Voller Optimismus voraus!

Rezensiert von Martin Steinhage |
Der ehemalige Wirtschaftsweise Bert Rürup und der Wirtschaftsjournalist Dirk Heilmann wenden sich ausdrücklich gegen die deutsche Neigung zu Nabelschau und Pessimismus. Fette Jahre liegen nicht hinter, sondern vor uns, so die Kernthese ihres Buches.
Dieses Buch will Mut machen. Wirtschaftlich "Fette Jahre" liegen nicht hinter, sondern vor uns, so die Kernthese des Autorenduos Bert Rürup und Dirk Heilmann. Der ehemalige "Wirtschaftsweise" und der Wirtschaftsjournalist wenden sich ausdrücklich gegen die deutsche Neigung zu Nabelschau und Pessimismus - und damit gegen die weit verbreitete These vom angeblichen Niedergang des Standorts Deutschland.

"Fette Jahre" hält dagegen: Die Chancen sind weit größer als die Risiken, man muss sie nur nutzen:

"Wir leiten die Zukunftsaussichten Deutschlands aus der Entwicklungsperspektive der globalen Wirtschaft ab, betrachten unsere wichtigsten Konkurrenten und Partner auf dem Weltmarkt und ziehen aus dieser Analyse die Schlussfolgerung, dass Deutschland prädestiniert ist, in den nächsten 20 Jahren der große Gewinner unter den klassischen Industriestaaten zu werden."

In einem komplexen Szenario nehmen die Autoren mehr als ein Dutzend Staaten, darunter etablierte Wirtschaftsmächte wie aufstrebende Nationen, unter die Lupe und untersuchen deren ökonomische Aussichten in den kommenden zwei Jahrzehnten.

Unter dem Strich steht das Ergebnis, dass in diesem Zeitraum die Globalisierung ungeachtet der schweren Krise der Weltwirtschaft unvermindert weitergehen wird, allerdings unter deutlich veränderten Vorzeichen: Der Aufstieg der Schwellenländer findet beschleunigt seine Fortsetzung, die sogenannten BRICS-Staaten – also Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika – sowie einige weitere aufsteigende Nationen werden schon bald auf einen Anteil von 25 Prozent an der Weltwirtschaft kommen.

Zugleich schrumpft die ökonomische Macht der bislang führenden sechs Industriestaaten von heute rund 50 Prozent auf unter ein Drittel der globalen Wertschöpfung. Vor allem der Einfluss der USA wird dem Szenario zufolge deutlich geringer werden, und mit ihm die Rolle des Dollars als globale Leitwährung.

Diese schlüssig begründete mögliche Gesamtentwicklung spielt nach Überzeugung der Autoren Deutschland mit seinem hochentwickelten Modell der sozialen Marktwirtschaft in die Karten: Der ehemalige Exportweltmeister sei bereits heute glänzend aufgestellt und werde sich in der Spitzengruppe der Volkswirtschaften halten können - dank fünf bestimmender Faktoren:

"Einer hohen internationalen Wettbewerbsfähigkeit, eines flexiblen Arbeitsmarktes, einer kurzfristig günstigen demographischen Konstellation, relativ solider Staatsfinanzen und der europäischen Integration. Die von Investitionsgütern dominierte Produktpalette der deutschen Industrie passt wie der Schlüssel zum Schloss zur Nachfrage der Schwellenländer."

Allerdings werde diese optimistische Vorhersage nur zu halten sein, wenn Deutschland eine Reihe von Hausaufgaben anpackt, zeitnah abarbeitet und auf diese Weise den Standort zukunftsfest macht.

Dabei müsse die deutsche Politik die Entschlossenheit der jüngsten Vergangenheit aufbringen, die zunächst zur Durchsetzung der Agenda 2010 und dem damit verbundenen Rückbau des Sozialstaats führte, und später mit umsichtigen Maßnahmen dafür sorgte, dass die Folgen der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise hierzulande viel besser aufgefangen werden konnten als anderswo.

