Vom konservativen Erzählstil zum rotzigen Hiphop-Ton

Rezensiert von Lutz Bunk · 01.09.2006
In ihrem zweiten Roman erzählt T. Cooper die Geschichte der Familie "Lipshitz". Zunächst schreibt sie in konservativem Erzählstil von ihrem Urgroßvater, der 1907 von Russland in die USA auswanderte. Am Ende des Buches schlägt die Amerikanerin den Bogen zu sich selbst und erzählt in hartem Hiphop-Ton von ihrem Leben.
Bekannt wurde T. Cooper musikalisch als Mitglied der ehemaligen Boygroup "The back doors boys". Was das Ganze allerdings kurios macht, ist die Tatsache, dass T. Cooper, Jahrgang 1972, eigentlich weiblichen Geschlechts, also eine Frau, ist.

Ihre wahre Identität blieb lange ein Geheimnis. Auch noch im Pressetext des marebuchverlages zu ihrem neuen, mittlerweile zweiten Roman "Lipshitz" scheint T. Coopers Geschlecht vermeintlich männlich zu sein. Der Entscheidung für diese Darstellung gingen im Verlag lange Diskussionen voraus. Für den Roman selbst spielt es auch fast keine Rolle.

"Lipshitz" ist der Familienname von T. Coopers Urgroßvater, der 1907 mit seiner Familie aus Angst vor anti-jüdischen Pogromen von Russland in die USA auswandert. Damit beginnt der Roman. Es wird eine verzweigte Familiensaga erzählt, die zunächst bis ins Jahr 1942 reicht. Dann, nach 350 Seiten, macht der Roman einen Zeitsprung in das Jahr 2002. Die Familiensaga geht weiter, aber dort auf den letzten 110 Seiten des Romans, tritt T Cooper dann ausdrücklich autobiografisch in der Ich-Form auf, und der Leser erfährt, dass T Cooper die letzte Nachfahrin jenes Lipshitz ist, der 1907 in die USA einwanderte.

Diese beiden Teile des Romans unterscheiden sich fundamental, als ob es zwei verschiedene Bücher wären, obwohl sie am Ende, insgesamt betrachtet, hervorragend harmonieren und sich ergänzen.

Der zweite, autobiografische Teil ist in jenem modernen, harten, rotzigen Hiphop-Ton gehalten, wie man ihn von Augusten Burroughs und David Sedaris kennt. Da benutzt T. Cooper Wörter wie "Nazischwein" oder bezeichnet ihr eigenes Buch, also "Lipshitz", als Scheißbuch.

Absolut anders der Hauptteil des Romans, also jene ersten 350 Seiten: der Erzählstil konservativ im allerbesten Sinne. Man ist überrascht und auch begeistert, wie abgeklärt, wie ruhig und klar diese Familiengeschichte beschrieben wird, und das in Komposition und Sprache so ausgewogen, wie man das nur von einem sehr erfahrenen Erzähler erwarten würde und nicht von einer erst 34-jährigen Autorin. Das liest sich spannend, ist hervorragend beobachtet und hat sehr viel Tiefe.

Auf dem Cover des Buches ist ein kleiner blonder Junge zu sehen, er heißt Ruben und ist eines jener Lipshitz-Kinder, die 1907 in den USA ankommen. Allerdings verschwindet er im Gedränge der Ankunft am Hafen und bleibt verschollen. Irgendwann in den 20er Jahren beginnt dann die unglückliche Mutter zu phantasieren, Ruben würde noch leben und sei Charles Lindbergh, jener Pilot, der als erster allein den Atlantik überflogen hatte, ein großartiger erzählerischer Trick von T Cooper.

Denn durch die Figur von Charles Lindbergh, der tatsächlich ein großer Freund Nazi-Deutschlands war, lässt sich gut der heftige Antisemitismus beschreiben, der in den 20er und 30er Jahren auch in den USA herrschte, sehr gut recherchiert von der Autorin bis hin zu dem Hakenkreuz, das auf die Propellerspitze von Lindberghs Flugzeug gemalt war.
"Lipshitz" ist eine große Familiensaga, raffiniert erzählt und facettenreich, ein großartiges Buch, konservativ und avantgardistisch zugleich.

T. Cooper : Lipshitz
Übersetzt von Brigitte Jakobeit
marebuchverlag, Hamburg 2006
460 Seiten, 24,90 Euro