Vom Alltag und anderen Katastrophen
Kriegsbilder vom Balkan, Krawalle auf Schulhöfen und Airport-Checks: Der niederländische Raum- und Videokünstler Aernout Mik inszeniert Extreme, aber auch Alltag. Das Essener Museum Folkwang zeigt jetzt eine große Retrospektive.
"Aernout Mik ist einer der faszinierendsten Videokünstler der Gegenwart, der in seinen Videos auf eine ganz eigene Weise unsere heutige Weltsituation - könnte man sagen - aufnimmt und zum Thema macht."
Was Direktor Hartwig Fischer sagt, scheint auf viele Künstler zuzutreffen, aber Aernout Mik nimmt sich der Themen wie Terror, Unsicherheit, Bürgerrechte, Konsumkultur, Katastrophen, Krieg, Macht der Bilder auf einzigartige Weise an. Ausstellungsmacherin Sabine Maria Schmidt:
"Es gibt Situationen wie Unfälle, es gibt Ausnahmeszenerien, es gibt aber auch Alltagsszenerien wie den Flughafen-Check."
Auf großen, teils geknickten skulpturalen Videowänden im Raum sieht man Katastrophenübungen auf Schulhöfen, Evakuierungen und Deeskalationsübungen, bei denen plötzlich unklar ist, wer der Retter und der Gerettete, wer beschützt und wer bedroht, wer Angst hat und wer nicht.
Die Handlungen ähneln sich. Schulhofkrawalle in Holland und England sind zu sehen, die zwischen Bandenkrieg und Gute-Laune-Party wechseln. Ein anderer Film zeigt eine Unfallstelle auf einer osteuropäischen Autobahn, wo alles ganz unaufgeregt abläuft. Sanitäter, Feuerwehr, Spürhunde, Tragbahren, aber keine Opfer werden aus dem umgestürzten Gelenkbus geborgen. Was hat sich ereignet? Hat sich überhaupt etwas ereignet? Wo ist Vorder- und Hintergrund? Bin ich im Film, im Museum, auf der Strasse? Jeder sucht seinen Platz.
Bei Aernout Mik geht es ruhig und unruhig zugleich zu. Vertraute Medienbilder von Unfallstellen werden nach Sekunden zu surrealen Bildern des Schreckens. Aernout Mik sagt zur Tonlosigkeit seiner Filme:
"Die Arbeiten sind ohne Ton, weil das einen Raum gibt - ziemlich einfacher Grund - weil das einen Raum kreiert, wo man sich eigentlich kontemplativ und analytisch verhält. (…) Ich will, dass man hier ist und da ist, zur gleichen Zeit. Das ist mir sehr wichtig, deswegen sind sie ohne Ton."
Ausstellungsmacherin Sabine Maria Schmidt:
""Für mich ist Aernout Mik einer dieser sehr großen Künstler, weil er auf ungewöhnliche Weise die vielen verschiedenen Medien, nämlich Skulptur, Architektur, Performance - man kann auch Momente von Malerei und Bildhauerei hier erkennen – zusammenbringt.""
Manche seiner Videos aus dem italienischen Parlament oder dem ehemaligen Warschauer Kultur- und Wissenschaftspalast erinnern an Historiengemälde von Antoine Watteau und Jacques-Louis David - oder an die Riesenformate der objektiven Fotographie von Thomas Struth und Andreas Gursky. Hier ist buchstäblich alles in Bewegung. Aus Richtern können im Verlauf des Videos Angeklagte werden, Beobachter verändern ihre Rolle. Aernout Miks Videoarbeiten sind choreographiert, nie bis ins Einzelne geplant, sagt Sabine Maria Schmidt.
"Es ist alles arrangiert, gerade die frühen Arbeiten des Künstlers, der ja angefangen hat mit Installationen und Live-Performances. Das ist ganz wichtig zu wissen. Er arbeitet nie mit professionellen Schauspielern. Er castet spezielle Personen. Die Sets sind Abbilder von Situationen, die wir kennen."
