Volkslieder und Musicals

Von Petra Marchewka |
Schon als Fünfjähriger hat Kazuo Kanemaki bei jeder Gelegenheit seine gesamte japanische Verwandtschaft vor sich aufgestellt und sie als Chor dirigiert. Heute dirigiert er 30 Frauen und Männer des Hamburger Kanemaki-Chor - mit Volksliedern, Musicals und japanischen Songs.
En hoher Stuhl, so wie ein Barhocker, ein Pult, darauf die Noten. In lässiger Jeans mit Hemd und Weste Kazuo Kanemaki. Vor ihm in einem Gemeindesaal der St. Petri Gemeinde in Hamburg Altona: 29 Männer und Frauen unterschiedlichen Alters, Notenblätter in der Hand, die Augen konzentriert auf den charismatischen Chorleiter gerichtet, um bloß keinen seiner Impulse zu verpassen.

Wackendorf: "Kazuo merkt auch immer, wann wir nicht mehr weiter können und bohrt nicht in der Wunde, empfinde ich so."

Regina Wackendorf, Alt-Stimme, 70 Jahre.

Timm: "Er hat eine Geduld mit uns, also das würde ein deutscher Dirigent wohl kaum machen."

Waltraut Timm, 77 Jahre alt, Sopran. Sie ist eine der ältesten hier, die jüngsten sind Mitte 20. Der Zusammenhalt im Chor auch über Generationsgrenzen hinweg festigt sich durch regelmäßige Feste und gemeinsame Reisen ins Heimatland Kazuo Kanemakis.

Kanemaki: "Chormusik wird noch intensiver praktiziert in Japan als in Deutschland."

Kanemaki: "Das Stück heißt Moero, das ist sehr heiteres, schnelles Stück, und das singen alle sehr, sehr gerne..."

"Japanische Sprache ist bis 90 Prozent regelmäßige Wiederholung von Konsonanten und Vokalen. Ka-ne-ma-ki, also Konsonanten, Vokale."

Jens Teschner, Bass, 42 Jahre alt.

Teschner: "Ich singe Laute, ich singe Töne, und was das einzelne da gerade heißt, weiß ich gar nicht. Das ist Imitation, und dann kann man jede Sprache singe, das ist relativ wurscht."

Im Moment arbeitet der Kanemaki-Chor an Carl Orffs Carmina Burana, denn im Sommer ist in Hamburg ein großes Gemeinschaftskonzert zusammen mit anderen Chören geplant.

Die europäische Musik, sagt der Chorleiter, habe ihn schon als Kind angezogen: Sein Bruder war auch Dirigent, und so hatte Kazuo Kanemaki früh Kontakt zur klassischen Musik.

Kanemaki: "Damals gab es noch nicht so richtiges Fernsehen, und ich war oft am Radio, da habe ich sehr viel Orchestermusik und so weiter gehört. Hat mich immer fasziniert."

Studium an der Musikhochschule in Tokyo, Klavier und Horn, als Hornist Mitglied im Tokyo Metropolitan Symphonie Orchestra. Dann der Schock: Plötzlich, von einem Tag zum anderen, kann Kanemaki keinen einzigen Ton mehr spielen.

Kanemaki: "Und das wurde in einer Probe von einem damaligen Dirigenten entdeckt. Spielen Sie bitte, Herr Kanemaki, ganz alleine, Ihren Part. Und ich konnte in dem Moment gar nicht spielen. Und am nächsten Tag: Kündigung."

1974 der Wechsel nach Hamburg. Kazuo Kanemaki beginnt das Dirigenten-Studium, verdient sich das Geld dafür mit Sprachkursen und Tellerwaschen auf der Reeperbahn. Er gibt eine Annonce auf: Japanischer Student, Klasse Dirigent, erteilt Klavierunterricht für Kinder. Ein Chor liest die Anzeige und bittet ihn, die Chorleitung zu übernehmen.

Immer mehr Chöre wollen ihn als Dirigenten. 1991 fliegen 200 Sängerinnen und Sänger aus seinen verschiedenen Chören gemeinsam nach Tokyo, um für Kanemakis Mutter zu singen, weil der die Reise nach Hamburg zu anstrengend ist.

Kanemaki: "Aus dieser Reise haben alle gesagt: Lass uns weiter machen. So haben wir den Kanemaki-Chor 1992 gegründet."

Besonders die Beziehungen zu seinem Heimatland, sagt Kanemaki, liegen ihm am Herzen. Hier, in Japan, sind die Gedanken des Dirigenten in diesen Tagen wieder besonders häufig.

Kanemaki: "Dieses Thema ist, wie das Problem in Fukushima, nicht irgendwo weg, sondern mit meinem ganzen Leben, bis Ende, werde ich mich bestimmt damit beschäftigen."


Immer mehr Menschen in Deutschland singen im Chor. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft deutscher Chorverbände (ADC)stellt Deutschlandradio Kultur jeden Freitag um 10:50 Uhr im Profil Laienchöre aus der ganzen Republik vor: Im "Chor der Woche" sollen nicht die großen, bekannten Chöre im Vordergrund stehen, sondern die Vielfalt der "normalen" Chöre in allen Teilen unseres Landes: mit Sängern und Sängerinnen jeden Alters, mit allen Variationen des Repertoires, ob geistlich oder weltlich, ob klassisch oder Pop, Gospel oder Jazz und in jeder Formation und Größe.