Vom Ende der Unschuld

Von Christian W. Find |
Im NS-Staat leisteten nur wenige Christen Widerstand gegen die Verfolgung und Ermordung der Juden. Der Theologe Dietrich Bonhoeffer war einer, der protestiert hat und deshalb an den Galgen kam. Nun gibt es über sein Leben eine Oper, die Anfang Mai beim Kirchentag in Hamburg uraufgeführt wird.
"Also der Rahmen ist natürlich was Besonderes, und das ist die Kampnagelfabrik in Hamburg, die ich von früher auch kenne, die natürlich ein toller Theaterort ist, an dem man, glaube ich auch, was Ungewöhnliches machen kann."

Ungewöhnlich ist schon das Vorhaben an sich: Erstmals in der Geschichte des Kirchentags wird eine Oper uraufgeführt, die der Kirchentag selbst in Auftrag gegeben hat.

"Wir werden ein großes Orchester und einen Riesenchor haben, die mit entsprechend vielen Notenpulten in der Kampnagelfabrik auf dem Betonboden Platz nehmen, und aus diesem riesigen Musikapparat kristallisiert sich dann die Handlung."

Es geht um Dietrich Bonhoeffer, den evangelischen Jahrhundert-Theologen, der seinen Widerstand gegen die Nazis mit dem Leben bezahlt hat. Was Kirsten Harms an diesem Stoff von Anfang an reizte, war das Parabelartige dieser Erzählung "Vom Ende der Unschuld".

Ein großer Gutshof, der in existentieller Not steckt, wird von einer charismatischen Führerfigur heimgesucht, der alle, die auf dem Hof leben, am Ende verfallen. Das gewaltige Rettungsprojekt dieses Führers funktioniert nur um den Preis der Vernichtung der Nachbarn. Nur einer, die Hauptfigur dieser düsteren Szenerie, erkennt den Wahnwitz. Er versucht noch, das Ruder rumzureißen und in letzter Konsequenz den Führer zu töten, aber er scheitert. Der Hof geht unter.

"Ich glaube, dass das eine Geschichte ist, die fast archaisches Potential hat und weit über ein Einzelschicksal hinausweist. Und besonders interessant ist einfach eine Figur, die soviel innere Kraft hatte, um sich jetzt einer Allgemeinheit zu widersetzen, sozusagen der Schwarmintelligenz, wie wir heute sagen, sich entgegenzustellen und, ja, eine aufrechte Haltung eingenommen hat, die Verantwortung für das Ganze gezeigt hat."

Wo aber kommt Bonhoeffer in dieser Art Gleichnis tatsächlich vor? Kann eine Oper, die von seinem Denken und Handeln erzählen soll, gleichzeitig als Biografie und als Parabel funktionieren? David Gravenhorst, der zusammen mit Theresita Colloredo das Libretto geschrieben hat, ist sich sicher, dass es funktionieren wird.

"Wir haben nach einer Geschichte gesucht, in der wir den Geist Dietrich Bonhoeffers sichtbar machen können, die aber verstehbar ist auch für jemanden, der von Dietrich Bonhoeffer nie gehört hat. Und der auch die historischen Zusammenhänge nicht kennt. Idealerweise wird diese Geschichte auch in Afrika funktionieren. Also was da am 2. Mai auf Kampnagel zu sehen sein wird, ist keine musikalische Biografie, keine Neuvertonung von Bonhoeffer-Texten, die in Stationen seines Lebens eingeschnitten wären."

Sondern, so erklärt Gravenhorst, eine einfache Geschichte, in der die dramatischen Elemente im Leben Dietrich Bonhoeffers auch in der überhöhten Form einer Oper funktionieren.

"Darf der glaubende Mensch gegen den Tyrannen das Schwert erheben? Das ist eine Frage, mit der sich viele Menschen mit unterschiedlichen Konsequenzen beschäftigt haben. Der kirchliche Widerstand gegen Hitler war geteilt in den Teil, der sagte, auch dieser Widerstand muss friedlich sein und dem Teil, der wie Bonhoeffer gesagt hat, wenn ich nah genug an den Kerl herankäme, würde ich ihn selber erschießen. Das ist ein theatralisches Dilemma, verbunden mit der Überzeugung von Bonhoeffer, der gesagt hat, natürlich ist auch der Christ, der das Schwert gegen den Tyrannen erhebt, natürlich ist das, bleibt das eine Sünde. Bonhoeffer sagt, vor Gott kann er nur auf Gnade hoffen. Das ist eigentlich der Höhepunkt, auf den die Oper zutreibt und das ist natürlich auch immer das Skandalon."

Geradezu skandalös könnte sich allerdings auch das Vorhaben als solches erweisen, eine Oper mit ihren großen Gefühlen und Gesten über ein so schweres Thema wie den Nationalsozialismus aufzuführen. Die Idee dazu hatte der Präsident des Evangelischen Kirchentages, Gerhard Robbers.

