Bekenntnisse eines katholischen Muslims
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Dass Menschen vom Christentum zum Islam übertreten, kommt immer wieder vor. Aber muslimischer Sufi zu werden, statt – wie geplant – Jesuit, das ist schon ein besonderer Lebensweg. Klemens Peterhoff ist ihn gegangen.
Anne Françoise Weber: Herr Peterhoff, Ihr Buch heißt "Sie nennen mich einen katholischen Muslim". Es ist die Geschichte einer Suche – nach Gott, aber auch nach dem richtigen Ort und den richtigen Aufgaben im Leben. Sie waren eigentlich ja hoch motiviert in Ihre Karriere als Jesuit gestartet, Sie haben das Noviziat beendet, Sie haben Philosophie studiert – was hat Sie von diesem Weg abgebracht?
Klemens Peterhoff: Das sind verschiedene Dinge, die da zusammengekommen sind. Ich bin in den Jesuitenorden eingetreten, weil mich sein soziales Engagement und seine sozialen Projekte fasziniert haben. Ich hatte vor, mich als Ordensgeistlicher für einen Einsatz in Südamerika zu melden, ich wollte mich sozial engagieren.
Zweifel an der Zukunft des Ordens
Irgendwann sind mir aber Zweifel daran gekommen, wie das im Orden weitergehen würde. Es gab damals verschiedene Lager, einmal tatsächlich Brüder, die sich sozial engagieren wollten, und andere, die eher konservativ eingestellt waren.
Was dann passiert ist, klingt eigentlich sehr simpel, ist es natürlich nicht: Ich habe in München an einem Sozialprojekt im Hasenbergl teilgenommen. Und ich war draußen im Hasenbergl meistens mit einer Studentin zusammen – und in diese Studentin habe ich mich dann verliebt.
Weber: Und das passte dann nicht so ganz zum Zölibat. Sie haben sich dann von der Kirche ziemlich abgewendet, haben Pädagogik studiert, sich zwischendrin auch als Atheist bezeichnet. Aber dann hatten Sie doch ein ganz eindrückliches Erlebnis vor einer Marienstatue in Spanien. Was ist da passiert?
Peterhoff: Ich war mit meiner Freundin Jahre später zusammen in Spanien unterwegs. Wir haben aus der Ferne den Montserrat gesehen und spontan beschlossen: Wir machen eine Wanderung auf den Berg. Oben auf dem Montserrat gibt es ein altes Kloster, in dieser Klosterkirche steht die schwarze Madonna von Montserrat, also eine bekannte Statue. Und diese Figur hat mich angezogen.
Wütend auf Gott
Ich habe mich über die Pracht geärgert, die mir in dieser Kirche begegnet ist: die Altarwand, die Statue, der goldene Mantel, Alabaster, Edelsteine. Und ich dachte irgendwie immer dasselbe: Was ist bloß mit der Welt und mit der Kirche los - diese Prachtentfaltung auf der einen Seite, und in Spanien ist alles kaputt, die Leute leben im Elend, es gibt so viele Menschen, die an der Existenzgrenze angekommen sind. Gott, was stellst du eigentlich mit deiner Schöpfung an?
Und an der Stelle habe ich dann gemerkt: Was machst du hier eigentlich? Du schimpfst mit Gott, du glaubst doch gar nicht, dass Gott existiert - wie kommt es, dass du mit ihm schimpfst? Da wurde mir bewusst, dass ich das eigentlich laufend mache: Seit Jahren, seitdem ich den Orden verlassen habe, setze ich mich irgendwie mit Gott auseinander.
Es vergeht kein Tag, an dem ich ihm nicht irgendetwas vor die Nase halte, was mir nicht passt, was widersprüchlich und unmenschlich wirkt. Ich werfe ihm die ganze Zeit vor, dass er die Welt in eine Hölle verwandelt hat.
Ein Weg in die Abhängigkeit
Weber: Und Sie haben aber gleichzeitig auch daran gearbeitet, dass diese Welt keine Hölle ist. Sie haben in sozialen Projekten gearbeitet, Sie waren aktiv, Sie lebten in einer Beziehung, aber Sie hatten doch ein ganz grundsätzliches Problem irgendwann, das war die Alkoholsucht. Und interessanterweise war der Versuch, da rauszukommen, Anlass für eine Begegnung, die Ihr Leben dann auch religiös verändert hat. Wen haben Sie da getroffen, warum hat sich das so ergeben?
Peterhoff: Dieser Besuch auf dem Montserrat hat mich tatsächlich erschüttert. Ich habe eine Menge falscher Entscheidungen getroffen, die Gott nicht gerecht werden. Und die Dinge, die mich ärgern, die liegen eigentlich in der Verantwortung von Menschen. Was tue ich eigentlich? Ich hatte das Gefühl, versagt zu haben.
