Voller Gegensätze und doch ähnlich
Unterschiedlicher als Marlene Dietrich und Leni Riefenstahl können zwei Frauen wohl nicht sein, und doch hatten die beiden zum Teil ganz ähnliche Charakterzüge - so jedenfalls das Fazit, das die Autorin dieser Doppelbiographie zieht.
"Warum muss man immer einen schönen Busen haben, der kann ja auch mal ein bißchen hängen!"
Soweit die einzigen Worte aus dem Mund von Marlene Dietrich, an die sich Leni Riefenstahl später erinnert. Die Damen sitzen Ende der 20er Jahre im Berliner Künstlertreff "Schwannecke", aber an verschieden Tischen. Sie sind sich auch später so gut wie nie begegnet – und tun das auch in Karin Wielands Doppelbiografie nicht. Chronologisch, aber ohne Vergleiche oder Bezüge erzählt das Buch die zwei verschiedenen Leben.
Warum aber ausgerechnet diese Beiden? Warum müssen gerade sie herhalten, um das 20. Jahrhundert als eines "der Frauen" zu beschreiben, wie die Autorin sagt? Warum nicht Hildegard Knef, Alice Schwarzer oder, bitteschön, Marie Curie? Die Antwort wird erst nach längerem Lesen klar: Weil Leni und Marlene beide in Geschichte und Politik verstrickt sind – und zwar auf sehr ähnliche Weise. Die gut 550 Seiten salopp verkürzend lässt sich sagen: Marlene Dietrich hat ihre Kunst zeitweise in politischen Dienst gestellt – und Leni Riefenstahl hat die Politik ihrer Kunst zu Diensten gemacht.
Bei der Dietrich erschließt sich das gleich: Sie wandert aus und singt im zweiten Weltkrieg für US-Soldaten – also gegen die Nazis. An gefährlichen Orten nah der Front, opferbereit. Riefenstahl dagegen, die stahlharte Regisseurin der Reichsparteitagsfilme, ist in diesem Buch kein überzeugter Nazi, sondern schlicht egomanisch und gerissen – ihr wäre jedes Regime recht gewesen, das sie fördert. Das Menschenbild der Nazis passt einfach ganz gut zu ihrem hysterischen Kunst- und Schönheitsverständnis. Also flirtet sie schon früh mit dem späteren Führer:
"Sein Äußeres wird es nicht gewesen sein, denn Adolf Hitler ist überhaupt nicht der Typ Mann, auf den Leni Riefenstahl steht. Sie bevorzugt körperbetonte Männer mit breiten Schultern, wettergegerbten Gesichtern und viel Muskeln. Hitler dagegen ist ein käsebleicher, schwabbeliger Typ. Man kann ihn sich weder auf Skiern noch in der Badehose vorstellen."
Eine solche lässige Sprache blitzt immer wieder auf in "Dietrich und Riefenstahl". Marlene "steht auf dem Schlauch", wenn sie nach einem Ausflug zu Dior mal wieder pleite ist, und Leni "kann einpacken", jedenfalls vorerst, als die Nazi-Herrschaft endet. Die Autorin kann es sich erlauben: Sie hat, so scheint es, einfach alles gesehen und gelesen, was es über ihre Hauptfiguren zu recherchieren gibt - und sogar angefasst: Die Bettjäckchen der alten Marlene Dietrich zum Beispiel: gestopft, offenbar von jemandem, der nicht mehr gut sieht.
Und frühe Familienfotos, deren Posen sie wunderbar analysiert. Auf die Familienbande kommt sie immer wieder zurück – zum Beispiel, als sie sich mit Marlene Dietrichs berühmtestem Film auseinandersetzt, dem "Blauen Engel" – denn der ist auch die Geschichte eines "kecken, schlauen Animiermädchens aus dem Tingeltangel".
"Das ist genau die Rolle, die ihr auf den Leib geschrieben ist, und zwar – von ihrer Mutter. Die Verwandlung in Lola Lola muss für Marlene Dietrich unheimlich gewesen sein, denn sie verwandelt sich vor der Kamera zur Wiedergängerin der Ängste ihrer Mutter. Lola Lola ist die Frau, von der die Mutter immer befürchtet hat, dass sie in ihrer Tochter stecken könne, und die sie glaubte bekämpfen zu müssen."
