich in der Mitte des Feldes bewegt mit kleinen Kindern, oder ältere Menschen, die spazieren gehen, und man sucht schattenspendende Bäume oder man sucht auch mal eine Toilette, dann hat man schon ein Problem."
Gärtnern auf freiem Feld
Zurück auf das Feld - am östlichen Rand haben Hobbygärtner Hochbeete aufgestellt. Ein bisschen Schrebergarten-Atmosphäre, aber die chaotische Variante. Keine Hecken, keine Zäune, keine rechten Winkel. Ein Gemeinschaftsgarten.
Melix: "Wir haben Salat, Spinat, Karotten, Kohlrabi, ein paar Blümchen, Kamille. Wir machen das in Gemeinschaft, es ist viel Soziales dabei, es ist nett, die ganzen Leute hier zu treffen auf dem Feld, und ein bisschen eigenes Gemüse anzubauen."
Sophie Melix topft ein paar Salatpflänzchen um, jätet Unkraut, plaudert mit den anderen Hobbygärtnern. Natürlich ist der Volksentscheid das bestimmende Thema.
Melix: "Ich bin noch unentschlossen. Ich bin selber Stadtplanerin und hab auch das Bedürfnis, Innenentwicklung in der Stadt zu betreiben. Eben Stadt der kurzen Wege. Ich weiß noch nicht, wie ich abstimmen werde, weil es eigentlich ein Zwischenweg sein müsste.
So wie der Stadtplanerin Sophie Melix geht es vielen in der Stadt. Sie sind für das freie Feld, aber gegen eine Glasglocke. Für mehr bezahlbare Wohnungen, aber gegen die konkreten Pläne des Senats. Aus diesem Grund ruft der Mieterverein dazu auf, am kommenden Sonntag bei beiden Gesetzentwürfen "Nein" anzukreuzen. Auch die Grünen sind für einen dritten Weg, rufen aber dazu auf, den Gesetzentwurf der Initiative 100 Prozent Tempelhofer Feld zu unterstützen. Überlegungen, die nur schwer zu vermitteln sein dürften.
Viele Anwohner dürfen nicht abstimmen
An vielen Ausländern, die das Tempelhofer Feld nutzen, geht die aufgeregte Stadt-Debatte gänzlich vorbei.
Der Duft von gegrillten Hähnchen, Zwiebeln, Paprika, Tomate und Knoblauch weht über das Feld. Bei schönem Wetter ist der Grillplatz Treffpunkt von türkisch- und arabischstämmigen Großfamilien.
"Ja, das ist ein Spieß mit Hähnchen, lecker, scharfe Gewürze, wir kommen oft am Wochenende, schön für die Kinder, viel Platz."
Die beiden Männer aus dem Jemen zeigen auf die benachbarte Sehetlik-Moschee. Dort gehen sie hin zum Beten, kommen dann mit ihren Frauen, Kindern, Tanten, Onkeln, Cousins und Cousinen auf das Feld. Haben sie davon gehört, dass hier tausende Wohnungen gebaut werden sollen, dass es einen Volksentscheid darüber gibt? Die Jemeniten schütteln den Kopf. Sie können die vielen Infotafeln nicht lesen, ihr Deutsch ist zu schlecht.
"Nein, wissen nichts. Bauen nicht gut."
Im angrenzenden Bezirk Neukölln wohnen zehntausende türkisch- und arabischstämmige Migranten, die zwar direkt betroffen sind von den Bebauungsplänen, aber am Sonntag nicht abstimmen dürfen. Wer keinen deutschen Pass hat, darf nicht am Volksentscheid teilnehmen. Migrantenverbände kritisieren: Warum dürfen Bewohner von weit entfernten liegenden Stadtteilen wie Marzahn über die Zukunft des Feldes abstimmen, die direkten Anwohner aber nicht?
Letzte Umfragen sehen eine knappe Mehrheit für die Feldschützer. 54 Prozent der Befragten wollen, dass alles so bleibt, wie es ist. 39 Prozent sprechen sich für eine behutsame Bebauung aus, der Rest der Befragten war desinteressiert oder unschlüssig. Den Ausschlag wird die Wahlbeteiligung geben: Der siegreiche Gesetzentwurf braucht mindestens 625.000 Ja-Stimmen, das ist ein Viertel der Berliner Wahlberechtigten.
Siegt die Initiative Tempelhofer Feld, bleiben 300 Hektar auch künftig unangetastet. Siegt der Senat - sprich der Gesetzentwurf des Abgeordnetenhauses - wird die Mitte des Feldes unter Schutz gestellt, der Rand bebaut.
Allerdings zeigten sich beide Seiten in den letzten Tagen kompromissbereit. Was die Entscheidung am Sonntag nicht einfacher macht.
"Wir sind im Zentrum der Ineffizienz! Guckt Euch nur um. Früher sind hier Flugzeuge geflogen, jede Menge Flugversuche waghalsigster Art. Soldaten sind auf- und abmarschiert, Menschen haben geschuftet und wurden geschunden. Und heute? Ein einziger Feierabend!" "Passt zu Berlin", sagt Luis. "In Berlin läuft auch nichts mehr. Früher wurden von hier aus Kriege geführt. Und heute? Heute schaffen sie's ja nicht mal, einen Flughafen zu eröffnen." "Das ist aber alles so übelst stressig", sagt Florian. "Das Tempelhofer Feld ist stressfreie Zone. Die sollen einen Park der glücklichen Arbeitslosen daraus machen. Wenn keiner arbeitet, kann auch nichts Schlimmes passieren. Keine Kriege, keine Umweltkatastrophen." - Aus: Thilo Bock: Tempelhofer Feld. Ein Freiluftroman. Berlin, April 2014, Verlag Fuchs & Fuchs.