Frank Wilhelm: "RAF im Osten - Terroristen unter dem Schutz der Stasi"
Verlagsgruppe Nordkurier
Zweite erweiterte Auflage 2019
232 Seiten, 14,95 Euro
Was Stasi und RAF verband
06:43 Minuten
Vom revolutionären Befreiungskampf in den spießigen Alltag des Arbeiter- und Bauernstaats: Dass RAF-Aussteiger wie Susanne Albrecht die DDR als neue Bleibe wählten, überraschte viele. Doch es gab gute Gründe dafür, wie der Autor Frank Wilhelm erklärt.
Ausgerechnet in der DDR hatten zehn ehemalige RAF-Terroristen Unterschlupf gesucht, nachdem ihr bewaffneter Kampf in der Bundesrepublik in den 1970er-Jahren gescheitert war. Das brachte die Zusammenarbeit zwischen westdeutschen Behörden und der DDR-Polizei im Zuge der Wende in der DDR ans Licht.
Als erste wurde am 6. Juni 1990 Susanne Albrecht verhaftet, die zunächst unter dem Namen Ingrid Jäger, nach ihrer Eheschließung dann als Ingrid Becker zehn Jahre lang in der DDR gelebt hatte.
Duldung der DDR
Die Überraschung der Öffentlichkeit war groß. Denn man habe die RAF-Terroristen eher im Nahen Osten oder in Afrika vermutet, sagt der Autor und Journalist Frank Wilhelm, der die Geschichte der RAF-Aussteiger in der DDR in seinem Buch "RAF im Osten" erzählt. Es habe aber auch damals bereits Hinweise geben, dass sie sich in der DDR aufhalten könnten.
Dass die DDR bereit war, die RAF-Terroristen aufzunehmen, hat Wilhelm zufolge mehrere Gründe: So hatte man mit der Bundesrepublik gewissermaßen einen gemeinsamen Feind. Auch habe die DDR-Staatssicherheit es schon immer toleriert, wenn RAF-Kämpfer die DDR als Transitland nutzten: "Wenn die also nach Westberlin eingereist sind, sind sie oft über Berlin-Schönefeld geflogen bzw. mit dem Zug oder dem Auto. Das wurde stillschweigend geduldet."
"Ein unheimliches Täterwissen"
Für die Stasi sei vor allem das Informationspotenzial der Aussteiger interessant gewesen: "Die haben drei, vier, fünf Jahre des illegalen Kampfes mitgemacht. Die kannten die Strukturen der RAF. Die wussten von den Anschlägen. Die hatten natürlich ein unheimliches Täterwissen."
Eine Rolle spielte offenbar auch, dass man die RAF-Terroristen auf diese Weise auch unter Kontrolle hatte, betont Wilhelm mit Blick auf mögliche RAF-Anschlagsziele in Osteuropa oder der DDR.
Um zu verstehen, warum sich die RAF-Aussteiger ausgerechnet für die DDR entschieden, müsse man sich in deren Psyche hineinversetzen, so Wilhelm: Die RAF sei mit ihren Aktionen gescheitert, ebenso wie Versuche von befreundeten Gruppen, etwa als ein Kommando der PFLP-SC die Lufthansamaschine "Landshut" entführte, um die in Stuttgart-Stammheim inhaftierten Kämpfer der ersten RAF-Generation freizupressen. Das habe die Terroristen demotiviert:
"Es waren damals junge Frauen und junge Männer. Die waren Ende 20, Anfang 30. Die hatten noch nie ein richtiges Leben gelebt und sehnten sich natürlich auch ein bisschen nach Familie, nach Geborgenheit, nach Sicherheit", sagt Wilhelm. "Da war die DDR natürlich ein besseres Land als Mosambik oder Angola."
(uko)