Vom Drama des Menschseins
Einen großartigen Roman über Glück und Unglück einer Vierer-Familie hat der US-Autor Tom Drury geschrieben. Im Mittelpunkt steht Joan, die nach einem Sinn im Leben sucht und sich auf und davon macht. Doch auch andere wütende, fahrige, sehnsüchtige Figuren tauchen auf, die Drury poetisch, klug und ausgefuchst beschreibt.
Tom Drury, Jahrgang 1956, ist ein amerikanischer Autor aus Iowa, der in Connecticut lebt, einige gelobte Romane geschrieben hat und bei uns noch vollkommen unbekannt ist. "Die Taumjäger" ist sein erstes Buch, das ins Deutsche übersetzt wurde.
Und es ist ein großartiger Roman, der scheinbar ländlich leise daherkommt, tatsächlich aber tief hinein steigt in das Drama des Menschseins. Und das so wunderbar lakonisch tut, alltagsnah und zugleich gänzlich schräg, so realistisch und fantasievoll, dass man sich als Leser willig, ja geradezu begehrlich einflechten lässt ins Leben der Vierer-Familie: Mann, Frau, gemeinsamer Sohn plus überraschend aufgetauchter Tochter. Vier Tage lang begleiten wir diese vier, die in einem vermüllten Haus irgendwo im Nirgendwo ihr Leben führen oder es verlassen.
Charles, ein ehemaliger Tunichtgut, ist ein liebevoller Kerl, der schon mal zuschlagen und dabei Rippen brechen kann. Er arbeitet als Klempner und ist mit Joan verheiratet, die einst Schauspielerin war, nun Tierschützerin ist und von einem anderen Leben träumt.
Wie sie wohl immer von einem anderen Leben geträumt hat. Auch damals schon, als sie schwanger war mit Lyris und das Kind zur Adoption freigab. Das nun 16 Jahre und mehrere Adoptionsfamilien später zu ihrer Mutter und Charles und dem siebenjährigen Micah gebracht wird. Sich fremd fühlt und bleibt.
Während Joan sich davonmacht. Erst nur in die Stadt, um einen Vortrag zu halten, dann ins Bett eines Arztes und schließlich an einen Ort, in dem sie nie war, um neu anzufangen. Was immer das bedeuten mag. Nur neu muss es sein. Im Frühjahr komme sie zurück, hat sie Charles am Telefon gesagt und ist sich nicht sicher, ob sie das Versprechen wird halten können.
Dabei hat Charles vor ihrer Reise noch heimlich ihr Schminktäschchen in ihrem Koffer geleert, damit sie sich in der fremden Stadt nicht schön machen kann für fremde Männer. Hat es mit Walnüssen gefüllt, die Joan später in ihrem Hotelzimmer mit ihrem Liebhaber essen wird.
Wir lernen manch merkwürdig fahrige, wütende, rührend kluge oder sehnsüchtige Figur kennen, die zum Leben der Familie gehört: Bruder, Mutter, Pfarrersfrau, Brandstifter oder Farmer. Waffen gehören zum Alltag und körperliche Gewalt ohnehin. Was aber keineswegs Gottsuche oder feinsinnige Gemütslagen ausschließt. Und zärtliche Fürsorge.
Charles kümmert sich in all seiner Ungeschicklichkeit mit einiger Hingabe um die Kinder. Hält die Rest-Familie zusammen und verdammt die Flüchtige nicht.
"Joan nahm das Leben wichtiger als er. Sie glaubte, dass ein Sinn darin liege, den sie finden müsse. Vielleicht hätte er ihr doch diesen Turmalinanhänger kaufen sollen, den er in Stone City gesehen hatte...."
Welch wunderbar überraschende Mischung aus kluger Einsicht und stumpfer Auflösung. In solchen Momenten ist Drury meisterlich.
Das alles liest man mit Spannung und leise pochendem Herzen ob der stets schwelenden Bedrohlichkeit - und immer wieder auch mit erleichtertem Wohlgefühl. Nicht nur, weil Drury poetisch, klug und ausgefuchst schreibt, sondern - und das macht den ausgesprochen eigenwilligen Ton dieses Buches aus - weil er aus den Dramen kein Drama macht.
Er integriert Gewalt und Angst und Verlust ins Leben, weil das Leben nun mal so ist. Unglück ist Teil der Normalität. Und wird genau so erzählt wie das kleine Glück, die Liebe, die Sehnsucht, die neue Ziege als Hausgenossin, das gemeinsame zufriedene Abendessen aus wildem Spargel und Auberginen.
