Volkswagen

Der Abgas-Betrug und seine weitreichenden Folgen

Das Volkswagen Logo auf einem VW Golf vor dem VW Werk in Wolfsburg
Das Volkswagen Logo auf einem VW Golf vor dem VW Werk in Wolfsburg © Picture Alliance / dpa / Ole Spata
Von Hilde Weeg und und Alexander Budde |
Die Geschichte vom sauberen VW Diesel war ein Märchen, das ist der Öffentlichkeit inzwischen klar. Der Abgas-Betrug trifft Deutschlands größten Autokonzern immens hart. Welche Folgen hat der Skandal für VW und seine Mitarbeiter, für Wolfsburg und Niedersachsen?
Umfrage in Wolfsburg: "Die gezielte Manipulation von Dieselmotoren von Volkswagen hat uns alle geschockt" / "Die entscheidende Frage ist, wie werden sich die Kunden auf den unterschiedlichen Märkten verhalten?" / "Wir fühlen uns schon veräppelt von der Autoindustrie!" / "Es ist natürlich auch wichtig, darauf zu achten, dass die Zukunftsfähigkeit des Konzerns nicht gefährdet ist!" / "Wir haben einen Einstellungsstopp und eine Haushaltssperre verhängt" / "Ich bleibe bei VW – trotz allem!" / "Dieser Konzern braucht aber auch Veränderung!" / "In Niedersachsen wissen wir ganz genau, was wir an Volkswagen haben" / "Die Belegschaft ist genauso betroffen wie die Öffentlichkeit, wie die Politik und viele unserer Kunden!" / "Ich denke, da kommen wir raus!"
Wolfsburg. Ein großer Parkplatz liegt zwischen dem VW-Stammwerk und der Stadt. Hier erschließt sich auf den ersten Blick, wer den Ton angibt: Volkswagen. Das blauweiße Markenlogo strahlt wie eine Sonne von der roten Backsteinfassade des Werkes herüber. Nördlich des Mittellandkanals und der Bahngleise erstreckt sich die Kulisse aus Werksgebäuden, Kraftwerk und Verwaltungshochhaus bis zum Horizont. Die Stadt liegt wie ein Zuschauerraum vor dieser Bühne. Auf dem Programm: ein Drama um Betrug und Verrat.
An der Nahtstelle, vor dem Tunnel zum Haupteingang am Tor 17, wo Werk und Stadt wie durch eine Nabelschnur verbunden sind, da kann man beiden den Puls fühlen: Bei Antonio Viapiano, im kleinen Friseurladen.
An der Glastür hängt Werbung: Zur Straße hin für den Fußball-Lokalfavoriten VfL Wolfsburg − und innen prangt unter dem Konzernlogo der Werbespruch, den bis vor kurzem noch ein jeder begriff: "VW. Das Auto". Ein Satiremagazin hat den Slogan kürzlich den jüngsten Vorgängen angepasst: "VW. Der Beschiss". Natürlich ist die Dieselkrise auch bei Antonio Thema Nummer Eins:
"Die Stimmung ist sehr schlecht. Unsicher, die Leute wissen nicht mehr, wo sie sind! Es hängt alles von Volkswagen ab, natürlich. Wenn Volkswagen hustet, dann sind die Leute krank! Wir sind ein stolzes junges Volk, die Wolfsburger, wir halten immer zusammen, in guten und schlechten Zeiten."
Viapiano wendet sich wieder seinem Kunden zu. Eine ganze Weile hat der ältere Mann recht geduldig auf dem Friseurstuhl gesessen – doch nun ist kein Halten mehr: Einschnitte, schmerzhafte auch, seien unausweichlich, schaltet sich der Wolfsburger ein:
"Da muss, von oben bis unten, muss ratzekahl da geändert werden! Sonst verlieren wir unsere Glaubwürdigkeit! Weil so ein tolles Werk mit so tollen Autos, weil die Autostadt, was die da machen, ist alles hervorragend! Und sowas darf einfach nicht den Bach runtergehen!"
