Mitwirkende: Anika Mauer und Georg Scharegg
Regie: Stefanie Lazai
Ton: Hermann Leppich
Redaktion: Dorothea Westphal
Hörspielproduktion
Ein Hörspielmanuskript ähnelt einem Drehbuch beim Film. Die Stimmen der Schauspieler, Soundeffekte und Musik müssen zusammenarbeiten, um ein akustisches Kunstwerk zu erschaffen. © Bettmann Archive / Bettmann
Wie Literatur zum akustischen Erlebnis wird
29:53 Minuten
Seit etwa 100 Jahren gibt es das Hörspiel: eine eigene Kunstform, die sich in den 1920er-Jahren entwickelte, als das Radio mehr und mehr Verbreitung fand. Seitdem ist es ein eigenständiges literarisches Genre geworden.
Ein Hörspiel lädt dazu ein, sich auf das Hören der Klänge und der Worte einzulassen. Der Ablauf sei meist so: "Es gibt ein Buch, dann gibt es die Lesung und dann kommt irgendwann das Hörspiel“, erzählt Harald Krewer vom kleinen, unabhängigen Verlag Speak Low in Berlin.
Sich Literatur anders nähern
Doch welchen Mehrwert hat das Hörspiel im Vergleich zum Hörbuch? Es sei eher eine Ergänzung als ein Mehr, meint Leonhard Koppelmann, freier Theater- und Hörspielregisseur vieler literarischer Adaptionen. „Es ist eine Möglichkeit, einem Stoff nochmal anders zu begegnen. Im besten Falle finde ich, dass man neugierig auf die immer andere Form ist und sich der tollen Literatur immer wieder anders nähern kann.“
Im Herbst 2022 veröffentlicht Speak Low den Briefwechsel von Ingeborg Bachmann und Max Frisch als 16-stündiges Hörbuch. Zu Beginn der Korrespondenz geht Frisch auf eine nicht näher benannte Hörspielarbeit von Bachmann ein. Das ist der Anfang der Brieffreundschaft und späteren Liebesbeziehung. Frisch schreibt: „Ich hatte zu tun beim Sender in Hamburg und ließ mir das Hörspiel vorführen. Dann schrieb ich einen Brief an die junge Dichterin, die ich persönlich nicht kannte. Wie gut es sei, wie wichtig, dass die andere Seite, die Frau sich ausdrückte.“
Ein akustisches Kunstwerk
Ein Hörspiel sei das Zusammenspiel von Dialog, mehreren Stimmen, der Einsatz von Musik, der Einsatz von Geräuschen, die akustische Abbildung, meint Harald Krewer. Renate Schönbeck ist Programmchefin bei Der Hörverlag in München und sagt über Hörspiele: „Ein literarischer Text wird in ein akustisches Kunstwerk verwandelt. Das kann man nicht eins zu eins übernehmen, sondern man muss kürzen, man muss dramatisieren, man muss umschreiben, umstellen, sich ein künstlerisches Konzept überlegen.“
So entsteht aus der literarischen Vorlage die Hörspielbearbeitung, also das Manuskript zur Inszenierung — ähnlich wie bei einem Film das Drehbuch, das allein für das Hören geschrieben und produziert wird.
Hörspielgeschichte ist Rundfunkgeschichte
Hörspiele sind untrennbar mit unseren Rundfunkanstalten verbunden. Die deutsche Hörspielgeschichte geht bis in das Jahr 1918 zurück. In den 1920er-Jahren begann man mit Bearbeitungen von Theaterstücken für die Ausstrahlung per Funk.
Dutzende namhafte Schriftsteller*innen haben in den Anfängen des Hörfunks für das Radio geschrieben: Bertolt Brecht und Walter Benjamin etwa nach dem Ersten Weltkrieg, Alfred Döblin und Günter Eich während des Zweiten Weltkriegs, in den Nachkriegsjahren dann unter anderem Heinrich Böll, Ingeborg Bachmann — und Wolfgang Borchert.
Eigenes literarisches Genre
Heute hat sich das Hörspiel, das aus dem damals noch neuen Medium Radio entstanden ist, zu einer eigenen Kunstform entwickelt. Oftmals liegen Hörspielen literarische Vorlagen zugrunde. Inzwischen ist ein eigenständiges literarisches Genre daraus geworden.