Und in dieser Stimmung begann dann irgendwie der Weg in den Alkohol. Ich habe häufig getrunken, ich war dann bald abhängig. Und dann bin ich auf einen Therapeuten gestoßen, einen Professor der LMU, der hat mich als Patienten aufgenommen.
Weber: Aber nicht nur als Patient.
Peterhoff: Was ich nicht wusste, war, dass er Moslem war und zu einer Tariqa, einem Sufi-Orden, gehörte.
Meditation aus wissenschaftlichem Interesse
Weber: Und in dieser Tariqa sind Sie dann selbst auch gelandet.
Peterhoff: Da bin ich gelandet, ja.
Weber: Sie vergleichen die manchmal mit einer urchristlichen Gemeinde. Interessant ist, wie Sie schreiben, dass die Tariqa - in München zumindest -, das ist natürlich eine weltweite Organisation aber in München ist sie durchaus auch entstanden durch das Interesse von Professoren und anderen Leuten, die sich diese Sufi-Meditation eher aus einem wissenschaftlichen Gesichtspunkt anschauen wollten. Aber dann ist daraus letztendlich eine vollwertige muslimische Gemeinschaft geworden?
Peterhoff: Ja, es waren auch andere in der Gruppe drin, aber ein Mitbruder hat mir mal erzählt: Die meisten von uns haben sich mit Alexander Lowen befasst und mit der Bioenergetik, einem Therapieverfahren, und irgendwie haben wir Parallelen gesehen zwischen den Meditationsmethoden der Sufis und der Bioenergetik – und das wollten wir näher kennenlernen, wie also Atemtechniken, Bewegung, Gesang, das Wiederholen von Mantras während der Meditation, wie das zusammenwirkt und was das mit einem macht. Ja, die meisten sind dabei Muslime geworden.
Den eigenen Körper spüren
Weber: Und das ist ja auch bis heute eine wöchentliche Praxis, dieses gemeinsame Rezitieren und auch Tanzen, Hadra genannt. Was für eine Verbindung entsteht da unter den Teilnehmenden? Das ist wahrscheinlich schwer, in Worte zu fassen, oder?
Peterhoff: Ja, ich kann Ihnen erzählen, wie es mir bei guten Hadras geht. Hadra heißt, glaube ich, wörtlich übersetzt Anwesenheit. Und tatsächlich vollzieht sich im Laufe der Hadra so etwas wie immer mehr Anwesenheit, man wird immer präsenter.
Bei einer frühen Hadra habe ich mich mit den anderen zusammen bewegt, und die Bewegung orientiert sich am Herzrhythmus. Man wiederholt, während man sich bewegt, rhythmisch immer dasselbe Wort: Allah, Allah oder Allahu akbar.
Nachdem wir uns also längere Zeit miteinander bewegt hatten, habe ich plötzlich gemerkt: Menschenskind, du bestehst ja nicht nur aus deinem Kopf und deinem Gehirn, da ist der ganze Körper, du merkst, dass du müde wirst, dass der Körper wärmer wird.
Schwingen im gemeinsamen Tanz
Und im weiteren Verlauf dieses Tanzes wurde mir plötzlich bewusst: Ich spüre sogar, wie sich die anderen mitbewegen. Wenn ich die Augen schließe, brauche ich die anderen nicht zu sehen, ich merke, das ist eine Bewegung, die uns alle umfasst und an der wir alle teilhaben.
Und die Bewegung wurde schneller, dann hatte ich, das war so das Ende, tatsächlich das Gefühl: Wir schwingen alle in einem größeren Ganzen, dessen Schwingung wir aufnehmen und mitvollziehen.
Weber: Das klingt sehr bereichernd und mitnehmend, aber es ist auch harte Arbeit, in diese Meditation reinzukommen. Sie machen ja nicht nur die wöchentliche Hadra, Sie haben auch tägliche Übungen, Awrad, geistliche Übungen, das ist schon auch richtig viel Zeit und Energie, die da reingeht, oder?
Peterhoff: Ja, natürlich. Ich möchte ganz offen gestehen, dass es auch Tage gibt, da mache ich nicht alles, was ich machen sollte. Aber es gibt so einen Kern-Awrad, an das gewöhnt man sich, und das macht man einfach, um mit sich selbst eins zu bleiben. Also, auf das verzichte ich ungern. Und dann gibt es längere Mantren, die man also ähnlich wiederholt wie in anderen Religionen.
Wichtig ist aber, dass man am Ende dieser Phase morgens das sogenannte Dhikr eröffnet. Dhikr heißt wörtlich übersetzt sich erinnern. Und dieses Dhikr kann den ganzen Tag durchziehen, dass man sich zwischendrin immer wieder zurücklehnt, oder zurückzieht und einfach mit dem Herzen oder mit dem Mund leise für sich wiederholt: Allah, Allah.
