Vom Aufbruch und vom Scheitern
Der Schweizer Erfolgsautor Peter Stamm legt in diesem Frühjahr einen Band mit zehn Geschichten vor. Damit ist er bereits für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert.
Auch ein Schriftsteller taucht in der vorletzten dieser zehn neuen stories Stamms auf. Er trägt keinen Namen, scheint aber wichtig genug zu sein, um von einem Lokalfernsehsender interviewt zu werden.
Auf die unvermeidliche Frage, woher er denn die Ideen für seine Geschichten nehme, antwortet der Autor, die lägen doch auf der Straße. Und im Übrigen: Er interessiere sich für "den glücklichen, aber auch ein wenig beängstigenden Moment des Aufbruchs". Eine solche Aufbruchsgeschichte ist zum Beispiel "Sweet Dreams", die auf sehr kluge, unaufgeregte Weise von einem jungen Paar erzählt - er 24, sie 21 -, das gerade zusammengezogen ist und dem ein bisschen bange ist angesichts des Kommenden. So offen steht ihnen die Zukunft.
Werden sie einander auch noch in fünf Jahren so lieben wie jetzt? Alles liegt im Vagen, Ungewissen, diese Stimmung kann kaum ein Autor so gut evozieren wie Peter Stamm. Nicht ohne Grund heißt einer seiner Romane "Ungefähre Landschaft".
Die Landschaft, in der der Schweizer den Großteil seiner neuen Erzählungen angesiedelt hat, ist der so genannte Seerücken - ein Hügelzug im Kanton Thurgau zwischen Bodensee und Thurtal. Eine waldreiche Gegend, in der sich ein Mädchen schon zu Schulzeiten zu verstecken versteht.
Die Eltern sind Alkoholiker, und Anja flieht vor ihnen in die Wälder, findet dort ein anderes Zuhause. Lebt drei Jahre lang unentdeckt "Im Wald" in einer "Tannendickung", im Schlafsack unter einer alten Militärplane: "Es ging im Wald nicht um Kraft oder Geschicklichkeit, das Einzige, was zählte, war Aufmerksamkeit, Präsenz, ganz in der Gegenwart zu sein. Das hatten die Tiere den Menschen voraus, für die Erinnerung nur Erfahrung war und keine andere Welt, in der man sich verlieren konnte." Anja wird auch noch 20 Jahre später - als Mutter zweier Kinder und Buchhändlerin - die Erinnerung an die Zeit im Wald bis in ihre Alpträume verfolgen, und sie wird sich in ihnen verlieren - zu ihrem Schaden.
Denn auch vom Scheitern in ganz unterschiedlichen Formen legen diese sehr konzentriert dargebotenen Erzählungen immer wieder Zeugnis ab. Eine Klavierlehrerin will einen talentierten viel versprechenden Schüler zur Meisterschaft antreiben, der aber verweigert sich und zieht es vor zum Schwimmtraining zu gehen. Hermann, dessen Frau Rosemarie mit einem Blutgerinnsel im künstlichen Koma auf der Intensivstation liegt, realisiert erst in diesem Moment, wie hilf- und planlos er ohne sie ist. Der Schicksalsschlag wirft ihn aus der Bahn.
Stamm ist immer dort am stärksten, wo er Menschen in jenen kritischen Momenten schildert, die ihr Leben kippen lassen. Es soll nicht verschwiegen werden, dass die Qualität seiner neuen Erzählungen durchwachsen ist. Die Erzählung "Siebenschläfer", die auch "Biobauer sucht Frau" hätte heißen können, ist ebenso fragwürdig wie die arg zeigefingrige Story "Der Lauf der Dinge", die in etwa so lebensnah ist wie Maren Ades ermüdender Kinofilm "Alle anderen". Aber das sind nur zwei Ausreißer nach unten in einem Buch, mit dem Peter Stamm im Ganzen wieder einmal seine erzählerische Bravour unterstreicht. Er ist, um es mit seinen Worten zu sagen, "ein Guter seiner Gilde".