Welche Frauen in einer Frau stecken, 1930 oder heute – wieviel "Leni" und "Marlene" letztlich in uns steckt: Darüber sagt das Buch weniger, als Titel und Klappentext hoffen lassen. Aha: Die Diva Marlene Dietrich nannte sich selbst in Briefen gern "Mutti" und kochte außerdem hervorragende Fleischbrühen – na gut. Etwas mehr kann sich frau vielleicht schon von den Geldgeschichten der beiden abgucken, und wenn es nur ist, dass Geld sehr wohl eine sehr große Rolle im Leben spielt. Vor allem, wenn es darum geht, eigene Träume zu verwirklichen.
Interessant sind die Durchsetzungs-Strategien der beiden, wie die Autorin sie sieht: Leni Riefenstahl setzt sich gern als Henne in den Korb eines Männerteams. Dabei schaltet sie höchst manipulativ zwischen eisiger Chefin und heulendem Wrack hin und her. So beschreibt es jedenfalls Karin Wieland, und an dieser Stelle wird nicht zum ersten Mal deutlich, wem ihre Sympathien als Autorin gehören: Ganz klar Marlene. Deren Trick ist es eher, sich selbst als harmlos und mäßig begabt zu verkaufen – um sofort danach die Konkurrenz an die Wand zu spielen.
Ob das gute Ideen für ein modernes Frauenleben sind? Sie scheinen eher etwas rückwärtsgewandt. Eine Strategie von Beiden kommt sicher nie aus der Mode: Die eigene Attraktivität gewinnbringend einzusetzen. Ein alter Hut. Liest man das Buch ganz bewusst als Frau des 21. Jahrhunderts, ergeben sich auch witzige Parallelen. Zum Beispiel die zwischen dem Filmstar Marlene und der mobilen, urbanen Projekt-Frau von heute:
"Sie lebt aus dem Koffer. Stets trägt sie Listen bei sich, auf denen sie einträgt, welches Kleidungsstück sich wo befindet. ‚Wo‘ heißt in ihrem Fall nicht nur, ob in LA, New York oder Paris, sondern auch, in welchem Koffer."
Auf einem Foto aus ihrer Army-Zeit steckt Marlene Dietrich mit einem Fuß im Nylonstrumpf, während sie vom anderen gerade den Kampfstiefel gezogen hat. Und als Leni Riefenstahl früh in ihrer Karriere noch schauspielert, inszeniert sie sich gern als zartes, verletzliches Wesen. Hinter der Kamera ist sie – tatsächlich – zäh wie Leder. Sie läuft bei körperlichen Strapazen, wie einem Dreh im ewigen Eis, zur Höchstform auf. – Lauter moderne Rollenwechsel vollziehen die beiden da.
Dann kommt das Alter. Während sich Marlene Dietrich immer mehr zurückzieht, kann Leni Riefenstahl Ende der 60er Jahre mit Mühe eine zweite Karriere als Fotografin starten. Ihre Bilder des Afrikanischen Volks der Nuba werden weltbekannt. Damit will sie aus dem bösen Schatten Adolf Hitlers treten, oder vielmehr: es auch ohne ihn schaffen. So sieht es Karin Wieland:
"Hitler war für sie keine weltliche Macht. Er war der Schöpfer – dessen, was sie abfilmte. Das ändert sich erst nach seinem Tod und dem Untergang seines Reiches. Leni Riefenstahl verliert ihre Privilegien, doch sie erhält im Gegenzug die alleinige Vollmacht über ihre Kunst. Ihren Ruhm muss sie nicht länger mit ihm teilen."
"Dietrich und Riefenstahl" ist ein kundiges und scharfsinniges Buch. Dem man gern verzeiht, dass es solch nützliche Banalitäten wie eine kurze Zeittafel zu den Biographien der beiden Frauen nicht enthält. Mit kühlem Blick entlarvt Karin Wieland auch die selbstgemachten Legenden der beiden Jahrhundertfrauen. Bei Leni Riefenstahl sind das teils brisante Lügen und Ungereimtheiten ihrer Vergangenheit, Marlene Dietrich erscheint eher als eine wehmütig Sinnsuchende, die sich selbst zu gern glauben mochte. Und wer würde das nicht. Aber es ist eben doch ein bisschen so, wie sie damals im Berliner Künstlerlokal "Schwannecke" sagte: Bisher erkennt noch kaum eine Kultur selbstverständlich an, dass eine weibliche Brust auch mal hängen darf.
