Vom kleinen Zigaretten-Hersteller zum Marktführer

Moderation: Frank Meyer |
Nach Ansicht des Historikers Erik Lindner ist der Erfolg der Zigarettenfirma Reemtsma auch auf die Ausweitung der Produktion für den gesamten deutschen Markt zurückzuführen. "Das war ein Unterschied, weil viele Märkte damals regional waren. Man rauchte eben in Baden-Baden oder im Südwesten etwas anderes als in Schlesien", sagte Lindner, der jetzt das Buch "Die Reemtsmas – Geschichte einer deutschen Unternehmerfamilie" vorgelegt hat.
Frank Meyer: Ganz bescheiden mit sieben Arbeiterinnen hat die Geschichte der Firma Reemtsma 1910 begonnen. 20 Jahre später war Reemtsma der Marktführer und den deutschen Zigarettenherstellern. In den 80er Jahren wurde das Unternehmen für sechs Milliarden Euro verkauft.

Der Historiker Erik Lindner erzählt die Geschichte des Unternehmens und der Familie Reemtsma in seinem umfangreichen Buch "Die Reemtsmas – Geschichte einer deutschen Unternehmerfamilie", vor Kurzem ist das Buch erschienen. Und Erik Lindner ist jetzt bei uns. Sagen Sie, dieser Aufstieg von diesen bescheidenen Anfängen bis zum Marktführer auf dem deutschen Markt, der ein großer Markt war in den 20er Jahren für Zigaretten, was waren denn die Gründe für diesen außergewöhnlichen Erfolg?
Erik Lindner: Ja, sehen Sie es so, Sie haben so etwa vor 100 Jahren in Deutschland an die 1.000 Firmen, die Zigaretten produzieren. Das können große sein, Konzerne, es können aber auch kleine Firmen sein, die mit ein paar Leuten so wie die Reemtsmas in Erfurt in Handarbeit Zigaretten herstellen, sich dann vielleicht mal eine Maschine kaufen und das Ganze technisieren. Das ist also ein unglaublicher Verdrängungsprozess, der da stattfindet. So zwischen 1910, 20, 30, da passiert sehr viel.

Am Ende haben wir nachher eine überschaubare Zahl von Herstellern. Und zu diesen überschaubaren Zahlen gehören dann eben Reemtsma, Haus Bergmann, Garbaty in Berlin-Pankow und Waldorf Astoria und andere, in ganz Deutschland verteilt. Zentren der Industrie sind in Hamburg, in Berlin, in Dresden, Baden-Baden und München. Haus Neuerburg in Köln ist auch zu nennen. Und das sind so die großen Player, die da mitspielen.

Und die Reemtsmas haben es also geschafft, in einer sehr überschaubaren Zeit, auch in der Inflationszeit, durch starke Technisierung, durch eine sehr überschaubare Markenpalette, die sie nur noch angeboten haben – im Gegensatz zur Konkurrenz, die eine Vielzahl von Zigaretten hatte – sehr viele Raucherschichten zu erschließen, und zwar in ganz Deutschland.

Die Reemtsmas waren so geschickt, dass sie sagten, wir bieten unsere Zigaretten jetzt nicht nur meinetwegen im Königsberger Raum an oder im Berliner Raum, sondern wir versuchen, einige Zigaretten zu schaffen, die reichsweit verkauft werden können. Das war ein Unterschied, weil viele Märkte regional waren damals. Man rauchte eben in Baden-Baden oder in der Gegend, im Südwesten, was anderes als in Schlesien.

Und die Reemtsmas haben gesagt, wir machen 20, 30 Marken, wir übernehmen auch Firmen, wir kaufen Firmen auf, die eingeführte gute Marken haben, und betreiben die weiter. Meinetwegen Yenidze aus Dresden war so eine, die hatte die Marke "Salem", die war sehr erfolgreich. Der Name existiert auch heute noch. Das haben die Reemtsmas Stück für Stück aufgekauft und dann mit einer sehr, sehr stringenten, gut organisierten Werbung und einem hochintelligenten Vertriebsnetz, einem sogenannten Frischdienst, damit die Zigarette möglichst frisch zu den Endkunden kam, deutschlandweit verbreitet.

Und das war dann einer der Gründe dafür, dass sie eben sagen wir mal wirklich innerhalb von 15 Jahren es schafften, von einer überschaubaren Firma in Hamburg-Altona zu einem wirklichen Marktführer zu werden.
Meyer: Diese Unternehmensaufkäufe, die Sie angesprochen haben, die haben auch immer wieder zu Auseinandersetzungen geführt, in der Presse zum Beispiel, auch bei Prozessen gegen Reemtsmas. Es gab Vorwürfe, die Firma wäre mit Bestechung vorgegangen bei diesen Unternehmensübernahmen. Haben Sie herausbekommen können, was an diesen Vorwürfen damals dran war? Die haben ziemlich viel Wirbel verursacht.
Lindner: Also Ende der 20er Jahre gab es da eben ein Problem. Da gab es eine bankrott gegangene Firma in Baden-Baden, die hieß Batschari. Die Reemtsmas haben diese Firma übernommen, der Staat hatte noch einige Millionen offenstehender Steuerschulden von Batschari und hat sich dann bereit erklärt, diese Steuerschulden von Batschari den Reemtsmas als neuen Käufern zu überlassen mit der Vorgabe, dass die Arbeitsplätze erhalten bleiben in Baden-Baden oder bei Batschari.