Das Image hat schwer gelitten
Die Deutschen lieben ihre Autos. VW: dieses globale Kürzel stand vor drei Wochen noch für gute Arbeitsplätze, für brillanten Erfindergeist, für Solidität, Wohlstand und stetes Wachstum.
Dann flog auf: Volkswagen hat elf Millionen Dieselmotoren manipuliert. Offenbar ließen sich Abgasnormen und Kostenvorgaben nur mit Hilfe einer Software einhalten, die auf dem Prüfstand den Testmodus erkennt − und dann die Motorsteuerung so verändert, dass weniger Stickoxide entweichen. Weltweit ist die Betrugssoftware bei allein fünf Millionen Fahrzeugen der Kernmarke VW aufgespielt. Betroffen sind aber auch Dieselautos der Tochtermarken Audi, Skoda und Seat sowie Transporter.
Die Staatsanwaltschaft Braunschweig stellte bei Razzien vergangene Woche kartonweise Firmenunterlagen und Datenträger aus der Wolfsburger Zentrale sicher. Eine Klagewelle getäuschter Autokäufer und vieler anderer rollt auf Volkswagen zu. Das Image des Weltkonzerns hat schwer gelitten – auch in der Autometropole Wolfsburg mit ihren 120.000 Bewohnern. Hier ist die Enttäuschung besonders groß, ist der Glaube an die Marke besonders erschüttert, denn keine andere deutsche Großstadt hängt so sehr am Tropf des größten Arbeitgebers und seiner Zulieferer und Dienstleister wie Wolfsburg.
"Der kleine Mann muss es ausbaden"
Allein am Produktionsstandort Wolfsburg arbeiten 60.000 Menschen für Volkswagen. Im Schichtbetrieb fertigen sie den Konzern-Klassiker Golf, aber auch Modellvarianten von Touran und Tiguan.
Am Dienstag vergangener Woche stehen hier die Bänder für Stunden still. Die Sorge um VW bewegt sie alle − nicht nur die Beschäftigten des Wolfsburger Stammwerks, sondern die 600.000 VW-ler weltweit. Die Medien nur Zaungäste, doch einige der Vorbeieilenden offenbaren ihre Gefühlslage den wartenden Journalisten − das emotionale Spektrum reicht von tiefster Resignation über den Betrug an der Kundschaft bis hin zur trotzigen Zuversicht, noch immer am guten Auto zu bauen.
"Positiv und Aufbruch-artig, aber natürlich auch gedämpft, der Situation bewusst. Was soll ich sagen? Ich denke, da kommen wir raus!"
"Einige Leute, die bekommen Millionen im Jahr. Die machen, so auf Deutsch gesagt, Mist, und der kleine Mann muss ausbaden. Und das kann ja nicht angehen!"
Drinnen, vor der Belegschaft, müht sich der neue Konzernchef Matthias Müller, den rechten Ton zu treffen. Die in diesen Tagen viel zitierte "schonungslose Aufklärung" gelobt Müller auf's Neue − und er beschwört weitere Botschaften, die auch an das Publikum draußen vor dem Werkstor gerichtet sind: Technische Lösungen zur Nachrüstung der allein in Deutschland betroffenen fast drei Millionen Fahrzeuge sind in Sicht.
Doch der frühere Porsche-Chef Müller, Nachfolger des geschassten Konzernchefs Martin Winterkorn, stimmt die Belegschaft auch auf Konsequenzen ein: schmerzhaft und noch kaum absehbar.
"Ich übernehme diese Aufgabe in Zeiten, in denen unser Unternehmen vor nie dagewesenen Herausforderungen steht. Davor habe ich Respekt − aber ich stelle mich dieser Aufgabe auch mit Zuversicht!"
Alle geplanten Investitionen stehen nunmehr auf dem Prüfstand, kündigen Vorstand und Aufsichtsrat an. Was nicht absolut notwendig sei, um VW voranzubringen, werde gestrichen oder verschoben.
