Vom Comedian zum Charakterdarsteller

Michael "Bully" Herbig im Gespräch mit Waltraud Tschirner |
Das "Hotel Lux", ein Zufluchtsort für kommunistische Emigranten während des stalinistischen Terrors, lieferte die Vorlage für den gleichnamigen Film. Die für ihn ungewohnt ernste Hauptrolle habe er erst nach langem Zögern zugesagt, so Michael "Bully" Herbig: "Ich bin gespannt, wie es den Leuten gefällt."
Waltraud Tschirner: Herr Herbig, die Geschichte Ihrer Besetzung ist ja eigentlich schon beinah so was wie ein eigener Filmstoff. Die Filminstanz schlechthin, Günter Rohrbach, der große Produzent, liegt Bully Herbig zu Füßen und sagt, du oder keiner muss diese Rolle spielen, und Sie sagen höflich, aber sehr bestimmt: Nö, mach ich nicht. Was hat Sie so verängstigt an diesem Stoff?

Michael "Bully" Herbig: Na ja, die Situation war 2008 muss man dazusagen, ist schone eine Weile her, da kam Herr Rohrbach angefahren zum Walchensee, und ich war mit meinem Kopf ohnehin ganz woanders, weil …

Tschirner: Sie drehten "Wickie".

Herbig: Genau, den ersten Teil von "Wickie", und dann erzählte mir Rohrbach bei einem Abendessen mal eine Stunde lang übers Hotel Lux. Und ich wollte … Also wenn du da so einen Produzenten mit so einem Kaliber sitzen hast, den unterbrichst du mal nicht, dann dachte ich mir, lass ich ihn mal ausreden – das hat aber eine Stunde gedauert. Und ich wusste auch nicht, wo er hin will, bis dann die Frage nach einer Stunde kam, ob ich mir vorstellen könnte, da eine Rolle zu übernehmen. Und erst mal hab ich gesagt, na ja, gut, das Drehbuch kann ich ja mal lesen.

Und dann hab ich es – hab ich ihm aber später erst gestanden – nur zur Hälfte gelesen, weil es war mir zu blutig, es war mir zu viel Folter, es war mir ehrlich gesagt auch ein bisschen zu brutal, und hab mich dann schon auch gefragt, ob das für mich so ganz persönlich jetzt so der nächste Film sein sollte, den ich so mache, und hab versucht, dem Herrn Rohrbach abzusagen. Ist mir aber nicht ganz gelungen. Also ich hab ihn angerufen und hab gesagt, ich müsste aus Zeitgründen leider absagen, worauf er dann sofort am Telefon meinte: Nein, Sie sagen nicht ab! Es war ein sehr lustiges Gespräch. Ich sag dann, doch - nein, nein, nein, ich hätte Ihnen das Buch gar nicht schicken sollen, der Leander Haußmann sitzt da jetzt dran, der überarbeitet das, das wird ein völlig anderes Buch, einigen wir uns darauf, dass Sie nicht zusagen.

Das fand ich sehr charmant, und wenn da eben so ein wie gesagt Oscar-nominierter Produzent sitzt, dann fühlt man sich natürlich auch geschmeichelt, wenn er um so jemanden wie mich da buhlt und auch sich da bemüht, und hab dann die neue Fassung abgewartet von Leander Hausmann und hab gemerkt, dass das dann so in die Richtung ging, mit der ich auch was anfangen konnte.

Tschirner: Aber nun ist es ja tatsächlich so, dass dieses Hotel steht für einen richtig düsteres Kapitel deutsch-sowjetischer Geschichte, muss man jetzt so sagen, und tatsächlich zucken auch viele Leute zusammen. War das möglicherweise – vielleicht sind Sie ja auch nicht nur der Perfektionist, sondern auch ein Instinktmensch – so was in Ihnen, was gesagt hat, wie soll das gut gehen, so was Hartes, so ein wirklich brutales Kapitel, wo fürchterliche Schicksale dranhängen, so komödiantisch abzubilden?