Sich einem literarischen Stoff für die Umsetzung als Hörspiel zu nähern, habe schon mit Demut zu tun, meint der Regisseur Kai Grehn, gerade wenn es sich um literarische Klassiker handelt. Im Fall von „Der Liebhaber“ von Marguerite Duras heißt das beispielsweise: „Ihre Literatur ist eine sehr musikalische, rhythmische Literatur, die davon lebt, diesen Rhythmus, dieses Davon-Tragen, dass man eigentlich besoffen wird beim Lesen der Literatur, dass das alles zusammengekommen ist in der Hörspiel-Fassung, dass man sich in dieses Indochina in den 20er-Jahren befindet und auf den Wellen des Mekong davontreiben kann.“
Kleine Dinge erscheinen groß
„Es ist ein bisschen wie Arbeiten unter dem Mikroskop, nur, dass das Mikroskop, was ein optisches Instrument ist, bei uns ein Mikrofon ist, aber eine ganz ähnliche Qualität herstellt, nämlich ganz kleine Dinge sehr, sehr groß erscheinen zu lassen“, sagt der Regisseur Leonhard Koppelmann. „Im Hörspiel sehen wir keinen Menschen, sehen wir keine Gestik, keine Mimik. Da sind wir komplett auf die Stimme reduziert. Umgekehrt haben wir im Hörspiel keinen Körper, der irgendetwas ausführen kann. Wir können nicht in ein Gesicht schauen und in der Mimik ablesen, wie die Reaktion ist. Wir sehen auch nicht wie beim Film die große Landschaftsaufnahme. Das macht bei uns dann der Erzähler.“
Digitale Verwertung
Verwertet werden Hörspiele mittlerweile meist auf unterschiedlichen Wegen, beispielsweise „Gold. Revue“, das erste Hörspiel des Lyrikers Jan Wagner. Es ist eine Produktion des Deutschlandfunk 2017, zwei Jahre nachdem Wagner den Preis der Leipziger Buchmesse erhalten hatte. Erschienen ist es als CD bei Der Hörverlag mit Sitz in München. Es steht aber auch noch Jahre später als kostenloser Stream auf der Seite hoerspielundfeature.de des Deutschlandradio.
„Die Rundfunkanstalten stellen ihre Produktionen ja mittlerweile alle ins Netz, also in die Audiothek", sagt Renate Schönbeck von Der Hörverlag zum Angebot der Rundfunkanstalten, "und jetzt muss man ehrlicherweise sagen: Mit dem Rückgang der CD wird die Veröffentlichung der Rundfunkproduktionen für uns als Hörbuchverlag immer uninteressanter, weil natürlich die digitale Verwertung auch für uns immer wichtiger ist.
Der Hörverlag gehört seit 2010 zu der Verlagsgruppe Random House. Eine Auswertung der Jahre 2020 bis 2022 zeigt: Durchschnittlich veröffentlicht Der Hörverlag pro Jahr etwa 300 Titel. Noch überwiegen CD-Ausgaben mit Download-Versionen. Aber rund 120 Veröffentlichungen sind sogenannte Download-Only-Titel.
Bei der Programmplanung wird genau analysiert, bei welchen Produktionen sich hinsichtlich der Zielgruppe und deren Hörverhalten eine Ausgabe als CD lohnt, und bei welchen sich Der Hörverlag eher auf Downloads konzentriert. Die Produktionen stammen aus den Rundfunkanstalten und werden im Hörverlag vermarktet, bis auf einige wenige hauseigene Produktionen, wie etwa das Hörspiel „Der Abgrund“ von Melanie Raabe.
Laut Hörverlag werden literarische Klassiker als akustische Inszenierungen in jüngster Zeit tendenziell weniger gut verkauft als aktuelle Bestseller. So hat sich zum Beispiel Ferdinand von Schirachs Theaterstück „GOTT“ als Hörspiel-Inszenierung in den ersten zwei Jahren nach Erscheinen 14.600 Mal als CD und Download verkauft. Die Tendenz ist offensichtlich: weg von der CD, hin zur mp3-Datei beziehungsweise zum Streaming.
Flirrende Soundscapes und weiche Töne
Über Hörspiele oder Hörbücher können Literaturinteressierte einen anderen Zugang zu den Texten finden als über die Lektüre, und das nicht nur über die Ohren, sondern auch mit dem Herzen: „Es ist so simpel. Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar“, heißt es in „Der kleine Prinz“.
(DW)