Parallelen zum Christentum
Weber: Das erinnert so ein bisschen an das Herzensgebet, was es bei den Christen auch gibt und was zum Teil ja auch mit dem Namen Jesu Christi gemacht wird. Überhaupt sehen Sie auch einige Parallelen zwischen dem Awrad und den geistlichen Übungen bei den Jesuiten. Haben Sie vielleicht nur das Etikett ein bisschen gewechselt, aber die Sache ist die gleiche geblieben?
Peterhoff: Es wäre schön, wenn es so wäre. Ich weiß es nicht. Ich sehe wirklich viele Parallelen, ich sehe einfach ein Kontinuum, das mit dem Tanach, dem Alten Testament und den Vätergeschichten beginnt und dann weitergeht zu Jesus – und von Jesus weiter bis zu uns. Dasselbe Thema, dieselbe Suche nach Gott, dieselben Versuche, mit Gott in Verbindung zu treten oder in Verbindung zu bleiben.
Weber: Sie haben manchmal auch große Zweifel, nicht unbedingt am Islam, aber an der Umma, an dieser Gemeinschaft der muslimischen Gläubigen. Immerhin hat die aber nicht diese Hierarchie und auch nicht diesen Prunk, den Sie an der katholischen Kirche so kritisiert haben. Was stört Sie an der Umma bisweilen?
Peterhoff: Die Umma ist ja keine Organisation wie eine christliche Kirche, sondern die Umma, wörtlich die Familie, also die Angehörigen des Propheten, bilden eine Gemeinschaft, die aber aus vielen verschiedenen Strömungen besteht. Und es gibt eine wechselseitige Verpflichtung innerhalb der Umma: Kein Gläubiger hat das Recht, einen anderen Gläubigen als Nichtgläubigen oder Ungläubigen zu bezeichnen. Wir müssen uns auf unseren unterschiedlichen Wegen wechselseitig akzeptieren.
Probleme mit Fundamentalisten
Weber: An die Verpflichtung halten sich aber diverse Leute nicht, würde ich sagen.
Peterhoff: Es gibt einfach Strömungen innerhalb der islamischen Welt, mit denen ich meine Schwierigkeiten habe, das ist der islamische Fundamentalismus. An den Fundamentalisten stört mich, dass sie meinen, den Koran wörtlich nehmen zu müssen. Und derjenige, der sagt: Ich nehme das wortwörtlich und alles andere interessiert mich nicht, der verabsolutiert im Grunde genommen seine Sicht auf die Offenbarung Gottes. Und in gewisser Hinsicht schneidet er Gott das Wort ab, weil er sagt: Interessiert mich alles nicht, ich habe meine Version – und die Version ist wortwörtlich, Ende.
Weber: Sie schreiben: "Das Christentum ist meine Heimat, und zu Hause bin ich im Islam." Empfinden Sie das als gespaltene Identität oder als Reichtum in diesem Kontinuum, von dem Sie gesprochen haben?
Peterhoff: Manchmal empfinde ich das schon als Spaltung auch. Bis 2006 hatte ich wirklich das Gefühl, mein Herz brennt, wenn ich mit Jesus zu tun habe, mein Herz brennt, wenn ich die Evangelien lese, mein Herz brennt, wenn ich gregorianische Lieder höre. Und mein Verstand sagt mir aber: Da gibt es Brüche, da gibt es Widersprüche. Mein Verstand lässt nicht zu, dass ich mich vom Islam trenne, der entspricht einfach dem, was mir richtig und wahr erscheint.
Eine neue Beziehung zum Propheten
Und das Dilemma habe ich lange nicht auflösen können. Ich glaube, aufgelöst hat es sich an zwei Stellen: Der Obere unseres Ordens hat mir bei einem Gespräch 2005 empfohlen: Weißt du was, Ahmed, du solltest wieder zurückgehen, du solltest katholische Theologie studieren, aber wirklich studieren, sorgfältig. Und wenn du verstanden hast, was du da lernst, dann vergleiche es mit dem, was wir dazu zu sagen haben, das wäre ja dann nur fair, und schreibe alles auf. Mit diesem Aufschreiben bin ich seither beschäftigt.
Das andere: Ich war in Medina. Und in Medina habe ich eine neue ... das klingt jetzt vielleicht sehr vermessen, was ich sage, aber ich habe eine Beziehung zum Propheten Mohammed - Gott segne ihn und gebe ihm Frieden - gefunden. Ich habe ihn während der Hadsch, der Pilgerfahrt, die ja in Medina beginnt, lieb gewonnen.
Weber: Und mehr verraten wir an dieser Stelle nicht, sondern verweisen auf Ihr Buch, denn da lässt sich das alles nachlesen: Klemens Peterhoff: "Sie nennen mich einen katholischen Muslim. Die Geschichte einer Suche", Gütersloher Verlagshaus, rund 300 Seiten, 22 Euro.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.