Vom Chemielehrer zum Drogenbaron

Von Michael Meyer |
Seit ein paar Jahren schon überschlagen sich die Feuilletons im Lob über neue amerikanische und britische TV-Serien. "Breaking Bad" sticht dabei heraus und handelt von einem krebskranken Chemielehrer, der zum Crystal-Meth-Kocher wird. Erfinder Vince Gilligan war nun in Berlin.
"”Crystal Meth ... three million dollars for three months of your time ... you are in over your head ... admit you are in danger ... .I am not in danger ... I am the danger!""

Die Figur des Walter White, eines spießigen Chemielehrers, der sich in den Drogendealer Heisenberg verwandelt, ist ohne Übertreibung die wohl herausragendste Figur der Fernsehgeschichte der letzten Zeit. In ihrer popkulturellen Bedeutung allenfalls zu vergleichen mit J. R. Ewing in den 80er Jahren.

Um über das Motiv dieser Figur, aber auch der gesamten Serie zu diskutieren, hatte das Berliner Wissenschaftszentrum zu einer Runde geladen, in der über "Breaking Bad" so intensiv gesprochen wurde, wie über einen Roman von Charles Dickens oder eine Wagner-Oper. Vor 10, 15 Jahren wäre solch eine Veranstaltung noch undenkbar gewesen.

"Charakterstudie über einen außergewöhnlichen Mann"
Vince Giligan, Autor und Erschaffer der Serie, 46 Jahre alt, dunkelhaarig und mit schwarzer Brille, trat ganz bescheiden auf – der geradezu aberwitzige Erfolg der Serie ist ihm ganz offensichtlich noch nicht zu Kopf gestiegen.

"Für mich ist die Serie zu allererst eine Charakterstudie über einen außergewöhnlichen Mann, der eben außergewöhnlich schlecht ist. Er verwandelt sich im Laufe der Zeit in einer Art und Weise, die die meisten Leute ablehnen würden oder schlicht nicht könnten. Und das ist gut so. Aber man kann schon sagen, dass die Serie auch ein Licht darauf wirft, welche ökonomischen Probleme es in Amerika und weltweit geben kann.

Auch das Gesundheitssystem der USA spielt eine Rolle, was offensichtlich nicht so gut funktioniert, wie es sollte. Aber am Ende des Tages ist die Serie wirklich eher eine Charakterstudie eines Mannes, der durch all diese Probleme durch muss, was eher ein Licht auf ihn wirft, denn auf die gesellschaftlichen Zustände, wenn Sie verstehen, was ich meine."

Menschen handeln unter starkem ökonomischen Druck gegen ihre eigenen moralischen Überzeugungen - diese Erkenntnis, die auch in wissenschaftlichen Studien mehrfach nachgewiesen wurde, ist gewissermaßen der rote Faden der Serie, die in ihren moralischen Wertungen irgendwo zwischen Tolstoi und Charles Dickens changiert, wie ein Diskussionsteilnehmer anmerkte.

"Breaking Bad ähnelt einem Western"
Mal dahingestellt, ob das so richtig ist – die Serie bietet ihren Charakteren und deren Darsteller eine enorme Breite – keine Figur ist so, wie sie anfangs scheint – und im Verlauf von fünf Staffeln verändert sich alles. Auch das ist es wohl, was die Qualität der Serie ausmacht. Gilligan beschreibt es so:

"In gewisser Hinsicht geht es in dieser Serie um zweite Chancen. Es geht um einen Mann, der das Gefühl hat, versagt zu haben, und merkwürdigerweise ergibt sich für ihn, durch die Diagnose eine zweite Chance im Leben. Und die Ökonomie und die Moral spielt ganz sicher mit hinein, weil es ab da für Walt darum geht, Drogen zu verkaufen, es geht um den Kapitalismus der Straße, er muss das Produkt verkaufen, das er herstellt. Und er lernt dabei in kurzer Zeit sehr viel und macht dabei viele Fehler."

Die Serie gleicht in ihrer Machart einem Western: Viele Außenaufnahmen, in denen die Wüstenlandschaften New Mexikos in Totalen gezeigt werden, Figuren, die sich in einsamen Steppen treffen, ihre Geschäfte aushandeln und dabei wie Cowboys wirken, lassen den Zuschauer in einer Art andauernder Beklemmung zurück. Auch wenn Gilligan und sein Autorenteam viel Ironie und Witz einbauen, so ist die Grundstimmung von "Breaking Bad" doch eine düstere.

Die überschwänglichen Kritiken in aller Welt haben wohl auch damit zu tun, dass Gilligan in seiner Karriere an einem Punkt angekommen war, an dem er etwas Außergewöhnliches machen wollte. Und das merkt man der Serie an. In den 90er-Jahren schrieb er als Haupt-Autor an "Akte X" – auch diese Serie recht erfolgreich – aber der ganz große Wurf war sie nicht, vor allem erlangte sie längst nicht die popkulturelle Bedeutung von "Breaking Bad".

Auch Glück für Erfolg bei "Breaking Bad"
Wenn man länger darüber nachdenkt, dann bleiben einem sicher sechs bis acht Szenen und Momente in Erinnerung, die sich unauslöschlich ins Gedächtnis brennen werden, meint Gilligan - genau so hatte es schon Filmregisseur Stanley Kubrick formuliert. Umso bedauerlicher, so Vince Gilligan, dass die Filmindustrie sich derzeit eher im Sinkflug befindet, was die Kreativität angeht, ganz im Gegensatz zum Fernsehen:

"Es ist merkwürdig, was derzeit im Fernsehen passiert im Vergleich zur Filmindustrie, wo all diese unabhängigen Filmstudios fusionieren oder schließen, und die Studios werden immer weniger - was Folgen für die Filmproduktion hat. Man sieht all diese Filme, die gemacht sind für Jungs zwischen 18 und 30, das stimmt mich sehr traurig, dass in den Vereinigten Staaten alles immer homogener wird, aber im Fernsehen geht man da eher in eine andere Richtung."

Und doch: Trotz einer Vielzahl von Kanälen in den USA, neuen Anbietern, wie dem Internetstreamingdienst Netflix, der seit Kurzem auch eigene Serien anbietet, und damit auch neuen kreativen Möglichkeiten, wäre der Erfolg von "Breaking Bad" dennoch nicht eingekehrt ohne eine Portion Glück:

"Ehrlich gesagt, ist Glück auch immer dabei, wenn man eine Fernsehserie produziert. Glück, und die Mitarbeit der besten Leute, die man finden kann, manches geht dabei auf mein Konto, nicht alles, aber von einem bestimmten Punkt an spielt Glück eben eine Rolle, Glück oder eben Pech."