Vom Dorf über den Slum ins Mittelschichtquartier
Slums, Favelas, Shantytowns: Egal wie die Elendsviertel dieser Welt heißen, sie gelten gemeinhin als hoffnungslos. Der kanadische Journalist Doug Saunders sieht das anders. In "Arrival City" zeigt er die Slums als Versprechen auf eine bessere Zukunft.
Doug Saunders, Leiter des Europabüros der kanadischen Tageszeitung "Globe and Mail" in London, hat sich in den Elendsvierteln der Welt umgesehen. In den Favelas in Rio de Janeiro, den Slums von Nairobi, den Vorstädten von Mumbai, Caracas und Istanbul, den spontanen Siedlungen vor den Boomtowns in China, aber auch in Paris, London, Amsterdam und Berlin. Herausgekommen ist ein recherchesattes, gut erzähltes, zwar zu lang geratenes, dennoch sehr empfehlenswertes Buch, das unseren Blick auf Migration verändert.
Saunders’ Ausgangspunkt: Die Menschheit wandert – von den Dörfern in die Städte. Das ist uneingeschränkt positiv, denn – so weist er nach – nur die Städte bieten Möglichkeiten zu sozialem und wirtschaftlichem Aufstieg. Schließlich leben drei Viertel der weltweit einer Milliarde hungernder Menschen auf dem Land – und diese erhalten oft noch Geld von Verwandten, die es in die Städte geschafft haben. Stadtluft macht somit reich(er) und sorgt auch für andere positive Entwicklungen. In Städten ist die Geburtenrate geringer, und die Bildungschancen sind besser.
Die Neuankömmlinge ziehen in die billigen Wohnviertel, oft Elendsquartiere. Saunders nennt diese "Arrival City", die "Ankunftsstadt", Wohnviertel, in denen sie ihrer Hoffnung auf sozialen Aufstieg nachgehen können. Für Saunders sind Slumbewohner keine hilflosen Objekte sondern optimistische Gestalter ihrer Zukunft – vielleicht sieht er das ein wenig blauäugig. Doch er belegt eindrucksvoll an vielen Beispielen den realen Aufstieg auch in den Slums. In den Elendsquartieren von Dhaka in Bangladesh brummt die Wirtschaft.
Dort gibt es Kabelnetzbetreiber, Internet- und Mobilfunkanbieter, eine funktionierende Kreditvergabe für Konsumgüter oder auch einen boomenden Immobilienmarkt – allerdings alles außerhalb des offiziellen Wirtschaftslebens. Gleiches gilt für Slums und Ankunftsstädte in anderen Ländern. Dass sich die Ankunftsstädte vordergründig nicht entwickeln, hat einen ganz bestimmten, von Saunders klug beobachteten Grund: Die Erfolgreichen ziehen weg, und immer wieder prägen Neuankömmlinge das Bild.
Gut ist, dass Saunders aus Gesprächen mit Wissenschaftlern und eigener Anschauung Kriterien formuliert, wie eine Ankunftsstadt aussehen sollte, damit sie Migranten erfolgreich integriert: Sie brauchen eine gemischte Struktur, müssen sehr dicht besiedelt sein, damit sich soziale Netze leicht ergeben, sie brauchen Hinterhöfe für Werkstätten und kleine Gewerbe, Ladenzeilen und Märkte – wirtschaftlich nutzbare Flächen, damit sich die Menschen selbständig machen können. Und wichtig für die deutsche Politik ist, was Saunders anhand seiner Recherchen in Berlin-Kreuzberg identifiziert: Erst die restriktive Vergabe der deutschen Staatsbürgerschaft schafft die vielbeklagte Parallelgesellschaft.
Besprochen von Günther Wessel
Doug Saunders: "Arrival City. Über alle Grenzen hinweg ziehen Millionen Menschen vom Land in die Städte. Von ihnen hängt unsere Zukunft ab"
Aus dem Englischen von Werner Roller
Blessing Verlag, München 2011
576 Seiten, 22,95 Euro
Saunders’ Ausgangspunkt: Die Menschheit wandert – von den Dörfern in die Städte. Das ist uneingeschränkt positiv, denn – so weist er nach – nur die Städte bieten Möglichkeiten zu sozialem und wirtschaftlichem Aufstieg. Schließlich leben drei Viertel der weltweit einer Milliarde hungernder Menschen auf dem Land – und diese erhalten oft noch Geld von Verwandten, die es in die Städte geschafft haben. Stadtluft macht somit reich(er) und sorgt auch für andere positive Entwicklungen. In Städten ist die Geburtenrate geringer, und die Bildungschancen sind besser.
Die Neuankömmlinge ziehen in die billigen Wohnviertel, oft Elendsquartiere. Saunders nennt diese "Arrival City", die "Ankunftsstadt", Wohnviertel, in denen sie ihrer Hoffnung auf sozialen Aufstieg nachgehen können. Für Saunders sind Slumbewohner keine hilflosen Objekte sondern optimistische Gestalter ihrer Zukunft – vielleicht sieht er das ein wenig blauäugig. Doch er belegt eindrucksvoll an vielen Beispielen den realen Aufstieg auch in den Slums. In den Elendsquartieren von Dhaka in Bangladesh brummt die Wirtschaft.
Dort gibt es Kabelnetzbetreiber, Internet- und Mobilfunkanbieter, eine funktionierende Kreditvergabe für Konsumgüter oder auch einen boomenden Immobilienmarkt – allerdings alles außerhalb des offiziellen Wirtschaftslebens. Gleiches gilt für Slums und Ankunftsstädte in anderen Ländern. Dass sich die Ankunftsstädte vordergründig nicht entwickeln, hat einen ganz bestimmten, von Saunders klug beobachteten Grund: Die Erfolgreichen ziehen weg, und immer wieder prägen Neuankömmlinge das Bild.
Gut ist, dass Saunders aus Gesprächen mit Wissenschaftlern und eigener Anschauung Kriterien formuliert, wie eine Ankunftsstadt aussehen sollte, damit sie Migranten erfolgreich integriert: Sie brauchen eine gemischte Struktur, müssen sehr dicht besiedelt sein, damit sich soziale Netze leicht ergeben, sie brauchen Hinterhöfe für Werkstätten und kleine Gewerbe, Ladenzeilen und Märkte – wirtschaftlich nutzbare Flächen, damit sich die Menschen selbständig machen können. Und wichtig für die deutsche Politik ist, was Saunders anhand seiner Recherchen in Berlin-Kreuzberg identifiziert: Erst die restriktive Vergabe der deutschen Staatsbürgerschaft schafft die vielbeklagte Parallelgesellschaft.
Besprochen von Günther Wessel
Doug Saunders: "Arrival City. Über alle Grenzen hinweg ziehen Millionen Menschen vom Land in die Städte. Von ihnen hängt unsere Zukunft ab"
Aus dem Englischen von Werner Roller
Blessing Verlag, München 2011
576 Seiten, 22,95 Euro