Herbig: Also da spielt das Bauchgefühl eine große Rolle, und ich hab da ja eine ganz andere Einstellung zu. Ich finde ja, man muss solche Themen teilweise auch humoristisch angehen können. Sicherlich hätte man aus "Hotel Lux" ein Drama machen können, aber ich glaube, dass man durchaus auch ein breiteres Publikum mit einer … Es ist ja keine reine Komödie, ich würde es mal bezeichnen als Verwechslungskomödie, ein Stück weit Abenteuergeschichte. Man folgt eben diesem Protagonisten, der vom Regen in die Traufe gerät in einer Welt, die er nicht kennt, und letztendlich um sein Leben kämpft, indem er in eine Rolle schlüpft. Und das war der Plot, der mich eigentlich interessiert hat, und das fand ich spannend, mit der Figur konnte ich auch was anfangen. Und ich hab die Hoffnung, dass es dem Publikum so geht wie mir.

Ich kannte nichts vom Hotel Lux, ich wusste nicht, was da alles Schreckliches passiert ist, hab mich auch nicht allzu sehr darauf vorbereitet, weil ich mir gedacht habe, na ja, gut, die Figur Hans Zeisig, die da reinrutscht, kennt sich auch nicht aus, warum muss ich das dann wissen. Hab mich aber natürlich dann im Laufe der Zeit immer mehr dafür interessiert, hab Fragen gestellt und hab dann auch selbst angefangen zu googeln. Und wenn das mit einem Publikum passiert, fände ich das eine große Sache.

Tschirner: Was ist eigentlich Hans Zeisig für ein Mensch?

Herbig: Man könnte denken, dass er ein unpolitischer Mensch ist, aber er hat natürlich eine Haltung, und Menschen, die eine Haltung haben, sind, ob sie nun wollen oder nicht, auch in einer gewissen Art und Weise politisch. Und so richtig politisch wird er erst dann, wenn er nicht mehr anders kann. Also er liebt das Tingeltangel, das Theater. Also heute würde man sagen, er ist ein Vollblut-Entertainer, träumt von Hollywood – damit kann ich durchaus etwas anfangen, mit dieser Einstellung –, und er liebt es, Menschen zu unterhalten, und versteckt sich natürlich auch ein Stück weit hinter seinem Berufsstand des Komikers. Also er kann augenzwinkernd alles kommentieren und denkt natürlich auch, weil er sagt, ich bin ein vernünftiger Mensch, ich weiß, was Gut und Böse ist, und das kann man doch aussitzen, was hier passiert. Also das mit den Nationalsozialisten, das ist eine Sache von zwei, drei Jahren, denkt er sich, und kann ja nicht sein, wenn man solche Leute wählt, kann man sie ja wieder abwählen.

Also mit so einer Einstellung geht er durchs Leben, bis er dann eben eines Tages merkt, dass in diesem Land, im Deutschland der 30er-Jahre, etwas schiefgeht. Und nach der Machtergreifung bleibt ihm eigentlich nur noch diese Flucht. Und vorher gibt er ein Statement ab. Also er will nach Hollywood, aber man hat seinen besten Freund und seinen Bühnenpartner abgeholt, und jetzt greift er zu einer Waffe – das ist sein Humor. Er kann also auf die Bühne gehen und weiß, gut, er reißt jetzt einen Witz über Adolf Hitler, aber das wird der letzte sein, aber das finde ich sehr mutig. Und das ist auch eine meiner Lieblingsszenen in dem Film, dass er auf gut Deutsch auf die Bühne geht, humoristisch dem Regime die Hose runterzieht und weiß, okay, jetzt aber nichts wie weg.

Tschirner: Das Erstaunliche oder für Sie vermutlich nicht ganz so Erstaunliche ist, dass Sie diesen Mann spielen, wo man denkt, passt genau, möglicherweise eins zu eins, aber nein. Man kennt Sie bisher als großartigen Parodisten, als Mann der Komödie, als Comedian, man weiß auch, Sie haben Regie gemacht, aber das war doch immer eher so ein bisschen die leichte Muse.