Rezensiert von Gabriele von Arnim
Tom Drury: Die Traumjäger
Aus dem Amerikanischen von Gerhard Falkner und Nora Matocza
Roman, Klett-Cotta 2008
255 Seiten, 19,90 Euro
Und es ist ein großartiger Roman, der scheinbar ländlich leise daherkommt, tatsächlich aber tief hinein steigt in das Drama des Menschseins. Und das so wunderbar lakonisch tut, alltagsnah und zugleich gänzlich schräg, so realistisch und fantasievoll, dass man sich als Leser willig, ja geradezu begehrlich einflechten lässt ins Leben der Vierer-Familie: Mann, Frau, gemeinsamer Sohn plus überraschend aufgetauchter Tochter. Vier Tage lang begleiten wir diese vier, die in einem vermüllten Haus irgendwo im Nirgendwo ihr Leben führen oder es verlassen.
Charles, ein ehemaliger Tunichtgut, ist ein liebevoller Kerl, der schon mal zuschlagen und dabei Rippen brechen kann. Er arbeitet als Klempner und ist mit Joan verheiratet, die einst Schauspielerin war, nun Tierschützerin ist und von einem anderen Leben träumt.
Wie sie wohl immer von einem anderen Leben geträumt hat. Auch damals schon, als sie schwanger war mit Lyris und das Kind zur Adoption freigab. Das nun 16 Jahre und mehrere Adoptionsfamilien später zu ihrer Mutter und Charles und dem siebenjährigen Micah gebracht wird. Sich fremd fühlt und bleibt.
Während Joan sich davonmacht. Erst nur in die Stadt, um einen Vortrag zu halten, dann ins Bett eines Arztes und schließlich an einen Ort, in dem sie nie war, um neu anzufangen. Was immer das bedeuten mag. Nur neu muss es sein. Im Frühjahr komme sie zurück, hat sie Charles am Telefon gesagt und ist sich nicht sicher, ob sie das Versprechen wird halten können.
Dabei hat Charles vor ihrer Reise noch heimlich ihr Schminktäschchen in ihrem Koffer geleert, damit sie sich in der fremden Stadt nicht schön machen kann für fremde Männer. Hat es mit Walnüssen gefüllt, die Joan später in ihrem Hotelzimmer mit ihrem Liebhaber essen wird.
Wir lernen manch merkwürdig fahrige, wütende, rührend kluge oder sehnsüchtige Figur kennen, die zum Leben der Familie gehört: Bruder, Mutter, Pfarrersfrau, Brandstifter oder Farmer. Waffen gehören zum Alltag und körperliche Gewalt ohnehin. Was aber keineswegs Gottsuche oder feinsinnige Gemütslagen ausschließt. Und zärtliche Fürsorge.
Charles kümmert sich in all seiner Ungeschicklichkeit mit einiger Hingabe um die Kinder. Hält die Rest-Familie zusammen und verdammt die Flüchtige nicht.
"Joan nahm das Leben wichtiger als er. Sie glaubte, dass ein Sinn darin liege, den sie finden müsse. Vielleicht hätte er ihr doch diesen Turmalinanhänger kaufen sollen, den er in Stone City gesehen hatte...."
Welch wunderbar überraschende Mischung aus kluger Einsicht und stumpfer Auflösung. In solchen Momenten ist Drury meisterlich.
Das alles liest man mit Spannung und leise pochendem Herzen ob der stets schwelenden Bedrohlichkeit - und immer wieder auch mit erleichtertem Wohlgefühl. Nicht nur, weil Drury poetisch, klug und ausgefuchst schreibt, sondern - und das macht den ausgesprochen eigenwilligen Ton dieses Buches aus - weil er aus den Dramen kein Drama macht.
Er integriert Gewalt und Angst und Verlust ins Leben, weil das Leben nun mal so ist. Unglück ist Teil der Normalität. Und wird genau so erzählt wie das kleine Glück, die Liebe, die Sehnsucht, die neue Ziege als Hausgenossin, das gemeinsame zufriedene Abendessen aus wildem Spargel und Auberginen.
Rezensiert von Gabriele von Arnim
Tom Drury: Die Traumjäger
Aus dem Amerikanischen von Gerhard Falkner und Nora Matocza
Roman, Klett-Cotta 2008
255 Seiten, 19,90 Euro