Vom Ende des amerikanischen Traums

Rezensiert von Susanne von Schenck |
Auf den Spuren von John Steinbeck hat sich der niederländische Journalist Geert Mak auf eine Reise durch die Vereinigten Staaten begeben und seine Eindrücke aufgeschrieben. Doch sein Urteil fällt pessimistisch aus. 50 Jahre nach Steinbeck ist vom amerikanischen Traum nicht viel geblieben.
Ein Wohnmobil. Ein Hund. Ein Schriftsteller. 1960 begibt sich John Steinbeck auf eine elfwöchige Reise durch seine Heimat, von der Ostküste nach Kalifornien, von dort über Texas zurück nach New York.

"Zu lange hatte ich die Sprache Amerikas nicht mehr gehört, sein Gras, seine Bäume, seine Abwassergräben nicht mehr gerochen, seine Hügel und Gewässer nicht mehr gesehen, seine Farben und die Eigenart seines Lichts."

John Steinbeck ist 58 Jahre alt und will es noch einmal spüren – das wirkliche Amerika. Ironisch, hellsichtig und zuweilen melancholisch schildert er später in seinem Bestseller "Die Reise mit Charley" seine sich verändernde Heimat, drei Jahrzehnte nach der großen Depression.

"Steinbeck hat nostalgische Gedanken über Amerika, und er war traurig, dass das alte Amerika – er hat das Gefühl, es verschwindet jetzt."

Geert Mak, niederländischer Schriftsteller und Publizist, fährt fünfzig Jahre später Steinbecks Route nach.

"Und er hatte Recht: in den 50er-Jahren veränderte sich Amerika innerhalb von zehn Jahren von einer typischen Überlebensgesellschaft in eine Konsumgesellschaft. Und Steinbeck fühlte sich nicht wohl damit. Seine Reise war in gewisser Weise ein Protest gegen die neue Konsumgesellschaft."

Am 3. September 2010 bricht Geert Mak in Sag Harbour auf Long Island auf, dem Ort, an dem der alternde Steinbeck seine letzten Lebensjahre verbracht hatte. Bis auf wenige Abstecher hält er sich an die Strecke des Schriftstellers, schaut allerdings an vielen Orten genauer hin.

Während der Romancier Steinbeck gern Geschichten erfand, fühlt sich der Journalist aus Amsterdam der Wahrheit verpflichtet. Ihn treibt eine Frage um: Was ist aus dem amerikanischen Traum geworden? Seine Antwort lässt sich auf gut 600 Seiten nachlesen. Sie ist ernüchternd.

"Man hat zwar mehr Geld als 1960, aber um einen gewissen Lebensstandard zu behalten, müssen Mann und Frau beide arbeiten, die Arbeitsplätze sind unsicher, es ist nicht mehr sicher, dass man die Kinder ins College senden kann, man ist pessimistisch vor allem über die Zukunft der Kinder. Das ist total unamerikanisch. American dream war immer voll Hoffnung."

Wie wenig vom "american dream" geblieben ist, zeigt Geert Mak am Beispiel von Detroit. Das Kapitel über den Niedergang der einst florierenden Industriestadt gehört zu den Glanzstücken seines Buches. Detroit war zu Steinbecks Zeiten eine der reichsten Städte der USA – dank Henry Ford und General Motors. Davon ist nichts geblieben.

"Detroit schien zu schlafen, als wir am 7. Oktober 2010 in die Stadt fuhren. Man hätte meinen können, es sei halb neun am Sonntagmorgen, doch es war Donnerstagvormittag, halb zwölf.
Das ist die Katastrophe, die diese Stadt getroffen hat. Sie ist zu einer modernen Geisterstadt geworden, zum postmodernen Tschernobyl der Vereinigten Staaten."

Natürlich blickt Geert Mak als Europäer auf die USA – er zeigt viele Missstände auf. Dennoch ist er kein Kulturpessimist, sondern begegnet dem Land mit einer Art melancholischer Sympathie. Warum, so fragt er sich zum Beispiel, stationiere eine Weltmacht wie die USA zwar überall Truppen, sei aber - anders als einst Römer oder Briten - nicht in der Lage, stabile Beziehungen aufzubauen.

"Bezeichnend ist die Art und Weise, wie die meisten amerikanischen Truppen im Ausland stationiert sind, selbst in Europa: Sie leben und arbeiten in vollständig abgeschirmten Siedlungen, in die wirklich alles aus den Vereinigten Staaten eingeflogen wird, bis hin zum Kantinenbesteck und den Brownies an der Supermarktkasse."

Von Ost nach West und zurück: Montana, Oregon, Arizona, Chicago, Seattle, Houston – Landschaften und Städte gleiten vorüber. Seine Reise endet in New Orleans, der Stadt, die 2005 vom Wirbelsturm Katrina heimgesucht wurde.

"New Orleans war ein trauriges Ende, aber auch ein typisches amerikanisches Ende der Reise. Weil man alle Flexibilität und Kraft von Amerika dort sieht beim Wiederaufbau New Orleans mit aller Initiative. Zum anderen sieht man auch: alle Probleme Amerikas kommen dort zusammen: Rassismus noch immer, die schlechte Infrastruktur, die schlechte Organisation der Stadt, die Korruption der Politik – alle Probleme kamen und kommen immer noch zusammen in New Orleans."

Es ist eine sehr lesenswerte Momentaufnahme, eine unterhaltsam und locker geschriebene Reisereportage und politische Analyse gleichermaßen. Ob es mit der Weltmacht USA weiter abwärts geht, wie es Geert Mak so anschaulich beschreibt, wird sich zeigen. Vielleicht fährt ja in fünfzig Jahren ein dritter auf der Reiseroute John Steinbecks, um zu vergleichen.


Buchcover - Geert Mak: Amerika
Buchcover - Geert Mak: Amerika© Siedler-Verlag
Geert Mak: Amerika
Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten
Aus dem Niederländischen von Andreas Ecke, Gregor Seferens
Siedler-Verlag, München 2013
624 Seiten, 34,99 Euro
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