Vom Krieg in der Nachbarschaft
Wie möchten Sie am liebsten sterben? 98 Bewohner sollen im belagerten Sarajevo für ein US-Magazin Antwort geben. Das ist der Plot der titelgebenden Erzählung. Die Autorin selbst hat die Kriegstage im 1992 bis 1995 von serbisch-bosnischen Militärs umzingelten Sarajevo durchlebt und schildert Miniaturen des oft alptraumhaften Alltags.
Dafna, eine Frau aus altem bosnischen Bürgertum, die den Beinamen Pechvogel trägt, will während der Belagerung von Sarajevo die Seite wechseln, um zu ihren Angehörigen zu gelangen. Mit Unterstützung von zwei Soldaten überquert sie eine Brücke, die den besetzten mit dem belagerten Teil der Stadt verbindet. Aus Dankbarkeit für die erwiesene Hilfe erhebt Dafna auf der Brücke ihre Hand, doch ihr Ringfinger, einst durch ein Missgeschick beim Kaffeemahlen verstümmelt, wirkt auf einen der Soldaten so, als zeige sie ihm einen Stinkefinger. Aus Ärger über die Geste und aus unverdautem Zorn über einen Verlust beim Kartenspiel am Vortag erschießt der Soldat die Frau, der er eigentlich hatte helfen wollen.
Sechs Erzählungen aus dem von 1992 bis 1995 von serbisch-bosnischen Militärs umzingelten Sarajevo enthält der Band der bosnischen Autorin Alma Lazarevska. Unter dem Titel "Tod im Museum für moderne Kunst" liegt er jetzt auf Deutsch im Drava Verlag vor. Im Original erschien er 1996 und wurde vom bosnisch-herzegowinischen Schriftstellerverband als bestes Buch des Jahres ausgezeichnet.
Den großen Frontverläufen, nationalen Streitigkeiten oder der hohen Politik gilt keine Zeile von Alma Lazarevska. Stattdessen widmet sie sich dem Alltag der 1400 Tage währenden Belagerung Sarajevos, einem Alltag, den sie selbst durchlebt hat. So schildert Lazarevska, wie sich die Beziehungen zwischen Nachbarn in einem Mietshaus verändern, nachdem der Krieg ausgebrochen ist und der strenge Hausmeister mit seiner Familie das Weite gesucht hat. An anderer Stelle entsteht ein Streit zwischen der Ich-Erzählerin und ihrem Partner, weil der sich seine Zigaretten mit den im Belagerungszustand äußerst begehrten Streichhölzern anzündet und nicht an der ohnehin brennenden Kerze. Der Mann folgt dem in der Region verbreiteten Aberglauben, beim Anzünden einer Zigarette am Kerzenfeuer werde irgendwo auf der Welt ein Mensch sterben.
In der Titelerzählung geht es um eine Umfrage, in der 98 Bewohner des belagerten Sarajevos unter anderem danach gefragt werden, wie sie am liebsten sterben würden. Die Antworten sind zum Abdruck in einem amerikanischen Hochglanzmagazin gedacht. Einige Exemplare des Magazins sollen in die Bestände des New Yorker Museums für moderne Kunst eingehen.
Alma Lazarevska kam 1957 in der jugoslawischen Teilrepublik Makedonien zur Welt. In Sarajevo studierte sie vergleichende Literatur- und Theaterwissenschaften. Seitdem arbeitet sie dort als Publizistin und Schriftstellerin. 2002 erschien von ihr auf Deutsch der ebenfalls im Bosnien-Krieg entstandene Roman "Im Zeichen der Rose", eine fiktive Autobiografie in Anlehnung an das Leben von Rosa Luxemburg.
In den Erzählungen des Bandes "Tod im Museum für moderne Kunst" sind Themen und Motive des Belagerungsalltags lose miteinander verwoben. Diese Texte lesen sich als krasse Gegenentwürfe zu jeder politisch oder ideologisch überformten Kriegsliteratur. Es gibt kein Pathos, niemand spricht aus Sicht eines Kollektivs, etwa der Serben, Kroaten oder bosnischen Muslime. Viele Protagonisten bleiben namenlos. Nicht einmal Sarajevo wird mit Namen genannt.