Und jetzt passiert so die Verwandlung, Bully Herbig wird plötzlich zum Charakterdarsteller, und Sie machen es auch wirklich auf eine großartige Art und Weise. Da gibt es so Momente, wo der Mann sich eigentlich nicht verbiegt, er bleibt er selbst, aber plötzlich sieht man so eine Würde in dem Gesicht, da verändert sich ganz viel. War das alles, das ganze Spektrum schon in Ihnen drin oder haben Sie da noch mal richtig gearbeitet?

Herbig: Also man weiß ja vorher nicht, ob man so was bedienen kann und ob man so was kann. Dazu braucht man natürlich dann einen Regisseur und einen Produzenten, die das Vertrauen und den Glauben daran haben, dass man das spielen kann. Ich hatte das Glück, dass man eben im Vorfeld viel über das Buch reden konnte. Leander Haußmann, der das Drehbuch dann letztendlich geschrieben hat, rief mich fast jeden zweiten Tag dann zwischen zehn und elf Uhr nachts an – ich mutierte so zu einer Muse, hatte ich den Eindruck –, er rief mich immer an und las mir dann Szenen vor, die alle genial waren, die teilweise auch gar nicht mehr im Film gelandet sind, und hab da eben gemerkt, okay, das geht in so eine Richtung, da sagt der Bauch jetzt einfach, das traue ich mir jetzt zu. Das war mir klar, dass das was ist, was ich vorher noch nicht gemacht habe, aber es war nicht total fremd, es war artverwandt. Also ein Komiker, der einen Humoristen spielt, ist nachvollziehbar. Klar könnte man sich denken, warum tut er sich das jetzt an, also man macht sich natürlich angreifbar mit so einem Film und auch mit so einer Rolle, aber ich hab es jetzt einfach mal gemacht. Ich bin gespannt, wie es den Leuten gefällt.

Tschirner: Man könnte ja auch sagen, es war einfach auch eine tolle Herausforderung. Aber wenn Sie gerade sagen, dass Sie dann die Muse von Leander Hausmann waren und es die täglichen Telefonate gab, war das unterm Strich auch alles so eine Art Geschichtsstunde, zum Beispiel auch, was die DDR betraf? Denn Hausmann hat ja da eine ganze Menge auch sozusagen Aufarbeitung seiner DDR-Erlebnisse mit drin.

Herbig: Absolut. Ich hätte den Film nicht inszenieren wollen, ich wäre auch nie auf die Idee gekommen. Als Regisseur hätte ich das Projekt abgelehnt, weil ich finde, wenn man sich diesem Stoff widmet, dann muss man sich gut damit auskennen. Und Leander Haußmann ist unheimlich belesen, ein sehr intelligenter Mann und weiß sehr viel über Geschichte und stochert da nicht irgendwie drin rum, weiß genau, was er dazu zu sagen hat und was er erzählen will und ist in einem Regime aufgewachsen, in dem man die Meinung eben nicht einfach so sagen konnte. Mir ist das schlagartig bewusst geworden. Als wir diesen Film gedreht haben, hab ich mir gedacht, siehste, darüber macht man sich heutzutage gar keine Gedanken mehr. Vor 70, 80 Jahren hast du nicht einfach auf die Bühne gehen können und Witze über das Staatsoberhaupt machen. Wenn ich heute auf die Bühne gehe, kann ich einen Witz über Angela Merkel machen oder über den Bundespräsidenten, und ich muss nicht um mein Leben fürchten …

Tschirner: Und die Leute gähnen am Ende schon.

Herbig: Ja, ja, aber das ist doch toll. Aber ich glaube, das war nicht die Antwort Ihrer Frage …

Tschirner: Doch, der Anfang war schon sehr gut, also ob das richtig so eine große Geschichtslektion war.