Damit der unausweichliche demographische Wandel nicht die deutschen Wachstums- und Wettbewerbschancen dauerhaft schmälere, sei massiv in den Bereich Familie und Bildung zu investieren. Unbedingt notwendig wäre ein deutlich höherer Anteil von Frauen bei Vollzeitstellen, was wiederum flankierende Maßnahmen nötig mache, wie etwa eine verbesserte Kinderbetreuung und mehr Ganztagsschulen. Auch könne sich Deutschland die hohe Quote an Schulabbrechern insbesondere unter Migrantenkindern nicht mehr erlauben.

Zudem empfehlen die Autoren weitere Reformen am Arbeitsmarkt, unter anderem einen moderaten gesetzlichen Mindestlohn und bessere Aufstiegschancen für die unteren Einkommensgruppen. Da die steuerliche Belastung im internationalen Maßstab "erträglich" sei, sollte an dieser Stelle auf weitere Entlastungen von Haushalten und Unternehmen verzichtet werden zugunsten von steuerlichen Anreizen für Forschung und Innovation. Sie seien die wichtigsten Wachstumstreiber der deutschen Wirtschaft.

Keine Frage, was Rürup und Heilmann da der deutschen Politik an Handlungsempfehlungen ins Stammbuch schreiben, ist weder neu noch überraschend. Aber es ist eben auch richtig – wobei auf einem anderen Blatt steht, ob bei den politisch Verantwortlichen der Einsicht in die Notwendigkeiten dann auch die Taten folgen ...

Eine weitere zwingende Voraussetzung für die anhaltende Prosperität Deutschlands ist aus Sicht der Autoren eine gesicherte Zukunft der EU und des Euros. Gerade Deutschland habe ein überragendes Interesse daran, ein Auseinanderbrechen der Euro-Zone zu verhindern. Ein Zurück zur D-Mark würde für die deutsche Wirtschaft einen schweren Rückschlag bedeuten:

"Es ist unverantwortlich, jetzt die Sehnsucht nach der Rückkehr der D-Mark zu schüren, wie es manche Ökonomen und Medien tun. Die Kosten wären vermutlich höher als die einer Rettung der Währungsunion in ihrer gegenwärtigen Form, und noch dazu würden der Europäische Binnenmarkt und das gesamte Projekt der Europäischen Union gefährdet. Ein Auseinanderbrechen der Währungsunion wäre für Deutschland als Kernland Europas fatal. Die einzig sinnvolle Richtung ist der Weg zu mehr europäischer Integration, auch wenn dieser Weg mühsam und kostspielig ist."

So schwer zu prognostizieren wie die Zukunft von EU und Euro sind auch die finanziellen Belastungen der Euro-Krise, die unter anderem auf Deutschland zukommen. Es ist den Autoren nicht vorzuwerfen, dass sie solche Entwicklungen nicht vorhersehen können – und seriöser Weise auch erst gar nicht den Versuch unternehmen, in die Glaskugel zu blicken.

Das ist zwar redlich ist, relativiert jedoch stark die Aussagekraft der Thesen von Bert Rürup und Dirk Heilmann. Denn was wären all die ermutigenden Prognosen eines unschönen Tages noch wert, wenn die Staatsschuldenkrise erst einmal aus dem Ruder gelaufen ist? Mit diesem Manko gehen der Wirtschaftswissenschaftler und der Chefökonom des "Handelsblatts" gelassen um, wenn Sie am Ende ihres Buches lapidar schreiben:

"Selbstverständlich kann auch alles ganz anders kommen."

Wie wahr! Zwar schmälert der Umstand, dass die zentrale Botschaft des Buches von den "fetten Jahren", die da kommen, möglicherweise gar nicht zu halten ist, den Gewinn, den man aus der Lektüre ziehen kann. Auf der anderen Seite benennen die Autoren in ihrer faktenreichen Analyse Stärken und Schwächen des "Standorts D". Sie bieten damit einen guten Gesamtüberblick über den Ist-Zustand und die Perspektiven der deutschen Volkswirtschaft in der globalisierten Welt.

Bert Rürup, Dirk Heilmann: Fette Jahre. Warum Deutschland eine glänzende Zukunft hat
Carl Hanser Verlag München 2012
Cover - Bert Rürup, Dirk Hinrich Heilmann: Fette Jahre
Cover - Bert Rürup, Dirk Hinrich Heilmann: Fette Jahre© Carl Hanser Verlag Mün