Lazarevskas Prosa konzentriert sich auf individuelle Lebenslagen und Miniaturen des Alltags, die wie in einem Vergrößerungsglas aufscheinen. "Tod im Museum für Moderne Kunst" ist ein außergewöhnliches Buch - eine anstrengende und zugleich spannende Lektüre.
Besprochen von Martin Sander
Alma Lazarevska: Tod im Museum für moderne Kunst
Aus dem Bosnischen von Elena Messner und Mascha Dabić
Drava Verlag, Klagenfurt / Wien 2012
122 Seiten, 17,80 Euro
Sechs Erzählungen aus dem von 1992 bis 1995 von serbisch-bosnischen Militärs umzingelten Sarajevo enthält der Band der bosnischen Autorin Alma Lazarevska. Unter dem Titel "Tod im Museum für moderne Kunst" liegt er jetzt auf Deutsch im Drava Verlag vor. Im Original erschien er 1996 und wurde vom bosnisch-herzegowinischen Schriftstellerverband als bestes Buch des Jahres ausgezeichnet.
Den großen Frontverläufen, nationalen Streitigkeiten oder der hohen Politik gilt keine Zeile von Alma Lazarevska. Stattdessen widmet sie sich dem Alltag der 1400 Tage währenden Belagerung Sarajevos, einem Alltag, den sie selbst durchlebt hat. So schildert Lazarevska, wie sich die Beziehungen zwischen Nachbarn in einem Mietshaus verändern, nachdem der Krieg ausgebrochen ist und der strenge Hausmeister mit seiner Familie das Weite gesucht hat. An anderer Stelle entsteht ein Streit zwischen der Ich-Erzählerin und ihrem Partner, weil der sich seine Zigaretten mit den im Belagerungszustand äußerst begehrten Streichhölzern anzündet und nicht an der ohnehin brennenden Kerze. Der Mann folgt dem in der Region verbreiteten Aberglauben, beim Anzünden einer Zigarette am Kerzenfeuer werde irgendwo auf der Welt ein Mensch sterben.
In der Titelerzählung geht es um eine Umfrage, in der 98 Bewohner des belagerten Sarajevos unter anderem danach gefragt werden, wie sie am liebsten sterben würden. Die Antworten sind zum Abdruck in einem amerikanischen Hochglanzmagazin gedacht. Einige Exemplare des Magazins sollen in die Bestände des New Yorker Museums für moderne Kunst eingehen.
Alma Lazarevska kam 1957 in der jugoslawischen Teilrepublik Makedonien zur Welt. In Sarajevo studierte sie vergleichende Literatur- und Theaterwissenschaften. Seitdem arbeitet sie dort als Publizistin und Schriftstellerin. 2002 erschien von ihr auf Deutsch der ebenfalls im Bosnien-Krieg entstandene Roman "Im Zeichen der Rose", eine fiktive Autobiografie in Anlehnung an das Leben von Rosa Luxemburg.
In den Erzählungen des Bandes "Tod im Museum für moderne Kunst" sind Themen und Motive des Belagerungsalltags lose miteinander verwoben. Diese Texte lesen sich als krasse Gegenentwürfe zu jeder politisch oder ideologisch überformten Kriegsliteratur. Es gibt kein Pathos, niemand spricht aus Sicht eines Kollektivs, etwa der Serben, Kroaten oder bosnischen Muslime. Viele Protagonisten bleiben namenlos. Nicht einmal Sarajevo wird mit Namen genannt.
Lazarevskas Prosa konzentriert sich auf individuelle Lebenslagen und Miniaturen des Alltags, die wie in einem Vergrößerungsglas aufscheinen. "Tod im Museum für Moderne Kunst" ist ein außergewöhnliches Buch - eine anstrengende und zugleich spannende Lektüre.
Besprochen von Martin Sander
Alma Lazarevska: Tod im Museum für moderne Kunst
Aus dem Bosnischen von Elena Messner und Mascha Dabić
Drava Verlag, Klagenfurt / Wien 2012
122 Seiten, 17,80 Euro