Der VW-Konzern, der vor wenigen Wochen an der Börse noch mit rund 80 Milliarden Euro bewertet wurde, hat zwischenzeitlich gut ein Drittel seines Börsenwertes eingebüßt. Neben den Risiken für Umsatz, Image und Gewinn drohen Strafzahlungen, Schadenersatzforderungen und Prozesskosten in Milliardenhöhe, sagt Frank Schwope, Autoanalyst von der Nord-LB. In der Existenz gefährdet sieht der Experte VW nicht, aber Sparen auf allen Ebenen dürfte das Gebot der Stunde sein:
"Ich denke, im Moment läuft es auf Beträge von 20, 30 Milliarden hinaus – vielleicht mehr, die da an Schaden aufgetreten sind. Ich denke, das kann der Konzern verkraften. Er kann sicherlich auch sich von Randbeteiligungen trennen, sprich diese – ja, manch einer nennt das Management-Spielzeuge: Bugatti, Ducati, Lamborghini oder auch Bentley. Das kann ein paar Milliarden bringen!"
Wie hoch genau die Rechnung für Europas größten Autobauer letztlich ausfallen wird, kann derzeit niemand seriös beziffern. Viele Fragen sind jetzt offen. Wieder in Rede steht auch das schon so oft kritisierte Sportsponsoring.
Bernd Osterloh erklärt, bei VW seien noch keine Arbeitsplätze in Gefahr. In Wolfsburg spricht der Betriebratschef von einem Skandal der anderen, den die Belegschaft nicht auszubaden gedenke:
"Die gezielte Manipulation von Dieselmotoren von Volkswagen hat uns alle geschockt. Die Belegschaft ist genauso betroffen wie die Öffentlichkeit, wie die Politik und viele unserer Kunden. Als Betriebsrat werden wir genau darauf achten, dass diese von einem Kreis von Managern verursachte Krise nicht auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen wird. Und wir gehen davon aus, dass schon aus Gründen des Anstands, der Bonus des Vorstandes im Zweifel natürlich genauso fällt wie der Bonus der Belegschaft."
Ziemlich viel Empörung für einen, dessen Bande zu den wechselnden Konzernchefs, Vorständen und Aufsehern schon immer eng geknüpft waren.
Bei Volkswagen sind sie alle miteinander verflochten: Der Staatskonzern, an dem das Land Niedersachsen 20 Prozent der Aktien hält, wird wie ein mittelständisches Familienunternehmen von den Großaktionären Piëch und Porsche kontrolliert. Die mächtigen Eignerfamilien haben ihre VW-Anteile in der Holding Porsche SE gebündelt. Zugleich wird kein deutsches Unternehmen so sehr von der IG Metall mitbestimmt wie Volkswagen. Betriebsratschef Osterloh − mit einem Vetorecht etwa gegen Entscheidungen zur Verlagerung von Produktionsstätten ausgestattet − zählt wie selbstverständlich zum innersten Führungszirkel des Konzerns.
Der Kraft-durch-Freude-Wagen
Wer das komplizierte Interessengeflecht bei VW verstehen will, muss zurück zu den Ursprüngen gehen. Das heutige Wolfsburg mit seinen 120.000 Bewohnern war im Gründungsjahr 1938 lediglich als Beiwerk der Volksmotorisierung vorgesehen. Am Zeichentisch entwarf der Architekt Peter Koller eine Stadt, die den Arbeitern des VW-Werks als Unterkunft dienen sollte. Strenge Aufsicht nach dem "Führerprinzip" führten Reichsbaumister Albert Speer und Reichskanzler Adolf Hitler persönlich. Gebaut wurde auf der grünen Wiese zwischen Hannover und Berlin.
"Hier soll nach dem Willen des Führers ein gigantisches Werk entstehen, von dem man noch einmal in der Welt reden wird!"
