Vollkommene Filmverrücktheit

Von Verena Fiebiger |
Er pendelt wieder zwischen Hamburg und München und dreht Filme über seine Lieblingsthemen: das Suchen und Verlieren der Liebe, Drogen und Sex, freie Mädchen und harte Kerle. Klaus Lemke ist der gradlinigste Außenseiter der deutschen Film-Szene
"Stundenweise find ich mich schon ganz gut, aber stundenweise dann auch wieder ganz, ganz mittelmäßig, und die meiste Zeit hab ich überhaupt kein Verhältnis zu mir. Ich mein, ich muss nicht immer glücklich sein, niemand muss glücklich sein, niemand kann den ganzen Tag verliebt sein. Vollkommener Unsinn! Es geht darum, dass man ein bisschen zu sich passt, nur ein bisschen, mehr ist sowieso nicht zu erreichen und diese ganze Inszenierung, die man von sich macht, bröckelt jeden Tag fünfmal zusammen und dann muss man wissen, was man macht. Am besten geht man dann ins Kino. Oder dreht Filme."

So wie "Drei Minuten Heroes" – ein Klaus-Lemke-Film aus dem Jahr 2004. Ein Imbiss, ein hübsches Mädchen hinter dem Tresen und ein Junge, der mehr will als nur Pommes bestellen.

"Was kann ich für dich tun?" "Pommesschranke und Riesencurry." "Riesencurry ham wir nicht.. Kleine oder große?" "Groß - so wie deine Ausstrahlung." " Sonst noch was dazu?" "Ein Bier und deine Telefonnummer." "Okay…ein Astra … Festnetz oder Handy?""Beides.."

In Lemke-Filmen funktioniert so was. Da ist es leicht, wunderschöne Frauen aufzureißen und zu jedem Zeitpunkt Sex zu haben der Sorte "Baby, leg mich an der Wand flach".

"Süßer, wird das heute noch was?"

Aber Lemkes Figuren teilen sein Mantra des kurzen Glücks. Drei Minuten Ekstase, drei Minuten fühlen wie ein Held – dann irren Jungs wie Mädchen schon wieder allein und getrieben durch die Stadt – meist durch Hamburg. Neuerdings auch wieder durch München, genauer gesagt Schwabing. Klaus Lemkes Wahlheimat. In der Zeit von Studentenrevolten und Kommunen drehte er dort, mit Mitte zwanzig seine ersten Kurzfilme. Der junge wilde Lemke – mit Lederjacke, Sonnebrille und wirrem Haar. Er machte Bekanntschaft mit Andreas Baader und war – benutzt man den Hamburgsprech – der heimliche Kiezkönig. Heute lebt der drahtige, fast Siebzigjährige spartanisch in einem kleinen Appartement nahe der Leopoldstraße.

"Ich mag gerne diese Idee von Katholizismus und ich fühl mich da auch sehr drin geborgen, aber nur die Hälfte der Zeit; in der anderen Hälfte möchte ich, dass Power auf Power prallt und was daraus entsteht, ist meistens Rache. Und das ist das andere System, wie man die Welt sehen kann."

Und dieses System regiert nach Lemke ganz klar im calvinistischen Hamburg: eine Stadt ohne Vergebung, in der es Schicksal ist, wer oben und wer unten schwimmt. Lemke-Figuren dürfen sich rächen, wenn ihnen Unrecht widerfahren ist. Folgt man diesem Weltbild des Regisseurs, erscheint der Aberwitz, mit dem seine Protagonisten über die Reeperbahn stolpern, nur konsequent.

"Ich hab ziemlich lange geglaubt, so was Goethe erzählt hat, dass man im Laufe seines Lebens wirklich etwas dazulernt, und dann dachte ich, werd ich's auch irgendwann mal schaffen, mit diesen Gespenstern in mir klarkommen. Aber zum Glück ist es so, dass das nicht stimmt, wir sind... das Leben besteht nicht daraus, dass wir klüger werden, es ist sowieso immer derselbe Tag, den wir erleben."

Sich von einer Katastrophe in die nächst größere zu retten. Dieser Satz gehört fest ins Lemke-Lexikon und bestimmt die Logik seiner Filme wie seines Lebens. Nach dem Abi haut der damals 19-Jährige von Zuhause ab, entflieht dem Elternhaus im polnischen Landsberg an der Warthe. Ein rücksichtsloser Ausbruch in die Freiheit, der einzig richtige Ausweg, wie Lemke sagt, der ihm aber noch heute leid tut, denkt er an seine Mutter. Vollkommene Filmverrücktheit und gar nichts haben, außer Bewunderung für das amerikanische Kino, war der Antrieb für ihn, zu drehen. Die Milieustudie, das Finden von Typen sind seine großen Stärken.

Brüderchen, Brüderchen, du bist gar nicht so schlecht, du glaubst also, ich geb dir das Geld nicht zurück, du Klappstuhl! … Sag mal, willst du mich anmachen? Bist du Kerl oder was, mach dich grade!

Seinen Kultfilm "Rocker" bezeichnet der Regisseur als eine persönliche Zeitenwende. Nach Hamburg dreht Lemke seine bayerischen Komödien, Kassenschlager, die ihn berühmt machen, mit denen er sich aber immer weiter von sich selbst entfernt.

"Wenn man so leicht so viel Geld verdient, weil die Leute süchtig waren nach Komödien mit Cleo und Fiereck, dann vergisst man vollkommen am richtigen Moment aufzuhören, danach habe ich dann aber auch gleich zehn Jahre aufgehört und in Amerika gelebt, weil ich konnte mir das wirklich nicht verzeihen, dass ich so blöd war, den Absprung nicht zu finden."

Lemke ist wieder zum Ursprung zurückgekehrt, asketisch, mit wenig Geld, aber umso mehr Energie.

"Die Ideen, die wirklichen Ideen, welches Gefühl in meinen Filmen sein soll, das kommt nur dann, wenn ich vollkommen nüchtern morgens um fünf Uhr aufwache, da kommen die Ideen rein aus dem Himmel geschossen wie SMS. Aber ich bin auch vollkommen nüchtern. Vollkommen nüchtern. Weder Drogen, noch Bier noch Alkohol noch irgendwas. Auch kein Sex am Abend. Abends muss ich mich wie wohl alle Leute, die kreativ sein wollen, langweilen, so sieht mein Leben aus."

Eins steht fest: Das Ziel ist Leichtigkeit. Und weiterdrehen zwischen München und Hamburg. Klaus Lemke braucht dieses Leben, genauso wie der deutsche Film einen Querschläger wie ihn.

"Diese Momente, wo plötzlich tausend Kerzen in dir brennen, weil du etwas siehst, etwas ganz kleines vielleicht nur siehst und diese Ideen, denen nachzujagen, diesem Schatz, das hat mich nie wirklich verlassen."