Als hätte Robert Wilson pantomimisch inszeniert, gehen Menschen auf einer Rolltreppe dicht gedrängt ganz langsam, aber es gibt keinen Ausweg. Um sie herum stürzen Gebäude ein. Die Menschen schreien aber nicht, sie rennen nicht, sie verletzten sich nicht, sie suchen ihren Platz. Die Arbeit heißt "Organic Escalator", organischer Aufzug, lebendige Rolltreppe. Aernout Mik:
"Deswegen hat es hier auch die Kombination von einerseits Katastrophe und Zusammenstürzen, Panik, andererseits ist eine bestimmte Sanftigkeit, und diese widersprüchlichen Sachen zugleich zu versuchen zu denken, ist mir enorm wichtig. (…) Deswegen heißt die Arbeit "organic escalator". Es ist irgendwo ein Organismus, die eine Form findet, um zu überleben."
Folkwang-Direktor Hartwig Fischer hat die bislang größte Schau von Aernout Mik in sein Haus an der Ruhr geholt. Die Retrospektive zeigt Arbeiten der vergangenen zehn Jahre; Situationen, die wir kennen und die um die Frage nach dem Verhältnis von Individuum und Gesellschaft kreisen, sagt Fischer:
"Filme, die zum Beispiel die Sicherheitskontrollen an einem Flughafen zeigen. Es gibt Filme, die wie eine Presseberichterstattung über einen Unfall auf einer Landstrasse daherkommen. Es gibt Filme, die eine ganz offene, noch unbestimmte Parlamentssituation zeigen, wo man den Eindruck hat, hier bildet sich überhaupt erst eine Volksvertretung. Die Regeln sind noch nicht geklärt, die Verteilung ist noch nicht geklärt, die Hierarchien sind undeutlich. Es ist eine sehr offene Situation."
Die einzige Arbeit mit Ton heißt "Raw Footage", rohes Foto - und Medienmaterial aus den Balkankriegen. Man hört Schüsse, sieht Soldaten, Ziegen, Kinder beim Spielen, Gefangene, Zivilisten. "Extrem" und "normal" tauschen manchmal die Seite. Es geht Mik um solche Strukturähnlichkeiten.
"Man kann nicht über Krieg nachdenken, denke ich, ohne diese Normalität zu erfahren. Die gehört auch dazu. Wenn ein Soldat nach der Front läuft, und läuft und läuft, ab einem bestimmten Moment läuft er nur noch."
In einer umfassenden Schau kann man im Essener Folkwang Museum Aernout Mik, diesen wichtigen Vertreter der neueren Videokunst, kennenlernen. Hartwig Fischer:
"Je länger man sich mit diesen Filmen, die hoch faszinierend sind, befasst, desto unsicherer wird man. Aber unsicher in einer sehr inspirierenden Weise. (…) Unterschwellig sind die Arbeiten, die hier versammelt sind, hoch politisch."
Museum Folkwang Essen
Was Direktor Hartwig Fischer sagt, scheint auf viele Künstler zuzutreffen, aber Aernout Mik nimmt sich der Themen wie Terror, Unsicherheit, Bürgerrechte, Konsumkultur, Katastrophen, Krieg, Macht der Bilder auf einzigartige Weise an. Ausstellungsmacherin Sabine Maria Schmidt:
"Es gibt Situationen wie Unfälle, es gibt Ausnahmeszenerien, es gibt aber auch Alltagsszenerien wie den Flughafen-Check."
Auf großen, teils geknickten skulpturalen Videowänden im Raum sieht man Katastrophenübungen auf Schulhöfen, Evakuierungen und Deeskalationsübungen, bei denen plötzlich unklar ist, wer der Retter und der Gerettete, wer beschützt und wer bedroht, wer Angst hat und wer nicht.
Die Handlungen ähneln sich. Schulhofkrawalle in Holland und England sind zu sehen, die zwischen Bandenkrieg und Gute-Laune-Party wechseln. Ein anderer Film zeigt eine Unfallstelle auf einer osteuropäischen Autobahn, wo alles ganz unaufgeregt abläuft. Sanitäter, Feuerwehr, Spürhunde, Tragbahren, aber keine Opfer werden aus dem umgestürzten Gelenkbus geborgen. Was hat sich ereignet? Hat sich überhaupt etwas ereignet? Wo ist Vorder- und Hintergrund? Bin ich im Film, im Museum, auf der Strasse? Jeder sucht seinen Platz.
Bei Aernout Mik geht es ruhig und unruhig zugleich zu. Vertraute Medienbilder von Unfallstellen werden nach Sekunden zu surrealen Bildern des Schreckens. Aernout Mik sagt zur Tonlosigkeit seiner Filme:
"Die Arbeiten sind ohne Ton, weil das einen Raum gibt - ziemlich einfacher Grund - weil das einen Raum kreiert, wo man sich eigentlich kontemplativ und analytisch verhält. (…) Ich will, dass man hier ist und da ist, zur gleichen Zeit. Das ist mir sehr wichtig, deswegen sind sie ohne Ton."
