"Vom Geist von Rio 1992 ist nichts zu spüren"

Barbara Unmüßig im Gespräch mit Marietta Schwarz |
In der Erklärung der Länder auf dem Rio-Gipfel würden keine Ziele stehen, mit denen die ökologischen Herausforderungen gemeistert werden könnten, sagt Barbara Unmüßig, Leiterin der Heinrich-Böll-Stiftung. Auch der Vorschlag der EU für eine "Road Map" grüne Ökonomie sei gestrichen worden.
Marietta Schwarz: Ab heute treffen sich Regierungsdelegationen aus aller Welt unter dem Dach der Vereinten Nationen in Rio de Janeiro zur Konferenz Rio plus 20. Es geht 20 Jahre nach dem Nachhaltigkeitsgipfel von 1992 um nichts Geringeres als gemeinsam Wege zu nachhaltiger Entwicklung und Armutsbekämpfung zu finden durch grünes Wirtschaften – was auch immer sich genau hinter dem Begriff Green Economy verbirgt!

Die Vorbereitungen für dieses Treffen in Rio laufen schon lange, der Entwurf für eine gemeinsame Erklärung, der steht. Viele halten ihn für zu unambitioniert, auch der deutsche Umweltminister Altmaier. Dabei sind die Anliegen des Gipfels dringender als vor 20 Jahren, der CO2-Ausstoß ist nach wie vor viel zu hoch, 800 Millionen Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Wasser, eine Milliarde Menschen leiden an Hunger, und die Erdbevölkerung wächst und wächst.

Barbara Unmüßig, Leiterin der Heinrich-Böll-Stiftung, hat schon 1992 am Gipfel in Rio teilgenommen und ist zurzeit wieder dort. Guten Morgen, Frau Unmüßig!

Barbara Unmüßig: Guten Morgen!

Schwarz: Ist denn so ein Gipfel heute inzwischen zur Routine geworden, oder ist da noch etwas zu spüren vom Aufbruch von damals?

Unmüßig: Vom Geist von Rio 1992 ist nichts zu spüren. Damals wurden sehr konkrete Entscheidungen getroffen, neue Konventionen wie die Klimakonvention oder die Biodiversitätskonvention auf den Weg gebracht. Hier in Rio, 20 Jahre später, wird es nichts als eine politische Erklärung geben, die – würde ich zum jetzigen Zeitpunkt behaupten – das Papier nicht wert ist.

Sie haben ja gerade sehr schön gesagt, was die Herausforderungen sind, wir stecken mitten in einer großen ökologischen Krise, in einer sozialen Krise und die Regierungschefs aus aller Welt feilschen um Worte, um Klein-Klein, um Kleingedrucktes, es gibt keine Ideen, keine wirklichen Entwürfe, wie man eigentlich mit diesen globalen Herausforderungen umgehen möchte. Das ist sehr, sehr enttäuschend, was sich hier abspielt, und ich bin da nicht die Einzige, die das so beurteilt.

Schwarz: Frau Unmüßig, bevor wir näher auf dieses Papier drauf gucken: Haben Sie eine Erklärung dafür, warum sich dieser Geist von 92 so verflüchtigt hat?

Unmüßig: Also, es gibt zwei wesentliche Gründe aus meiner Sicht: Erstens hat 1992 ja vor allem der industrialisierte Norden, der historische Verantwortung hat für Klimawandel und Umweltzerstörung, eigentlich versprochen, Führung zu übernehmen, nämlich vor der eigenen Haustür Hausaufgaben zu machen, weniger Ressourcen zu verbrauchen, weniger Natur zu verbrauchen, weniger zu emittieren. Das Gegenteil ist der Fall. Der Süden wiederum – und da vor allem die Schwellenlänger, China, Brasilien, Indien –, die verlangen ihren Teil vom Kuchen, haben ökonomisch aufgeholt und haben jetzt überhaupt kein Interesse, durch irgendwelche globalen Abkommen oder Verabredungen sich Grenzen setzen zu lassen.

Schwarz: Wie macht sich das denn jetzt an diesem Entwurf für die Erklärung, die dann am Freitag verabschiedet werden soll, bemerkbar? Was steht denn da drin oder beziehungsweise was fehlt Ihnen?

Unmüßig: Also, Sie sagten ja schon am Anfang, es sollte eigentlich so etwas wie Ziele entwickelt werden für eine grüne Ökonomie. Selbst das, die EU hat gefordert eine sogenannte Roadmap für eine grüne Ökonomie, das ist alles aus dem Text gestrichen. Die Amerikaner, die US-Amerikaner streichen alles, was mit Menschenrechten zu tun hat, das muss man sich mal überlegen, die Demokratie des Nordens streicht alles, was im Text danach aussehen könnte, dass wir auch über unseren Lebensstil im Norden nachdenken, über unsere Konsumgewohnheiten.