Peter Stamm: Seerücken
Erzählungen
S. Fischer Verlag, Frankfurt 2011
190 Seiten, 18,95 Euro
Auf die unvermeidliche Frage, woher er denn die Ideen für seine Geschichten nehme, antwortet der Autor, die lägen doch auf der Straße. Und im Übrigen: Er interessiere sich für "den glücklichen, aber auch ein wenig beängstigenden Moment des Aufbruchs". Eine solche Aufbruchsgeschichte ist zum Beispiel "Sweet Dreams", die auf sehr kluge, unaufgeregte Weise von einem jungen Paar erzählt - er 24, sie 21 -, das gerade zusammengezogen ist und dem ein bisschen bange ist angesichts des Kommenden. So offen steht ihnen die Zukunft.
Werden sie einander auch noch in fünf Jahren so lieben wie jetzt? Alles liegt im Vagen, Ungewissen, diese Stimmung kann kaum ein Autor so gut evozieren wie Peter Stamm. Nicht ohne Grund heißt einer seiner Romane "Ungefähre Landschaft".
Die Landschaft, in der der Schweizer den Großteil seiner neuen Erzählungen angesiedelt hat, ist der so genannte Seerücken - ein Hügelzug im Kanton Thurgau zwischen Bodensee und Thurtal. Eine waldreiche Gegend, in der sich ein Mädchen schon zu Schulzeiten zu verstecken versteht.
Die Eltern sind Alkoholiker, und Anja flieht vor ihnen in die Wälder, findet dort ein anderes Zuhause. Lebt drei Jahre lang unentdeckt "Im Wald" in einer "Tannendickung", im Schlafsack unter einer alten Militärplane: "Es ging im Wald nicht um Kraft oder Geschicklichkeit, das Einzige, was zählte, war Aufmerksamkeit, Präsenz, ganz in der Gegenwart zu sein. Das hatten die Tiere den Menschen voraus, für die Erinnerung nur Erfahrung war und keine andere Welt, in der man sich verlieren konnte." Anja wird auch noch 20 Jahre später - als Mutter zweier Kinder und Buchhändlerin - die Erinnerung an die Zeit im Wald bis in ihre Alpträume verfolgen, und sie wird sich in ihnen verlieren - zu ihrem Schaden.
Denn auch vom Scheitern in ganz unterschiedlichen Formen legen diese sehr konzentriert dargebotenen Erzählungen immer wieder Zeugnis ab. Eine Klavierlehrerin will einen talentierten viel versprechenden Schüler zur Meisterschaft antreiben, der aber verweigert sich und zieht es vor zum Schwimmtraining zu gehen. Hermann, dessen Frau Rosemarie mit einem Blutgerinnsel im künstlichen Koma auf der Intensivstation liegt, realisiert erst in diesem Moment, wie hilf- und planlos er ohne sie ist. Der Schicksalsschlag wirft ihn aus der Bahn.
Stamm ist immer dort am stärksten, wo er Menschen in jenen kritischen Momenten schildert, die ihr Leben kippen lassen. Es soll nicht verschwiegen werden, dass die Qualität seiner neuen Erzählungen durchwachsen ist. Die Erzählung "Siebenschläfer", die auch "Biobauer sucht Frau" hätte heißen können, ist ebenso fragwürdig wie die arg zeigefingrige Story "Der Lauf der Dinge", die in etwa so lebensnah ist wie Maren Ades ermüdender Kinofilm "Alle anderen". Aber das sind nur zwei Ausreißer nach unten in einem Buch, mit dem Peter Stamm im Ganzen wieder einmal seine erzählerische Bravour unterstreicht. Er ist, um es mit seinen Worten zu sagen, "ein Guter seiner Gilde".
Peter Stamm: Seerücken
Erzählungen
S. Fischer Verlag, Frankfurt 2011
190 Seiten, 18,95 Euro