Ausstellungsmacherin Sabine Maria Schmidt:
""Für mich ist Aernout Mik einer dieser sehr großen Künstler, weil er auf ungewöhnliche Weise die vielen verschiedenen Medien, nämlich Skulptur, Architektur, Performance - man kann auch Momente von Malerei und Bildhauerei hier erkennen – zusammenbringt.""
Manche seiner Videos aus dem italienischen Parlament oder dem ehemaligen Warschauer Kultur- und Wissenschaftspalast erinnern an Historiengemälde von Antoine Watteau und Jacques-Louis David - oder an die Riesenformate der objektiven Fotographie von Thomas Struth und Andreas Gursky. Hier ist buchstäblich alles in Bewegung. Aus Richtern können im Verlauf des Videos Angeklagte werden, Beobachter verändern ihre Rolle. Aernout Miks Videoarbeiten sind choreographiert, nie bis ins Einzelne geplant, sagt Sabine Maria Schmidt.
"Es ist alles arrangiert, gerade die frühen Arbeiten des Künstlers, der ja angefangen hat mit Installationen und Live-Performances. Das ist ganz wichtig zu wissen. Er arbeitet nie mit professionellen Schauspielern. Er castet spezielle Personen. Die Sets sind Abbilder von Situationen, die wir kennen."
Als hätte Robert Wilson pantomimisch inszeniert, gehen Menschen auf einer Rolltreppe dicht gedrängt ganz langsam, aber es gibt keinen Ausweg. Um sie herum stürzen Gebäude ein. Die Menschen schreien aber nicht, sie rennen nicht, sie verletzten sich nicht, sie suchen ihren Platz. Die Arbeit heißt "Organic Escalator", organischer Aufzug, lebendige Rolltreppe. Aernout Mik:
"Deswegen hat es hier auch die Kombination von einerseits Katastrophe und Zusammenstürzen, Panik, andererseits ist eine bestimmte Sanftigkeit, und diese widersprüchlichen Sachen zugleich zu versuchen zu denken, ist mir enorm wichtig. (…) Deswegen heißt die Arbeit "organic escalator". Es ist irgendwo ein Organismus, die eine Form findet, um zu überleben."
Folkwang-Direktor Hartwig Fischer hat die bislang größte Schau von Aernout Mik in sein Haus an der Ruhr geholt. Die Retrospektive zeigt Arbeiten der vergangenen zehn Jahre; Situationen, die wir kennen und die um die Frage nach dem Verhältnis von Individuum und Gesellschaft kreisen, sagt Fischer:
"Filme, die zum Beispiel die Sicherheitskontrollen an einem Flughafen zeigen. Es gibt Filme, die wie eine Presseberichterstattung über einen Unfall auf einer Landstrasse daherkommen. Es gibt Filme, die eine ganz offene, noch unbestimmte Parlamentssituation zeigen, wo man den Eindruck hat, hier bildet sich überhaupt erst eine Volksvertretung. Die Regeln sind noch nicht geklärt, die Verteilung ist noch nicht geklärt, die Hierarchien sind undeutlich. Es ist eine sehr offene Situation."
Die einzige Arbeit mit Ton heißt "Raw Footage", rohes Foto - und Medienmaterial aus den Balkankriegen. Man hört Schüsse, sieht Soldaten, Ziegen, Kinder beim Spielen, Gefangene, Zivilisten. "Extrem" und "normal" tauschen manchmal die Seite. Es geht Mik um solche Strukturähnlichkeiten.
"Man kann nicht über Krieg nachdenken, denke ich, ohne diese Normalität zu erfahren. Die gehört auch dazu. Wenn ein Soldat nach der Front läuft, und läuft und läuft, ab einem bestimmten Moment läuft er nur noch."
In einer umfassenden Schau kann man im Essener Folkwang Museum Aernout Mik, diesen wichtigen Vertreter der neueren Videokunst, kennenlernen. Hartwig Fischer:
"Je länger man sich mit diesen Filmen, die hoch faszinierend sind, befasst, desto unsicherer wird man. Aber unsicher in einer sehr inspirierenden Weise. (…) Unterschwellig sind die Arbeiten, die hier versammelt sind, hoch politisch."
Museum Folkwang Essen