Und so kam es auch. Es entstand die "Stadt des Kraft-durch-Freude-Wagens bei Fallersleben". Ferdinand Porsche lieferte den Bauplan für den Käfer als Volkswagen − und Hitler verkündete bei der Gründungsfeier im Mai 1938:
"Ich vollziehe diese Grundsteinlegung im Namen des deutschen Volkes. Das Werk soll entstehen aus der Kraft des ganzen deutschen Volkes und es soll dienen der Freude des deutschen Volkes."
Was Hitler nicht sagte: Das Geld kam von den Gewerkschaften, die er kurzerhand enteignet hatte. Und gebaut wurde dann schon bald nichts mehr, was Freude machte, sondern nur noch, was kriegswichtig war. Die eigentliche Autoproduktion begann erst 1945, in Regie der britischen Besatzungsmacht.
Aufbau statt Demontage: Für das 1946 als Kunstprodukt der Alliierten gegründete Bundesland Niedersachsen erwies sich die britische Verwaltung als Segen: Sie taufte die Stadt gnädig in "Wolfsburg" um, baute Vertrieb und Werkstätten auf und sorgte für erste Export-Möglichkeiten.
Als die Briten im Oktober 1949 den Staatsbetrieb in die Hände der frisch gegründeten Bundesrepublik übergaben, startete VW aus der Pole-Position für das Wirtschaftswunder der 50er-Jahre. Und schon 1955 rollte der millionste VW-Käfer vom Band:
"Es ist ein vergoldeter Volkswagen, der von hier aus als Symbol der Volkswagen-Stadt Wolfsburg eine Reise um die Welt antreten wird."
Und fünf Jahre später verkündete die Bundesregierung stolz, dass sie nun ihr Werk ans Volk übergeben wolle. Und CDU-Wirtschaftsminister Ludwig Erhard behauptet 1960 kühn:
"Es ist von symbolischer, wegweisender Bedeutung, dass sich damit unsere Partei entschlossen hat, das Volkswagenwerk über das Mittel der Volksaktie in den Besitz weitester Volkskreise zu überführen."
Doch zum "volkseigenen Betrieb" wurde VW nie. Bund und Land behielten jeweils 20 Prozent der VW-Anteile für sich. Sicher ist sicher. Die besonderen Rechte und Regelungen dieser Überführung wurden im so genannten VW-Gesetz geregelt, das noch Jahre später für Ärger sorgte.
Wer hat das Haben und das Sagen?
Die Menschen kauften zwar VW-Autos und identifizierten sich mit der Marke. Aber Besitz und Verwaltung, also "das Haben und das Sagen" blieben vor allem bei den Ingenieursdynastien Porsche und Piech, den Gewerkschaften, vor allem der IG Metall − und bei den Politikern. Einer davon: Gerhard Schröder, in den 90er-Jahren Ministerpräsident Niedersachsens und bis 2005 Kanzler. Autokanzler. Spitzname: "Genosse der Bosse". In der Diskussion um die Sonderrechte von VW − in das VW-Gesetz gegossen − sagte er:
"Und wenn ich Haben und Sagen sage, dann meine ich damit: Die Beteiligung am materiellen Wohlstand, an dem, was erarbeitet worden ist. Aber genauso die Beteiligung an den Entscheidungen, in den Betrieben, in der Gesellschaft. Beides meint, Beteiligung am Haben und am Sagen!"
Aber nicht nur der Sozialdemokrat, auch die amtierende Bundeskanzlerin Angela Merkel und die niedersächsischen Ministerpräsidenten stritten für das VW-Gesetz. Mit Erfolg: Der Europäische Gerichtshof billigte die Regelungen nach einigen Änderungen im Jahr 2013. Die Wettbewerbshüter der Europäischen Kommission mussten ihren Widerstand nach 11-jährigem Rechtsstreit begraben:
"The commission takes notice of the judgement – and of course fully respects it. This clarification is in everyone's interest, following prolonged mitigation. And todays judgement brings the matter to a close."
Ein VW Logo aufgenommen am 24.09.2015 im Gegenlicht in Wolfsburg (Niedersachsen).
