Volkstribun mit scharfem Verstand
Henrik Berggren ist Historiker und Journalist. Er war Kulturchef und langjähriger Kolumnist der schwedischen Zeitung "Dagens Nyheter". Seine Palme-Biografie "Vor uns liegen wunderbare Tage" ist sein erstes Buch, das in deutscher Übersetzung erscheint.
Der Mord an Olof Palme in der Winternacht des 28. Februar 1986 hat sich den Schweden tief ins Gedächtnis gebrannt. Die monumentale Biografie "Vor uns liegen wunderbare Tage" des schwedischen Historikers und Journalisten Henrik Berggren ist ausdrücklich kein Beitrag zur Aufklärung dieses "ewigen Kriminalromans" (P.O. Enquist). Berggren eröffnet uns vielmehr einen befreiend neuen Blick auf den schwedischen Ausnahmepolitiker und seine Zeit.
In den stärksten Passagen seiner gut recherchierten und atmosphärisch dichten Biographie schildert Berggren die prägenden Jugend- und Aufbruchsjahre. Als jüngster Spross einer wohlhabenden Familie von Bankiers und Versicherungsdirektoren wächst Palme unter allerhand dienstbaren Geistern in einem Stadtpalais im Stockholmer Nobelviertel Östermalm auf. In einem Exkurs über drei Generationen hinweg taucht Berggren tief in die Geschichte dieser Familie mit ihren Verzweigungen bis in den deutsch-baltischen Adel ein – und entdeckt verblüffende Kontinuitäten: Den unerschütterlichen Glauben an den technologischen Fortschritt, das Interesse für Literatur und Sprache, das aristokratische Pflichtgefühl und den beinahe faustischen Willen zur Macht teilt der Arbeiterführer Palme mit seinen Vorvätern.
Aus diesem familiären Erbe bezog der Tatmensch ein Leben lang seine Selbstgewissheit. Dass sich Palme so radikal aus dem isolierten Milieu der Stockholmer Oberklasse lösen konnte, lag auch am frühen Tod des Vaters. Das hoch begabte Wunderkind Olof Palme musste sich selbst erfinden.
Seine erste selbstständige Handlung führte Palme 1948 in die Vereinigten Staaten. Am Kenyan College in Ohio büffelte der junge Austauschstudent mit Arbeiter- und Bauernkindern. Er lernte den freien amerikanischen Lebensstil kennen, genoss die vorurteilsfreie Streitkultur, zeigte sich tief beeindruckt vom rhetorischen Pathos des Wahlkampfs.
Auch Schweden ist in den frühen Fünfzigern beseelt vom Fortschrittsglauben. Während halb Europa in Trümmern liegt, wird das bislang so rückständige Land zum Experimentierfeld für soziale Utopien. Nicht aus karrierelüsternem Opportunismus schließt sich Palme den Sozialdemokraten an, sondern aus tiefer Überzeugung: Er ist ein kompromissloser Gegner aller Formen menschlicher Unterordnung, ein glühender Verfechter der Gleichheit.
In den neun Jahren seiner Regierungszeit seit 1969 bringt Palme die maßgeblichen Gesetze zur Gleichstellung im Berufsleben, zur Kinderbetreuung und zur steuerlichen Gleichstellung der Ehepartner auf den Weg. Familienpolitische Reformen, die sein Land für immer verändern sollten.
In seinen besten Stunden war Palme Volkstribun. Sein scharfer Verstand rief nicht nur Bewunderung, sondern auch härteste Ablehnung hervor. Der im Ausland so hoch geschätzte Regierungschef wurde daheim in Schweden wechselseitig als paranoider Eiferer, als Agent des Kreml oder schlicht als Geisteskranker tituliert.
