Vom Beduinenzelt nach San Francisco

Von Dieter Wulf |
Er ist Teil einer Minderheit in Israel und träumt von der multikulturellen Gesellschaft: Als erster Beduine hat es Ismail Khaldi in den diplomatischen Dienst seines Landes geschafft. Über seinen Lebensweg hat er ein Buch geschrieben.
"Ich wurde in einem kleinen Beduinendorf im Norden Israels geboren, in einem kleines Dorf in den Bergen von Galiläa, als drittes Kind von elf Brüdern und Schwestern. Bis ich acht war, lebten wir in Zelten. Es gab bei uns keine Schule, ich musste jeden morgen drei Kilometer zum Nachbardorf laufen, später dann nach Haifa bin ich getrampt mit Bussen oder bin gelaufen."

… erinnert sich Ismail Khaldi, der erste Beduine, der als israelischer Diplomat sein Land im Ausland vertritt. Wie er dazu kam, darüber hat er ein Buch geschrieben. "A Shepherds Journey", der Weg des Schäfers. Und der führte in seinem Fall durch die U-Bahn-Schächte New Yorks. Denn als Jugendlicher, erzählt Ismail Khaldi, hatte er in seinem Dorf einen Amerikaner kennengelernt, der ihn in die USA eingeladen hatte. Und obwohl er selbst in Israel noch nie in größeren Städten wie Jerusalem oder Tel Aviv gewesen war, buchte er Anfang der 90er-Jahre einen Flug nach New York:

"Ich hatte 320 Doller in der Tasche, die ich gespart hatte und eine große Neugier, Amerika kennenzulernen. Aber die Unterschiede zwischen einem kleinen Beduinendorf und dem Leben im lauten riesigen New York sind riesig. Ich war verängstigt und fing an zu weinen. Das konnte doch nicht Amerika sein, dachte ich, das gelobte Land, wo Milch und Honig fließt. Aber als ich ankam, war alles anders."

Anders als erwartet, war niemand am Flughafen, der ihn abholte, und auch telefonisch konnte er seinen Freund nicht erreichen. Der Beduine aus dem kleinen Dorf in Galiläa war im Trubel des New Yorker Flughafens völlig auf sich allein gestellt, bis er jemanden sah, der ihm irgendwie vertraut erschien:

"Ich erinnere mich, dass ich einen ultraorthodoxen Juden sah, als ich da weinend stand. In dem Moment war er für mich wie der Messias. Ich kannte solche Leute aus Israel und ich lief zu ihm und fragte ihn um Hilfe. Er sagte, geh nach Brooklyn zur 13. Avenue, da gibt es Leute, die sprechen hebräisch, Juden und Israelis, die werden dir helfen. Und er erklärte mir den Weg zur U-Bahn."

Es war das erste Mal, dass er eine U-Bahn benutzte. Als er merkte, erzählt Ismail Khaldi, dass er auf der falschen Seite stand, kletterte er einfach über Gleise. In der New Yorker U-Bahn absolut lebensgefährlich. Drei Monate blieb er in New York. Für ihn ein Kulturschock:

"Die Erziehung die ich genossen hatte, das harte Leben im Zelt, kein fließendes Wasser, keine Elektrizität, morgens zur Schule zu laufen und dann abends sich um die Schafe kümmern müssen, die wir hatten, das hat mich stark gemacht und half mir, in New York zurechtzukommen."

Danach begann Ismail Khaldi, der Beduinenjunge aus Galiläa, in Haifa ein Studium internationaler Beziehungen, arbeitete als Polizist und schließlich für die amerikanische Botschaft in Tel Aviv. Schließlich bewarb er sich beim diplomatischen Dienst. Zweieinhalb Jahre vertrat er sein Land als stellvertretender Konsul in San Francisco. Denn für ihn, betont er, sei Israel eben mehr als das Land der Juden:

"Ich bin fest davon überzeugt dass ich, obwohl ich zu einer Minderheit gehöre, in Israel eine Stimme habe. Es ist ja gerade dieses multikulturelle Mosaik, das den Staat Israel ausmacht."

Schließlich, meint der Diplomat, seien auch die in Israel lebenden Araber israelische Staatsbürger:

"Die arabische Minderheit macht 20 Prozent der israelischen Bevölkerung aus. Etwa 1,2 bis 1,3 Millionen Einwohner. Die Beduinen sind dann noch mal eine Minderheit in der Minderheit. Es gibt zwei größere Siedlungsgebiete: Etwa 30.000 im Negev und dann noch mal in der Gegend, wo ich herkomme, in Galiläa, 40.000 Beduinen."

Israel sei keine ideale Gesellschaft, meint Ismail Khaldi. Natürlich gebe es auch dort weiterhin Benachteiligungen für Minderheiten. Aber gerade deshalb sei es wichtig, sich in Israel zu engagieren:

"Man kann sich nicht einfach von seiner Umgebung und der Gesellschaft, in der man lebt, abkapseln. Selbst wenn deine Hautfarbe anders ist, deine Sprache und Kultur. Das Gute an Israel ist ja, dass es eine multikulturelle Gesellschaft ist, und wir haben eine Verantwortung, eine moralische Verantwortung, uns nicht nur zu beschweren und auf Probleme zu zeigen und die Unterschiede und uns dann zu drücken. So ein Privileg haben wir nicht, wir müssen die Situation ändern, es versuchen, und wenn es nicht funktioniert, es wieder und wieder versuchen."

Er sei da kein Einzelfall, meint der Diplomat. Immer mehr arabische Israelis würden in wissenschaftlichen Einrichtungen führende Positionen übernehmen:

"Ich denke, es ändert sich von Jahr zu Jahr. Das Wichtigste, was ich im Moment sehe, sind junge arabische Mädchen, die sich nach Abschluss der Schule für ein oder zwei Jahre für einen Dienst in israelischen Einrichtungen oder in ihren Gemeinden verpflichten. Das kommt aus dem Gefühl, dass sie auch Teil der Gesellschaft sind und sie das Land als ihr eigenes ansehen."

Am Ende seines Buches erinnert der Beduine an die berühmte Rede von Martin Luther King "I have a dream". Sein Traum sei ein Naher Osten, in dem alle friedlich zusammen leben. Arabische Israelis als gleichberechtigte Minderheiten in Israel, neben den Palästinensern in einem eigenen Staat. Ein Traum, glaubt er, der möglich werden könnte. Genauso, wie er es als Muslim und Schafshirte zum israelischen Diplomaten schaffen konnte.
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