Gemeinsam einig sind sich alle Länder der Welt offensichtlich, dass wir keine Subventionen für ökologisch schädliche Produktionen streichen sollen, auch das ist gestrichen. Also, ich kann nur an diesen Beispielen sagen: Es wird hier nur darüber geredet, was man von alten Beschlüssen vielleicht noch irgendwie recycelt, aber es wird keine neuen Initiativen geben. Und gerade weil wir ja in dieser ökologischen Krise stecken, Klimawandel, Ressourcenknappheit, Wasserknappheit, wäre es so wichtig gewesen, wenn hier Ziele gesetzt worden wären, wir mal sagen würden, ja, wir möchten Entwaldung stoppen, wir möchten Überfischung stoppen. All das spielt hier eben keine Rolle. Die Wissenschaft ...

Schwarz: ... spielt denn die Green Economy eine Rolle?

Unmüßig: Diese Green Economy spielt schon eine Rolle, aber sie ist heiß umstritten. Es ist völlig unklar, was eigentlich darunter zu verstehen ist. Die Weltbank hat eine andere Definition, das Umweltprogramm hat eine andere Definition, dann treten hier große Firmen auf, dass sie Green Economy ja schon betreiben würden, aber ...

Schwarz: ... was ist es denn Ihrer Meinung nach, Frau Unmüßig?

Unmüßig: Grüne Ökonomie? Also, ich benutze diesen Begriff auch nicht gerne, weil er jetzt eben auch schon besetzt ist. Für mich ist grüne Ökonomie alles, was mit Ressourceneffizienz zu tun hat, was erneuerbare Energien fördert, der sparsam mit Ressourcen umgeht, der Natur unter Schutz stellt und nicht weiter ausbeutet. Das wäre für mich grüne Ökonomie.

Für mich ist es sehr wichtig, dass Menschenrechte beachtet werden und dass grüne Ökonomie auch demokratisch eingebettet ist. Wir erleben aber mit diesem grünen Ökonomiekonzept, dass jetzt schon wieder sich große Firmen dieses Konzepts bedienen und die NGOs ja auch sagen, das ist eher green Washing als grüne Ökonomie.

Schwarz: Also, Sie würden nicht sagen, man kann das auf die einfache Formel "Wohlstand mit ganz wenig CO2" bringen, so wie das manche Leute ausdrücken?

Unmüßig: Das geht nicht so einfach, nein. Nicht alles, was CO2-frei ist, ohne Kohlenstoff, ist gleichzeitig auch ökologisch oder sozial nützlich. Wenn wir zum Beispiel ganz viel Biomasse produzieren, Bio-Diesel, wie das heißt, oder Agrosprit durch Zuckerrohranbau oder durch Maisanbau wie in den USA oder durch Raps et cetera, dann nehmen wir ja unter anderem Anbaufläche weg für den Nahrungsmittelanbau.

Und deswegen ist nicht Bio-Sprit gleich gut, sondern wir müssen uns die Folgewirkungen dieses Anbaus anschauen und wer sind die Betroffenen. Durch grüne Ökonomie wie Solaranlagen und Windanlagen erleben wir bereits, dass auch da einheimische Bevölkerung, ob in Mexiko oder anders wo, vertrieben und verdrängt wird.

Schwarz: Aber das hört sich doch auch so an, als ob da auch falsche Konzepte, falsche Leitlinien mit in diesen Gipfel hineingenommen worden sind?

Unmüßig: Ja, also zum Beispiel die brasilianische Regierung versteht unter grüner Ökonomie – sie macht sich ja auch zum Hauptprotagonisten – Großstaudämme, weil die ja auch kein CO2 emittieren, so behauptet es die Regierung. Deswegen sagt Brasilien, wir sind die grünste Ökonomie aller Zeiten, wir sind bestens präpariert, weil unsere Energieproduktion über Staudämme und die Bio-Ethanolproduktion ja kein CO2 produziert.

Es wäre so wichtig gewesen, hier in Rio, wenn man schon den Begriff grüne Ökonomie einführt, klar zu definieren, was darunter zu verstehen ist, eben gerade auszuschließen, dass unter grüner Ökonomie nicht Atomkraft, genmanipulierte Landwirtschaft oder Staudämme gemeint sind, Großstaudämme, sondern dass es wirklich um eine nachhaltige, faire und gerechte Entwicklung geht.

Schwarz: Barbara Unmüßig, Leiterin der Heinrich-Böll-Stiftung, war das aus Rio. Vielen Dank, Frau Unmüßig!

Unmüßig: Ja, auch herzlichen Dank an Sie!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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