Einen "aristokratischen Radikalen" nennt Berggren Palme. Er zeichnet nicht das Bild eines fleckenfreien Helden, wie die Legende glauben macht - vielmehr das eines Idealisten mit einem feinem Gespür für die großen Fragen seiner Zeit. Solche Geister, schreibt Berggren, gebe es heute einfach zu wenig auf der Welt.
Besprochen von Alexander Budde
Henrik Berggren: Olof Palme. Vor uns liegen wunderbare Tage.
Aus dem Schwedischen von Paul Berf u. Susanne Dahmann
btb, München 2011
680 Seiten, 26,99 Euro
In den stärksten Passagen seiner gut recherchierten und atmosphärisch dichten Biographie schildert Berggren die prägenden Jugend- und Aufbruchsjahre. Als jüngster Spross einer wohlhabenden Familie von Bankiers und Versicherungsdirektoren wächst Palme unter allerhand dienstbaren Geistern in einem Stadtpalais im Stockholmer Nobelviertel Östermalm auf. In einem Exkurs über drei Generationen hinweg taucht Berggren tief in die Geschichte dieser Familie mit ihren Verzweigungen bis in den deutsch-baltischen Adel ein – und entdeckt verblüffende Kontinuitäten: Den unerschütterlichen Glauben an den technologischen Fortschritt, das Interesse für Literatur und Sprache, das aristokratische Pflichtgefühl und den beinahe faustischen Willen zur Macht teilt der Arbeiterführer Palme mit seinen Vorvätern.
Aus diesem familiären Erbe bezog der Tatmensch ein Leben lang seine Selbstgewissheit. Dass sich Palme so radikal aus dem isolierten Milieu der Stockholmer Oberklasse lösen konnte, lag auch am frühen Tod des Vaters. Das hoch begabte Wunderkind Olof Palme musste sich selbst erfinden.
Seine erste selbstständige Handlung führte Palme 1948 in die Vereinigten Staaten. Am Kenyan College in Ohio büffelte der junge Austauschstudent mit Arbeiter- und Bauernkindern. Er lernte den freien amerikanischen Lebensstil kennen, genoss die vorurteilsfreie Streitkultur, zeigte sich tief beeindruckt vom rhetorischen Pathos des Wahlkampfs.
Auch Schweden ist in den frühen Fünfzigern beseelt vom Fortschrittsglauben. Während halb Europa in Trümmern liegt, wird das bislang so rückständige Land zum Experimentierfeld für soziale Utopien. Nicht aus karrierelüsternem Opportunismus schließt sich Palme den Sozialdemokraten an, sondern aus tiefer Überzeugung: Er ist ein kompromissloser Gegner aller Formen menschlicher Unterordnung, ein glühender Verfechter der Gleichheit.
In den neun Jahren seiner Regierungszeit seit 1969 bringt Palme die maßgeblichen Gesetze zur Gleichstellung im Berufsleben, zur Kinderbetreuung und zur steuerlichen Gleichstellung der Ehepartner auf den Weg. Familienpolitische Reformen, die sein Land für immer verändern sollten.
In seinen besten Stunden war Palme Volkstribun. Sein scharfer Verstand rief nicht nur Bewunderung, sondern auch härteste Ablehnung hervor. Der im Ausland so hoch geschätzte Regierungschef wurde daheim in Schweden wechselseitig als paranoider Eiferer, als Agent des Kreml oder schlicht als Geisteskranker tituliert.
Einen "aristokratischen Radikalen" nennt Berggren Palme. Er zeichnet nicht das Bild eines fleckenfreien Helden, wie die Legende glauben macht - vielmehr das eines Idealisten mit einem feinem Gespür für die großen Fragen seiner Zeit. Solche Geister, schreibt Berggren, gebe es heute einfach zu wenig auf der Welt.
Besprochen von Alexander Budde
Henrik Berggren: Olof Palme. Vor uns liegen wunderbare Tage.
Aus dem Schwedischen von Paul Berf u. Susanne Dahmann
btb, München 2011
680 Seiten, 26,99 Euro