Ein VW Logo aufgenommen am 24.09.2015 in Wolfsburg. © picture alliance / dpa / Peter Steffen
Was außerdem geschah: immer wieder Absatzkrisen und Erfolge, die Porsche-Übernahme von VW, die dann zur VW-Übernahme von Porsche gedreht wurde. Und da war noch der Lustreisen-Skandal von 2005. Der Konzern hielt Betriebsräte, die im Aufsichtsrat den Vorstand kontrollieren sollten, mit gesponserten Luxusreisen und Prostituierten bei Laune.
"Ja, das war doch mit der Liebe zum Automobil so nicht gemeint."
... bemerkte der damalige Konzernchef Bernd Pischetsrieder als die fragwürdigen Sitten der Männerbünde aufflogen. Doch bei VW blieben sie weiter unter sich.
Allen Verflechtungen und Beschränkungen zum Trotz stiegen die Wolfsburger zum Weltkonzern auf. Umsatz, Mitarbeiter, Gewinn – alle Indizes wiesen in der achtjährigen Ära Winterkorn steil nach oben. Auch solche Fakten machen das System Volkswagen aus, betont Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil von der SPD – Dieselskandal hin oder her:
"Volkswagen hat sich über die Jahrzehnte hinweg großartig entwickelt. Und ich bin sicher, dass zum Beispiel die Anteilseignerschaft des Landes Niedersachsen mit ausgeprägt langfristigen Interessen dazu nachhaltig beigetragen hat. Und in Niedersachsen wissen wir ganz genau, was wir an Volkswagen haben: 120.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, die direkt an den sechs niedersächsischen Standorten beschäftigt sind, Hunderttausende, die indirekt davon profitieren. Volkswagen ist mit Abstand der wichtigste private Arbeitgeber in Niedersachsen, aber beiläufig eben auch Europas größter Arbeitgeber."
Und wie groß werden die Schäden ausfallen für das Land? Weil bleibt vage...
"Sie sind groß. Wie groß sie sind, das kann vernünftigerweise zur Zeit niemand sagen. Es wird Auswirkungen auf den Gewinn geben, auch auf die Steuereinnahmen, das ist gar keine Frage. Die entscheidende Frage ist für mich: "Wie werden sich die Kunden auf den unterschiedlichen Märkten dieser Welt verhalten?" Diese Entwicklung werden wir sehr aufmerksam verfolgen."
VW-Städte müssen nun einiges einsparen
Die ersten Konsequenzen sind aber schon gezogen. Auch in Wolfsburg. VW sponserte Kultur, Sport, Bildung. Rockstars, Schauspieler und Tanzkompanien kamen, weil der Konzern zahlte. Allein das Phaeno-Wissenschaftsmuseum neben dem Bahnhof kostete rund 90 Millionen Euro. Was nun? Wie verändert die Krise die Stimmung in der Stadt? Bei einem Gang durch die Fußgängerzone trifft man auf unterschiedliche Reaktionen. Am Wasserbrunnen zum Beispiel, an dem ein Rudel Bronzewölfe sitzt.
"Ganz Wolfsburg ist beleidigt, außer denen, die nicht bei VW arbeiten, so wie ich!" / "Ich war enttäuscht, fertig! Dass sowas überhaupt passieren kann!" / "Es gab viele Krisen bei Volkswagen, ich habe viele miterlebt. Es hat auch manchmal wehgetan. Man hat immer Wege gefunden, man hat zum Beispiel die Vier-Tage-Woche eingeführt. Man hat Entlassungen verhindert, man hat sozialverträglich gearbeitet. Und wir hatten immer das Glück, eine gute starke Gewerkschaft zu haben und eine gute Zusammenarbeit zwischen Betrieb und Gewerkschaft und Führung. Ich habe den Eindruck, es scheint so zu funktionieren. Fünf, sechs Jahre – dann haben wir das Gröbste durch!"