Das hat Reemtsma dann gemacht, und dann haben natürlich Kritiker gesagt, dass der Staat den Reemtsmas ein paar Millionen geschenkt hat. In dieser Zeit – Arbeitslosigkeit, Wirtschaftskrise et cetera – war das natürlich ein Skandal für viele, dass sie sich sagten, der kriegt eine große Firma, noch Millionen geschenkt, in dieser Zeit waren das eben gigantische Beträge. Das ist dann letztlich auch vor Gericht gelandet. Aber man hat Ende der 20er Jahre, Anfang der 30er den Reemtsmas jetzt nicht nachweisen können, dass sie da, sag ich mal, mit Bestechung von Finanzbeamten oder einigen anderen höheren Politikern das Ziel erreicht haben, was sie erreicht haben.

Es gab aber diese Vorwürfe in der Presse, die hörten nicht auf, und die wurden dann sogar ins Dritte Reich weitergeschleppt. Als dann 1933 Nazis versuchten, Reemtsma auf diesem Wege über die alten Verfahren, die man noch mal hochkochte, so an den Haken zu kriegen, und zu sagen, so, ihr seid zwar Marktführer und große Kapitalisten, aber ihr habt ja auch einen jüdischen Geschäftspartner, David Schnur, und deswegen wollen wir mal euch ein bisschen Feuer unterm Hintern machen.
Meyer: Und damals hat sich Reemtsma quasi freigekauft. Sie haben Millionen an Hermann Göring gezahlt.
Lindner: Genau.
Meyer: In der Tat, um sich freizukaufen von diesen Vorwürfen?
Lindner: Ja, es war so, dass Reemtsma auf einer sogenannten Korruptionsliste stand, und wenn ich Reemtsma sage, dann spreche ich hier über drei Brüder, die diese Firma eben hochgebracht haben. Die waren interessanter Weise durchnummeriert innerhalb der Familie. Eins war der Älteste, Zwei dann Philipp Fürchtegott Reemtsma und Drei war Alwin Reemtsma. Diese Eins, Zwei, Drei haben diese Firma vorangetrieben.

Und Nummer Zwei, der eben der Wichtigste war für die Geschicke dieser Firma, der war im Ersten Weltkrieg Flieger gewesen und hatte Kontakte dann zu Hermann Göring gesucht, der preußischer Ministerpräsident war 1933, und hat Göring gefragt, weil ja die Fabrik in Altona, in preußischem Staatsgebiet lag, ob Hermann Göring nicht vielleicht irgendwas machen könnte, um denen zu helfen. Und da hat Herr Göring sich das angehört und hat gesagt, na gut, Herr Reemtsma, ich hätte gerne 10 Prozent Ihres Vermögens, drei Millionen Mark, dann gucken wir mal, was sich machen lässt. So ist es dargestellt worden von Philipp Reemtsma nach dem Krieg.

Ob das letztlich so gelaufen ist oder ob nun der Philipp Reemtsma Göring aktiv das angeboten hat, was Bestechung gewesen wäre, das ist dann etwas gewesen, was man nach dem Krieg in einem Gerichtsverfahren in Hamburg vor deutschen Gerichten klären lassen wollte. Letztlich ist der Philipp Reemtsma da angeklagt worden wegen Bestechung des preußischen Ministerpräsidenten, aber man hat ihn nicht in letzter Instanz verurteilen können oder wollen. Man hat so gesagt, es war so etwas wie eine gewünschte Erpressung.

Aber effektiv hat Reemtsma im Laufe des Krieges zwölf Millionen Reichsmark an Hermann Göring gezahlt, eine exorbitante Summe, und hatte damit freie Hand, im Dritten Reich groß zu wirtschaften und schwerreich zu werden.
Meyer: Sie haben auch richtig profitiert dann vom Dritten Reich, das Unternehmen?
Lindner: Ja. Man kann sagen, die Zigarette ist das Gold des Krieges gewesen. Geraucht wurde während des Krieges in Unmengen mehr als vorher, also solange es Tabak gab in Deutschland. Das war dann so bis 1941 so die Höchstkonjunktur, die sich entwickelt hat.