Karin Wieland: Dietrich & Riefenstahl - Der Traum von der neuen Frau
Carl Hanser Verlag, München 2011
Soweit die einzigen Worte aus dem Mund von Marlene Dietrich, an die sich Leni Riefenstahl später erinnert. Die Damen sitzen Ende der 20er Jahre im Berliner Künstlertreff "Schwannecke", aber an verschieden Tischen. Sie sind sich auch später so gut wie nie begegnet – und tun das auch in Karin Wielands Doppelbiografie nicht. Chronologisch, aber ohne Vergleiche oder Bezüge erzählt das Buch die zwei verschiedenen Leben.
Warum aber ausgerechnet diese Beiden? Warum müssen gerade sie herhalten, um das 20. Jahrhundert als eines "der Frauen" zu beschreiben, wie die Autorin sagt? Warum nicht Hildegard Knef, Alice Schwarzer oder, bitteschön, Marie Curie? Die Antwort wird erst nach längerem Lesen klar: Weil Leni und Marlene beide in Geschichte und Politik verstrickt sind – und zwar auf sehr ähnliche Weise. Die gut 550 Seiten salopp verkürzend lässt sich sagen: Marlene Dietrich hat ihre Kunst zeitweise in politischen Dienst gestellt – und Leni Riefenstahl hat die Politik ihrer Kunst zu Diensten gemacht.
Bei der Dietrich erschließt sich das gleich: Sie wandert aus und singt im zweiten Weltkrieg für US-Soldaten – also gegen die Nazis. An gefährlichen Orten nah der Front, opferbereit. Riefenstahl dagegen, die stahlharte Regisseurin der Reichsparteitagsfilme, ist in diesem Buch kein überzeugter Nazi, sondern schlicht egomanisch und gerissen – ihr wäre jedes Regime recht gewesen, das sie fördert. Das Menschenbild der Nazis passt einfach ganz gut zu ihrem hysterischen Kunst- und Schönheitsverständnis. Also flirtet sie schon früh mit dem späteren Führer:
"Sein Äußeres wird es nicht gewesen sein, denn Adolf Hitler ist überhaupt nicht der Typ Mann, auf den Leni Riefenstahl steht. Sie bevorzugt körperbetonte Männer mit breiten Schultern, wettergegerbten Gesichtern und viel Muskeln. Hitler dagegen ist ein käsebleicher, schwabbeliger Typ. Man kann ihn sich weder auf Skiern noch in der Badehose vorstellen."
Eine solche lässige Sprache blitzt immer wieder auf in "Dietrich und Riefenstahl". Marlene "steht auf dem Schlauch", wenn sie nach einem Ausflug zu Dior mal wieder pleite ist, und Leni "kann einpacken", jedenfalls vorerst, als die Nazi-Herrschaft endet. Die Autorin kann es sich erlauben: Sie hat, so scheint es, einfach alles gesehen und gelesen, was es über ihre Hauptfiguren zu recherchieren gibt - und sogar angefasst: Die Bettjäckchen der alten Marlene Dietrich zum Beispiel: gestopft, offenbar von jemandem, der nicht mehr gut sieht.
Und frühe Familienfotos, deren Posen sie wunderbar analysiert. Auf die Familienbande kommt sie immer wieder zurück – zum Beispiel, als sie sich mit Marlene Dietrichs berühmtestem Film auseinandersetzt, dem "Blauen Engel" – denn der ist auch die Geschichte eines "kecken, schlauen Animiermädchens aus dem Tingeltangel".
"Das ist genau die Rolle, die ihr auf den Leib geschrieben ist, und zwar – von ihrer Mutter. Die Verwandlung in Lola Lola muss für Marlene Dietrich unheimlich gewesen sein, denn sie verwandelt sich vor der Kamera zur Wiedergängerin der Ängste ihrer Mutter. Lola Lola ist die Frau, von der die Mutter immer befürchtet hat, dass sie in ihrer Tochter stecken könne, und die sie glaubte bekämpfen zu müssen."