Im Rathaus an der Porschestraße hat Oberbürgermeister Klaus Mohrs bereits Einstellungsstopp und Haushaltssperre verkündet – und mit ihm auch andere VW-Städte:
"So richtig kann's ja noch keiner absehen, wie tief die Einschränkungen in den nächsten Jahren sein werden. Aber das ist von Stadt zu Stadt schon sehr unterschiedlich. Wir sind besonders stark betroffen durch die Gewerbesteuer, aber wir sind natürlich auch die Nutznießer der tollen Entwicklung von VW in den letzten Jahren – sodass wir die einzige Kommune auch sind, die tatsächlich Rücklagen hat bilden können."
Und zwar hohe: 250 Millionen Euro liegen für harte Zeiten bereit. Die Einschnitte tun also nicht weh. Noch nicht.
Von solchen Zuständen können andere Standorte wie Emden, Braunschweig, Hannover oder Osnabrück nur träumen. Sie leben mehr oder weniger von der VW-Hand in den Mund.
Frank Otte, Stadtbaurat in Osnabrück, treiben noch ganz andere Sorgen um: Europaweit dürfen in der Atemluft im Jahresschnitt maximal 40mg/m³ Stickoxid enthalten sein. Die Städte stehen unter gewaltigem Druck, denn von Seiten der EU drohen Strafzahlungen für alle, die es nicht schaffen, diesen Grenzwert einzuhalten. Fakt ist: Die Stationen, die entlang der Hauptverkehrsstraßen die realen Abgaswerte messen, die so genannten Real Drive Emissions, zeigen seit Jahren weit höhere Belastungen an, als erlaubt:
"Es wird auch von verschiedenen Untersuchungen und Institutionen bestätigt, dass die Real Drive Emissions völlig anders sind, teilweise 7-10fach so hoch, wie die Werte, die auf dem Teststand ermittelt werden. Und das führt aus unserer Ansicht nach dazu, dass wir in den Städten – trotz Euro 5 und trotz Euro 6 - nicht weiter runterkommen."
Um die Belastungen zu verringern, haben Städte wie Osnabrück Tempolimits und Umweltzonen eingerichtet. Die Manipulationen von Volkswagen haben diese Bemühungen ad absurdum geführt, klagt Otte:
"Wir fühlen uns schon veräppelt von der Autoindustrie. Und wenn man dann merkt, wie die Politik auch diese Fahrzeuge weiter protegiert durch Steuer-Vergünstigungen, und die Auto-Industrie durch Marketing-Maßnahmen, dann merkt man ganz einfach, dass das völlig aneinander vorbei läuft. Und das ärgert mich dann natürlich schon."
Warnung vor einer Mogelpackung
Für all die betrogenen Autokäufer wirft sich der Konzern in Posen der Demut und Zerknirschung. Der Rückruf der fast drei Millionen allein in Deutschland betroffenen Dieselautos soll laut VW Anfang kommenden Jahres starten. Bei den meisten Fahrzeugen könne ein Software-Update Abhilfe schaffen, bei anderen müssten auch Motoren überarbeitet werden. Nach Rückruf und Umbau werden die Autos die Abgasnorm erfüllen, so lautet das Versprechen. Doch wie ist es dann um Leistung und Verbrauch bestellt?
VW hat bisher offen gelassen, ob das Unternehmen für seine Kunden eine Kulanzregelung treffen und, je nachdem, wie hoch deren Schaden ausfällt, für die restliche Nutzungsdauer einen Ausgleich anbieten wird. Der Chef der Deutschen Umwelthilfe (DUH), Jürgen Resch, warnt VW-Kunden vorsorglich vor einer Mogelpackung:
"Die gemessenen realen Werte dieser Fahrzeuge liegen in Europa bei neuen Euro 5-, aber auch Euro 6-Fahrzeugen 7 bis 25 mal höher als erlaubt, In den USA sind es 10 bis 40 mal mehr. Und jetzt umgekehrt diese Software einfach abzuschalten: Das möchten wir erstmal sehen, welche Auswirkungen dies hat. Das kann dazu führen, dass man die Fahrzeuge mit einer Beschränkung der Höchstgeschwindigkeit und der Beschleunigung ausstatten muss."