Es gab zwar Besteuerung, Sonderbesteuerung durch den Staat für die Zigaretten, aber Wehrmacht, die Bevölkerung an sich hat viel stärker geraucht als vorher. Der Konsum explodierte geradezu. Und Reemtsma und andere große Fabriken haben halt diesen Konsum hergestellt und ermöglicht, und damit eben auch exorbitante Gewinnspannen erwirtschaftet.
Meyer: Nach dem Krieg ist das Unternehmen ja rasch wieder aufgestiegen. 1952 hatte Reemtsma wieder einen Marktanteil von 35 Prozent, was ja eine Menge ist. Wie hat sich denn das Unternehmen politisch nach dem Krieg verhalten? Haben Sie in irgendeiner Hinsicht politische Landschaftspflege betrieben?
Lindner: Noch kurz zurückgerudert: Reemtsma war nie nationalsozialistisch orientiert. Sie haben sich im Dritten Reich angepasst. Das hat man ihnen natürlich nachher zum Vorwurf gemacht, aber sie waren so deutsch-patriotisch, deutsch-demokratisch-patriotisch eingestellt und machten dann im Dritten Reich, so wie ich es schreibe, eine Art Kotau, um eben den Rücken frei zu haben für ihre Wirtschaftsziele.

Nach dem Krieg ist man mehr oder minder ganz am Boden, die Firma ist weitgehend zerstört, durch die deutsche Teilung auch auseinandergerissen, weil es eben verschiedenste Standorte gibt, die verloren sind in der russischen Zone, in der späteren DDR. Und dann versucht man eben den Wiederaufstieg, und da sind die Reemtsmas so orientiert, dass sie sich an die demokratischen Kräfte halten und paritätisch Spenden an die Parteien, meinetwegen FDP, CDU, SPD, die bekommen genauso viel Geld, egal wie groß die Partei ist. Da wollte man also keine Unterschiede mehr machen, sodass nicht noch einmal der Verdacht aufkommen könnte, man wäre sozusagen nur auf dem einen Auge blind und auf dem anderen aktiv.
Meyer: Heute ist ja Jan Philipp Reemtsma der Bekannteste aus dieser Familie. Er hat das Hamburger Institut für Sozialforschung gegründet, er hat die Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht initiiert. Man muss sagen, dass die Erben der Reemtsmas sich getrennt haben von der Firma, die ist jetzt in einem internationalen Unternehmen aufgegangen.

Und Sie erzählen eine sehr interessante Geschichte über Jan Philipp Reemtsma in Ihrem Buch: Er ist mal spazieren gegangen in Hamburg, da hat ihn ein älterer Herr angehalten und gesagt: Als ich Sie eben sah, dachte ich, ich habe Ihren Vater vor mir. Und Jan Philipp Reemtsma hat dazu gesagt: Etwas Schlimmeres hätten Sie mir nicht sagen können. Heißt das, er schämt sich für seine Familie, für seinen Vater?
Lindner: Nein, Scham ist es nicht. Ich glaube, sein Vater ist ihm etwas ungeheuer. Man muss wissen, dass Jan Philipp Reemtsma der Sohn von Zwei, also von Philipp Fürchtegott Reemtsma ist. Dieser ist 1959 gestorben, da war Jan Philipp gerade sieben Jahre alt. Das war so eine Art Übervater. Das war der wirkliche Kopf der Firma Reemtsma, der hat in der deutschen Wirtschaft wichtige Posten gehabt, der war im Aufsichtsrat der Deutschen Bank und so weiter.

Und dieser Philipp Fürchtegott Reemtsma war eben so als Übervater wohl immer in der Kindheit und der Jugend präsent, bei dem Jan Philipp. Er hat ihn eben nur bis zum siebten Lebensjahr erleben können. Und daraufhin hat er sich, als er erwachsener wurde, komplett anders orientiert, als es die Familie vorgesehen hat. Er ist eben nicht der Erbe der Zigarettenfirma geworden und eingestiegen ins Management, in die Leitung, in den Vorstand, sondern er hat sich seine eigenen literaturwissenschaftlichen oder sozialwissenschaftlichen Ziele gesucht.

Und wenn ihn jetzt ein älterer Mitarbeiter in Hamburg sieht, im Hanseviertel, und sagt, Sie sehen aus wie Ihr eigener Vater vor meinetwegen 40 Jahren, dann ist es wohl so, dass der Jan Philipp Reemtsma erschrocken war und sich sagte, mit seinem Vater, der ja eine ganz andere Linie eingeschlagen hat wirtschaftlich oder unternehmerisch, mit dem wollte er weder verglichen werden, noch in irgendeiner Weise gemein gemacht werden. Aber de facto gibt es wohl äußerliche Ähnlichkeiten.
Meyer: Erik Lindner, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch über das neue Buch "Die Reemtsmas – Geschichte einer deutschen Unternehmerfamilie". Das ist im Hoffmann und Campe Verlag erschienen, hat 590 Seiten und kostet 25 Euro.