Vom Atom- zum Vergnügungspark

Von Frank Grotelüschen |
Für die Atomlobby war er ein Hoffnungsträger, für die Kernkraftgegner dagegen ein rotes Tuch: der schnelle Brüter von Kalkar. Fast zwei Jahrzehnte lang wurde geplant und gebaut – doch ans Netz ging der Meiler nie.
"Der Schnelle Brüter in Kalkar wird nicht in Betrieb genommen. Das Projekt wird so zügig wie möglich zu Ende gebracht."

21. März 1991. Zähneknirschend vermeldet der damalige Bundesforschungsminister Heinz Riesenhuber das Aus für ein Megaprojekt, den Schnellen Brüter im niederrheinischen Kalkar. Den Befürwortern galt er als Vorreiter einer neuen Reaktorgeneration, deutlich effektiver als konventionelle Atomkraftwerke. Die Gegner aber hielten den Brüter für unsicher und riskant. Am Ende sollten sie sich durchsetzen: 1985 war der Reaktor fertig. Doch in Betrieb ging er nie, und fünf Jahre später, nach langem Hin und Her, stoppte die Bundesregierung das umstrittene Milliardenprojekt.

Im Herbst 1972 hatte Deutschland gemeinsam mit Belgien und den Niederlanden die Siemens-Tochter Interatom beauftragt, den Prototyp eines neuartigen Reaktors zu bauen. Dieser sollte einen Nachteil der Leichtwasserreaktoren, also der konventionellen Atomkraftwerke, ausmerzen.

"Dieser Leichtwasserreaktor hat nun die Eigenschaft, dass er etwa nur ein Prozent des Urans zur Energieerzeugung ausnutzen kann. Und hierin liegt eine gewisse Schwäche, wenn man an die begrenzten Uranvorkommen in Deutschland denkt",

sagt Interatom-Mitarbeiter Helmut Hübel. Leichtwasserreaktoren verbrennen Uran 235 – eine Uransorte, die nur zu einem Prozent in Natururan enthalten ist und für den Betrieb im Reaktor eigens angereichert werden muss. Weitaus häufiger ist Uran 238, aber das kann der Leichtwasserreaktor nicht verwerten. Anders der Schnelle Brüter.

"Der Brüter zeichnet sich aus dadurch, dass er Uran 238 in Plutonium umwandeln kann und in der Lage ist, neues Spaltmaterial zu erzeugen, und zwar auch mehr als er selbst verbraucht. Der Brüter stellt die zur Zeit einzige technisch greifbare Möglichkeit dar, uns für praktisch unabsehbar lange Zeit in der Energieerzeugung vom Ausland, von Importen unabhängig zu machen."

Ein Reaktor also, der mehr Brennstoff produziert als er verbraucht. Mit ihm, so die Hoffnung, könne man die knappen Uranvorräte auf Jahrtausende strecken. Doch Ende der 70er-Jahre meldeten sich die Skeptiker immer lauter zu Wort – zum Beispiel Jo Leinen, der spätere SPD-Umweltminister des Saarlands.

"Plutonium ist ein Element, was zur Verwendung in einer Atombombe gebraucht werden kann. Und nun ist es ja so, dass wir nicht nur den Schnellen Brüter bei uns bauen. Sondern in 10, 15 Jahren wird es notwendig sein, um diese Industrie rentabel zu machen, dass sie auch exportiert werden. Und hier, glaube ich, sind wir nicht nur mit dem amerikanischen Präsidenten Carter einer Meinung, dass es nicht verantwortbar ist, vielen Ländern dieser Welt, die bisher den Zugang zur Atombombentechnik nicht hatten, ihn auf dem Umweg über den Schnelle-Brüter-Export zu verschaffen."

Die Gegner zogen bis vors Bundesverfassungsgericht. Die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages erwirkte eine vierjährige Bauunterbrechung. Verschärfte Sicherheitsauflagen machten das Projekt immer teurer, von 850 Millionen bis auf 3,5 Milliarden Euro. Schließlich schwenkte die nordrhein-westfälische Landesregierung um auf einen Anti-Kernkraft-Kurs. 1978 blockierte Wirtschaftsminister Horst-Ludwig Riemer von der FDP die Teilerrichtungsgenehmigung und löste eine Krise um den Brüter aus.

"Das Entscheidende ist, ob die energiepolitische Situation, in der wir uns befinden, ob die es rechtfertigt, dieses Risiko der Plutoniumwirtschaft einzugehen. Nach allen Prüfungen und Überlegungen halte ich es nicht für gerechtfertigt, mit dem Schnellen Brüter den Einstieg in die Plutoniumwirtschaft zu machen."

Auch das Interesse der Stromversorger erlahmte. Die Gründe: Der Energieverbrauch war langsamer gestiegen als erwartet, das Uran war doch nicht so knapp wie prognostiziert. Dann, mit dem Reaktorunglück von Tschernobyl, schlug die Stimmung endgültig gegen die Kernkraft um. Also verabschiedete sich 1991 die Bundesregierung von dem Projekt. Abgerissen wurde der Bau aber nicht, das wäre schlicht zu teuer gewesen. Stattdessen kaufte 1995 ein holländischer Investor das Gelände, um es gründlich umzuwidmen.

"Wir sind hier in einer der beiden größten Hallen des früheren Kernkraftwerks in Kalkar. Und wir haben hier die Möglichkeit, die Hallen getrennt zu Feiern zu vermieten. Wir hatten zum Beispiel Fachtagungen hier, Vertreter von Coca Cola, eine Silberhochzeit."

Wunderland Kalkar, so heißt der Freizeitpark heute. Andere Länder jedoch verfolgen die Technologie weiter. Insbesondere Japan, China und Russland arbeiten an Prototypen für den Schnellen Brüter mit der Hoffnung, die Uranvorräte um mehr als das Fünfzigfache zu strecken.