Welche Frauen in einer Frau stecken, 1930 oder heute – wieviel "Leni" und "Marlene" letztlich in uns steckt: Darüber sagt das Buch weniger, als Titel und Klappentext hoffen lassen. Aha: Die Diva Marlene Dietrich nannte sich selbst in Briefen gern "Mutti" und kochte außerdem hervorragende Fleischbrühen – na gut. Etwas mehr kann sich frau vielleicht schon von den Geldgeschichten der beiden abgucken, und wenn es nur ist, dass Geld sehr wohl eine sehr große Rolle im Leben spielt. Vor allem, wenn es darum geht, eigene Träume zu verwirklichen.
Interessant sind die Durchsetzungs-Strategien der beiden, wie die Autorin sie sieht: Leni Riefenstahl setzt sich gern als Henne in den Korb eines Männerteams. Dabei schaltet sie höchst manipulativ zwischen eisiger Chefin und heulendem Wrack hin und her. So beschreibt es jedenfalls Karin Wieland, und an dieser Stelle wird nicht zum ersten Mal deutlich, wem ihre Sympathien als Autorin gehören: Ganz klar Marlene. Deren Trick ist es eher, sich selbst als harmlos und mäßig begabt zu verkaufen – um sofort danach die Konkurrenz an die Wand zu spielen.
Ob das gute Ideen für ein modernes Frauenleben sind? Sie scheinen eher etwas rückwärtsgewandt. Eine Strategie von Beiden kommt sicher nie aus der Mode: Die eigene Attraktivität gewinnbringend einzusetzen. Ein alter Hut. Liest man das Buch ganz bewusst als Frau des 21. Jahrhunderts, ergeben sich auch witzige Parallelen. Zum Beispiel die zwischen dem Filmstar Marlene und der mobilen, urbanen Projekt-Frau von heute:
"Sie lebt aus dem Koffer. Stets trägt sie Listen bei sich, auf denen sie einträgt, welches Kleidungsstück sich wo befindet. ‚Wo‘ heißt in ihrem Fall nicht nur, ob in LA, New York oder Paris, sondern auch, in welchem Koffer."
Auf einem Foto aus ihrer Army-Zeit steckt Marlene Dietrich mit einem Fuß im Nylonstrumpf, während sie vom anderen gerade den Kampfstiefel gezogen hat. Und als Leni Riefenstahl früh in ihrer Karriere noch schauspielert, inszeniert sie sich gern als zartes, verletzliches Wesen. Hinter der Kamera ist sie – tatsächlich – zäh wie Leder. Sie läuft bei körperlichen Strapazen, wie einem Dreh im ewigen Eis, zur Höchstform auf. – Lauter moderne Rollenwechsel vollziehen die beiden da.
Dann kommt das Alter. Während sich Marlene Dietrich immer mehr zurückzieht, kann Leni Riefenstahl Ende der 60er Jahre mit Mühe eine zweite Karriere als Fotografin starten. Ihre Bilder des Afrikanischen Volks der Nuba werden weltbekannt. Damit will sie aus dem bösen Schatten Adolf Hitlers treten, oder vielmehr: es auch ohne ihn schaffen. So sieht es Karin Wieland:
"Hitler war für sie keine weltliche Macht. Er war der Schöpfer – dessen, was sie abfilmte. Das ändert sich erst nach seinem Tod und dem Untergang seines Reiches. Leni Riefenstahl verliert ihre Privilegien, doch sie erhält im Gegenzug die alleinige Vollmacht über ihre Kunst. Ihren Ruhm muss sie nicht länger mit ihm teilen."
"Dietrich und Riefenstahl" ist ein kundiges und scharfsinniges Buch. Dem man gern verzeiht, dass es solch nützliche Banalitäten wie eine kurze Zeittafel zu den Biographien der beiden Frauen nicht enthält. Mit kühlem Blick entlarvt Karin Wieland auch die selbstgemachten Legenden der beiden Jahrhundertfrauen. Bei Leni Riefenstahl sind das teils brisante Lügen und Ungereimtheiten ihrer Vergangenheit, Marlene Dietrich erscheint eher als eine wehmütig Sinnsuchende, die sich selbst zu gern glauben mochte. Und wer würde das nicht. Aber es ist eben doch ein bisschen so, wie sie damals im Berliner Künstlerlokal "Schwannecke" sagte: Bisher erkennt noch kaum eine Kultur selbstverständlich an, dass eine weibliche Brust auch mal hängen darf.
Karin Wieland: Dietrich & Riefenstahl - Der Traum von der neuen Frau
Carl Hanser Verlag, München 2011