"Ich hab mich intensiv gefragt, darf man eine Oper über Bonhoeffer, über sein Leben und ja auch über sein Sterben und über den Nationalsozialismus mit all den schrecklichen Dingen, die passiert sind, darf man darüber eine Oper schreiben? Das hat mich sehr umgetrieben. Zum Schluss habe ich aber gemeint, eigentlich muss man. Weil, wenn man das nicht kann, dann hätten die Nationalsozialisten uns eine Dimension des Lebens immer noch weggenommen und hätten immer noch ein Stück weit gewonnen."

Dennoch bleibt die Frage, wieso es ausgerechnet das Schicksal Dietrich Bonhoeffers sein sollte, das im Mittelpunkt einer Kirchentags-Oper steht.

"Die allererste Frage war, kann man für den Kirchentag etwas machen, was über den Kirchentag hinausweist. Und dann war gleich wieder dabei, dass man etwas über Dietrich Bonhoeffer machen könnte, weil Dietrich Bonhoeffer ein Mensch ist, der in vielerlei Hinsicht repräsentativ ist auch das, was Kirchentag denkt und wo Kirchentag herkommt und was für Kirchentag wichtig ist, eine Identifikationsfigur geradezu."

Für Gerhard Robbers, den Jura-Professor, geht es dabei um die Verknüpfung von religiösen mit ethischen Fragen, die gerade heute an Brisanz wieder zugenommen haben. Zentraler Aspekt dabei ist für ihn das mutige Auftreten des Christen Dietrich Bonhoeffer gegen den Antisemitismus.

"Dietrich Bonhoeffer ist einer von wenigen gewesen, die noch nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten und ganz früh, im April 1933, öffentlich vor der Judenverfolgung gewarnt haben. Und ganz konkret ist eines der Vorhaben mit dieser Oper, dass wir mit der Oper in Tel Aviv in Israel zusammenarbeiten. Und eine Sängerin wird einen wichtigen Part übernehmen, die von dieser Oper in Tel Aviv kommt. Ich halte das für ein wichtiges Zeichen, für ein ganz erhebliches Signal, dass das gelingen kann."

Die israelische Mezzo-Sopranistin Naama Goldman lebt und arbeitet vorwiegend in Tel Aviv, ist aber schon auf vielen internationalen Bühnen aufgetreten. Dass sie für diese Arbeit nach Hamburg gerufen wurde, erlebt sie als einen glücklichen Zufall.

"Das ist eine lustige Geschichte. Meine Großeltern lebten hier und ich besuchte sie das erste Mal als ich noch ein Baby war. Mein Vater sagte jetzt ganz aufgeregt, du schließt einen Kreis, du kommst zurück nach Hamburg.
Meine Familie väterlicherseits kam ursprünglich aus Deutschland, aber es gelang ihnen glücklicherweise noch rechtzeitig nach Israel zu fliehen, 1939, kurz bevor der Krieg begann."

Für Goldman funktioniert die Handlung in erster Linie als eine Parabel über die Abgründe der menschlichen Seele. Was sie schon während der Proben bewegt, sind weniger konkrete historische Anspielungen, sondern die Psychologie der Charaktere und ihre Verzweiflung, die im Handeln zum Ausdruck kommen.

"Dieses Gefühl, was geht hier vor? Sind hier alle verrückt geworden? Bin ich vielleicht selbst verrückt? Ich glaube, die Leute werden mehr von den Gefühlen betroffen sein als von dem Thema an sich."

Harms: "Entscheidend ist, dass dieses Vorkommen alles in so einem stoischen Rhythmus ist, und da wird nicht nach Emotionen gefragt, und die Opfer, die da sind, bleiben Opfer. Das ist eigentlich so dieses letzte Bild. Und seien sie sich gewiss, dass dann eben ein Gegenlicht von hinten hochgezogen wird, sodass diese Gesichter wahrscheinlich eher etwas Gespenstisches bekommen und nicht so individuell sind."

Auch Kirsten Harms hat deshalb nach einer Bildsprache gesucht, die es erlaubt, kein Hakenkreuz zu zeigen und auch keine NS-Uniform. Für sie ist Dietrich Bonhoeffer eine für alle Zeiten positive Identifikationsfigur.

"Er gibt sozusagen alles, auch sogar sein Leben. Was ich heute revolutionär finde, denn ich finde, wir müssen raus immer aus dieser Fragestellung, was ist mein Wellness-Faktor, was nützt mir, was tut mir gut? Am besten tut uns, wir übernehmen Verantwortung und wir geben."


Links auf dradio.de:
Christiane Tietz: "Theologe im Widerstand"- Kurz und kritisch
Komplizenschaft und Zivilcourage
Anleitung zum Widerstand gegen Unfreiheit und Diktatur -Anna Morawska: "Dietrich Bonhoeffer. Ein Christ im Dritten Reich"