Bürgerschaft will geschassten Intendanten zurück
Der Intendant des Rostocker Volkstheaters, Sewan Latchinian, wurde von Oberbürgermeister Roland Methling fristlos entlassen. Die Rostocker Bürgerschaft will ihn allerdings zurückhaben. Wie wird der Oberbürgermeister nun reagieren?
Darf der Intendant eines öffentlich subventionierten Theaters die Zerstörung von Kulturgütern durch die Terrormiliz Islamischer Staat und die vermeintliche "Zerstörung funktionierender Theaterstrukturen in Mecklenburg-Vorpommern" in einem Atemzug nennen? Nein, befand jüngst der Hauptausschuss der Rostocker Bürgerschaft und folgte dem Antrag des Oberbürgermeisters, Sewan Latchinian als Intendanten des Rostocker Volkstheaters zu entlassen.
Doch viele andere Stadtverordnete fanden dies überzogen. Gestern Abend dann eine Sensation: Eine Mehrheit der gesamten Bürgerschaft entschied auf einer Sondersitzung, Latchinian sei wieder einzusetzen. Was das heißt?
Der Beschluss ist ein klarer Auftrag an den Oberbürgermeister, Roland Methling, die Entlassung von Sewan Latchinian rückgängig zu machen. Das Problem: Der parteilose Oberbürgermeister hatte den fristlosen Rauswurf jüngst beantragt. Nun sagt er, dass es nicht nur um Latchinians Vergleich der Theaterreform in Mecklenburg-Vorpommern und der Zerstörung von Weltkulturerbe durch die Terrorschergen des Islamischen Staates ging. Der Hauptausschuss habe am 31. März auch deshalb die „schwere Entscheidung" getroffen, weil der Intendant die von der Bürgerschaft beschlossene Strukturänderung am Rostocker Volkstheater nicht mittragen wollte, erklärt OB Methling.
"Es ist es natürlich nicht ganz einfach, hier über die Wiederherstellung eines Vertrauensverhältnisses zu sprechen. Als Oberbürgermeister habe ich nun 14 Tage Zeit, sehr gründlich zu überlegen, ob ich diesem Beschluss der Rostocker Bürgerschaft folgen kann, oder ob wir hier noch einmal drüber nachdenken müssen."
Die Ursachen der Sondersitzung
Nachdenken könnte bedeuten, er mahnt Sewan Latchinians ab. Möglich aber auch, dass Roland Methling der Bürgerschaftsentscheidung ganz und gar widerspricht. Es wäre nicht das erste Mal, denn über das Stadtparlament hat sich der seit genau zehn Jahren regierende Oberbürgermeister schon häufig hinweggesetzt. Insofern ist der Ausgang offen.
Dass es überhaupt zu dieser Sondersitzung im Rostocker Rathaus gekommen ist, hat mehrere Ursachen. Man kann Latchinians Äußerung durchaus geschmacklos, unpassend, leicht größenwahnsinnig, ehrabschneidend finden.
Aber viele Bürgerschaftsabgeordnete hielten eine Entlassung für völlig überzogen. Sie teilten den Verdacht, der IS-Vergleich sei nur ein Vorwand für den Oberbürgermeister gewesen, den ihm lästig gewordenen Streiter für den Fortbestand des Rostocker Volkstheaters als 4-Sparten-Haus loszuwerden.
Die Angst vor einem teuren Arbeitsgerichtsprozess
Einige Abgeordnete treibt mit Blick auf Rostocks Schuldenstand allerdings auch um, dass man vor einem teuren Arbeitsgerichtsprozess bzw. einer erklecklichen Abfindung für Sewan Latchinians stünde, denn dessen Vertrag hatte eine Laufzeit bis Juli 2019. Von einer halben Million Euro ist die Rede.
Und dann ist da die relativ kleine, aber lautstarke Minderheit der Theater- und Latchinian-Unterstützer. Hunderte bildeten am Montag eine Menschenkette vom Theater zum Rathaus, darunter Angereiste wie Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, Kollegen vom Theater Magdeburg und von der Berliner Schauspielschule Ernst Busch. Vor allem aber waren Rostocker gekommen, die es Sewan Latchinian hoch anrechnen, aus dem krisengeplagten Rostocker Volkstheater eine interessante Spielstätte gemacht zu haben mit Inszenierungen, "die tief berühren, so dass wir uns fragten: Ist das Rostock?", sagte eine Frau, während eine andere Demonstrantin fand:
"Er hat sich für die Rettung unseres Theaters aufgeopfert. Jetzt sind wir dran. Wir sind es ihm schuldig, für ihn zu kämpfen."
Den Ausgang der Sondersitzung hatten knapp 200 Menschen auf dem Neuen Markt vor dem Rathaus abgewartet und entsprechend gejubelt, als die Entscheidung bekanntgegeben wurde.
Und Sewan Latchinian? Der war absichtlich nicht vors Rathaus gezogen. Er wollte niemanden in der Bürgerschaft provozieren, wie er Deutschlandradio Kultur erklärte. Also habe er wenige Meter um die Ecke in einem Restaurant gesessen und dort den ganzen Abend über mit Freunden, Kollegen, Unterstützern die gute Nachricht gefeiert. Nun hoffe er, dass der Rostocker OB Größe zeigt und ihn am besten gleich einbestellt, um über einen Neuanfang zu reden. Er selbst, so Latchinian, wolle seine Kommunikation verbessern und mehr und eher mit den Politikern reden statt über sie.
Verhandlungen über eine neue Theaterstruktur
Unterdessen hat am Montagabend auch die Bürgerschaft der Hansestadt Greifswald zum Thema „Theater" getagt. Eine große Mehrheit machte den Weg frei für Verhandlungen zu einem "Staatstheater Nordost". Das soll laut der Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern das künftige Dach sein, unter dem die vier bisher eigenständigen Theater von Stralsund, Greifswald, Neustrelitz und Neubrandenburg jeweils nur noch bestimmte Sparten fortführen dürften. Gerade auch diesen Plan hatte Sewan Latchinian mit seinem IS-Vergleich kritisiert.