Hat bei Volkswagen tatsächlich niemand etwas von den Manipulationen gewusst, wie Vorstand und Aufsichtsrat wie ein Mantra beteuern? Jürgen Resch von der Deutschen Umwelthilfe hat da seine Zweifel:
"In jedem Unternehmen wussten hunderte von Menschen Bescheid, wie und was gemacht werden muss, um eben die Grenzwerte einzuhalten. Es ist überhaupt nicht glaubwürdig, wenn hier Manager sagen, sie hören das zum ersten Mal. Denn der Aufwand ist doch recht groß, da muss man doch relativ stark in die Motorensteuerung einsteigen. Das ist Absicht, das ist geplant gewesen."
Die Deutsche Umwelthilfe will schmutzige Diesel mit Klagen gegen einzelne Städte und Gemeinden aus deutschen Innenstädten verbannen.
Ein Verbrennungsmotor emittiert, das ist nun mal so
Noch einmal zurück nach Wolfsburg. In die Autostadt, die auch so heißt: Direkt neben dem Werksgelände, erschaffen von VW als Beitrag zur Expo 2000, geführt als 100-prozentiges Tochterunternehmen. Das Automuseum, acht Pavillons für die VW-Automarken, ein hoch automatisiertes Auslieferungssystem für die Neuwagen und viele Veranstaltungen zogen 2014 rund 2,2 Millionen Besucher an, 166.000 davon holten ihren Neuwagen ab. An diesem Tag ist auch Jürgen Bauer aus der Nähe von Bonn dabei. Er holt seinen neuen Diesel ab. Der Händler habe gesagt, der sei nicht betroffen:
"Ich hole heute ganz bewusst auch meinen Tiguan ab. Ich habe die saubere Maschine, nicht die jetzt umstrittene Maschine drin! Mit 'ner etwas besseren Technologie, was die Abgasreinigung angeht. Ja, und das ist so! Wenn ich einen Verbrennungsmotor bewege, dann weiß ich, dass er emittiert! Und dann werden wir uns so langsam wieder auf die Rückreise machen. Mit keinem schlechten Gewissen – sagen wir es mal so!"
Auch die Eheleute Bscheidle nehmen ihren Neuwagen feierlich in Empfang. Einen Benziner, mit dem sie zurück nach Ulm fahren wollen.
"Sehr zufrieden mit VW! Und werden auch weiterhin VW fahren!"
"Ich bleib bei VW, trotz allem!"
In der weiten Eingangshalle der Autostadt, unter dem großen Globus, der die Vernetzungen des Konzerns mit aller Welt symbolisiert, scheint die Krise kleiner zu sein als draußen vor der Tür.
"Das Thema ist seit 15 Jahren: Menschen, Autos und was sie bewegt, also das Oberthema Mobilität. Aufgrund der jetzigen Thematik, das wäre ein Blick in die Glaskugel zu sagen, wie sich die Autostadt verändert – oder ob sie sich verändern wird."
... sagt Tobias Riepe, Sprecher der Autostadt.
"Auf der rein quantitativen Ebene haben wir bisher keinen Rückgang in den Besucherzahlen bemerkt, ebenso hatten wir keine Absagen von Kunden, die hier ihr Fahrzeug übernehmen wollen."
Ganz bestimmt wird der VW-Pavillon demnächst neu gestaltet. Denn da wird noch erklärt, wie sauber die neue Dieseltechnik sei. Überhaupt muss VW jetzt viel erklären − sehr vielen Menschen auf allen Ebenen und in vielen Sprachen. Die Autostadt versteht sich als Kommunikationsplattform, auch für das Image der Marke. Das Budget hier ist von Kürzungen bisher nicht betroffen. Im Gegenteil, man wird wohl aufstocken müssen. Vertrauen muss man sich verdienen.
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