Herbig: Ja, das war's. Also ich konnte … Sagen wir so, also die Menschen, die in diesem Hotel so rumlungerten und sich dort sozusagen zusammengeschlossen hatten, um ihre Ideologie in die Welt hinauszutragen, da hatte ich natürlich von dem ein oder anderen gehört, klar. Tito war mir noch ein Begriff – der kommt jetzt im Film nicht vor, aber der hauste da auch –, Pieck, Ulbricht, Wehner, das waren so die Namen, die hatte ich noch auf dem Schirm. Aber es wird natürlich dann schwierig, wenn es dann um Dimitrov, Jeschow geht, und ich war dann manchmal auch ein bisschen die Spaßbremse, glaube ich, bei den Drehbuchbesprechungen zwischen Haußmann und Rohrbach. Darüber müsste man auch mal einen Film machen, über die beiden …

Ich war immer die Spaßbremse und hab gesagt, also ich will euch da jetzt nicht irgendwie ausbremsen, aber ich glaube, wir müssen aufpassen, dass man für diesen Film keine Gebrauchsanleitung braucht, ihr setzt hier sehr viel voraus. Und es gibt einfach ein jüngeres Publikum, die man nicht ausschließen sollte. Und ich hatte ein Schlüsselerlebnis: Ich hab eine Reportage gesehen, da wurde jungen Leuten, 20-jährigen Teenagern wurde ein Foto von einem Politiker gezeigt und sie haben ihn nicht erkannt – das war Helmut Kohl.

Tschirner: Sie mussten ja, um in der Schule zu bleiben, nebenbei auch noch Russisch lernen. Im Laufe des Films lernt Hans Zeisig Russisch und spricht dann ziemlich gut. Er tut es, um sich mit Stalin eins zu eins unterhalten zu können, warum, das ist noch eine ganz tragische Geschichte. Haben Sie das Russisch fürs Leben gelernt, wie man immer so schön sagt, oder wirklich nur gut für die Rolle?

Herbig: Ich hab es phonetisch gelernt, muss ich gestehen. Es gab eine Russischlehrerin und auch einen Coach am Set, aber es ist natürlich in der Kürze der Zeit unmöglich, eine Sprache wie Russisch zu lernen, eine Sprache mit sechs Fällen, wie ich gelernt habe – ich habe schon mit vier Fällen meine Probleme –, und insofern war das rein phonetisch und ich hab die Hälfte auch wieder vergessen. Was ich nur beruhigend fand, war die Tatsache, dass man mit russischen Schauspielern zu tun hatte, und ich hab dann immer sehr schnell an den Reaktionen gemerkt, ob es nun gestimmt hat oder nicht. Einmal hab ich mich dazu verleiten lassen, auch tatsächlich ernst gemeint zu fragen, ob man meinen Akzent raushört. Darauf wurde gelächelt und gesagt: Ja!

Tschirner: Schade!

Herbig: Ja, schade, ja.

Tschirner: Mit ein bisschen Tingeltangel kommt man besser durchs Leben, also sozusagen die Maxime von Hans Zeisig, ist das so ein bisschen auch Ihr Credo oder nur gedacht?

Herbig: Nein, es ist ja ein schönes Zitat auch von Leander Haußmann, der meinte, mit ein bisschen Tingeltangel wär die Welt sicherlich auch ein Stück besser. Ich glaub daran auch. Also ich finde, dass Humor das Leben nicht nur leichter macht, sondern man es auch sehr gezielt als Waffe einsetzen kann, gerade politisch. Und viele Regime haben letztendlich auch Angst vor Humoristen, weil sie durch ihre augenzwinkernde Art auch sozusagen den Leuten auch mal die Hosen runterzieht, und das sehen manche Politiker nicht gerne, und deswegen finde ich Humoristen durchaus auch eine Notwendigkeit. Und am Ende ist letztendlich so ja auch der schwarze Humor entstanden, der berühmte britische Humor, dass man eigentlich versucht hat, düstere Zeiten mit etwas Humor zu erleichtern.

Tschirner: Es gibt ja bei dieser Geschichte, mit der wir angefangen hatten, dass Herr Rohrbach sozusagen Ihnen zu Füßen lag, dann noch das schöne Ende, dass er gesagt hat, ja, meine Güte, willst du jetzt einen Oscar kriegen oder nicht.

Herbig: Ja, ja, damit hat er mich gelockt, da hat er gesagt: Sie wollen doch mal den Oscar. Aber ich werde ihn daran erinnern, wenn es so weit ist.


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