Vom Lieben und Leiden
In ihren Büchern beschreibt die israelische Schriftstellerin Zeruya Shalevs das Gefühlschaos, das Liebende bindet und entzweit. So auch in dem neuen Roman "Für den Rest des Lebens", auf den ihre weltweite Fangemeinde lange warten musste.
Schon ihr erster Roman "Liebesleben" aus dem Jahr 2000 wurde auf Anhieb ein internationaler Bestseller, ebenso die beiden folgenden Romane "Mann und Frau" und "Späte Familie". Zeruya Shalevs Trilogie über Leidenschaft, Liebe und Familie trafen offenbar einen Nerv der Gegenwart. Ihre Geschichten bilden die emotionale Verunsicherung und die Ängste von Gesellschaften ab, deren Scheidungsraten und deren Anteil Alleinlebender steigen. Mit ihrem elektrisierten, ekstatischen Sprachstil gelingt es Zeruya Shalev, das Gefühlschaos zu beschreiben, das Liebende bindet und entzweit und sich noch in der kleinsten Alltagssituation verbergen kann.
Zeruya Shalevs neuer Roman mit dem Titel "Für den Rest des Lebens" wurde von ihrer weltweiten Fangemeinde lang erwartet. Die Folgen eines Bombenanschlags, den die israelische Schriftstellerin im Januar 2004 in Jerusalem erlitt, hinderte sie für lange Zeit am Schreiben. Die erlebte Gewalt brachte aber noch etwas anderes hervor: Den Wunsch, ein Kind zu adoptieren, was Shalev auch tat. Eben dies ist eine der narrativen Linien in ihrem neuen Roman.
Zwischen Rückblenden und Gegenwartsbericht wechselnd erzählt sie über vier Generationen hinweg von einer israelischen Familie. Im Mittelpunkt stehen der Rechtsanwalt Avner und seine Schwester, die Historikern Dina, beide zwischen 40 und 50 Jahre alt, beide verheiratet, Eltern von Kindern, beide trotz ihrer etablierten Lebenssituation an einer Leerstelle, am Gefühl einer großen Unerfülltheit leidend. Sie sehnen sich nach einem Menschen, der nicht mehr ist als ein Phantom ihrer Wünsche. Avner glaubt diesen Menschen in einer Frau mit einer roten Bluse erkannt zu haben, die er eines Tages für einen flüchtigen Moment im Krankenhaus dabei beobachtet, wie sie sich von einem Sterbenden verabschiedet. Dina wiederum folgt immer stärker ihrer obsessiven Idee, noch ein Kind zu adoptieren. Sie ist bereit, dafür alles, auch ihre Ehe und das Verhältnis mit ihrer 16-jährigen Tochter aufs Spiel zu setzen, die sich immer weiter von ihr entfernt.
Zeruya Shalev macht deutlich, dass es sich nicht um beliebige Midlifekrisen handelt, sondern um eine seelische Beschädigung, die Avner und Dina gleichsam geerbt haben von ihrer Mutter Chemda Horovitz. Die alte Frau, die im Verlauf der Romanerzählung immer mehr in ein dement mäanderndes Bewusstsein abgleitet, immer bettlägeriger und pflegebedürftiger wird und sich von der Gegenwart so weit entfernt, dass sie die eigenen Kinder nicht mehr erkennt, erinnert sich dafür umso schärfer an Leiden ihrer Kindheit. Als Tochter der Pioniergeneration Israels wuchs sie - wie Zeruya Shalev selbst auch - in einem Kibbuz auf, mit und doch getrennt von den Eltern.
Anders als den Vorgängerbüchern fehlt dem Roman "Für den Rest des Lebens" jener Überschuss an furioser, auch ungerechter Erzählenergie. Shalevs neues Buch ist in jeder Hinsicht ausgeglichener, begründender. Eben dadurch aber in heikler Nähe zu einem gewissen Schematismus.
Besprochen von Ursula März
Zeruya Shalev: Für den Rest des Lebens
Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler
Berlin Verlag, Berlin 2012
528 Seiten, 22,90 Euro
Deutschlandradio Kultur ist Medienpartner bei www.litprom.de - der Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika e.V. mit der Weltempfänger-Bestenliste
Zeruya Shalevs neuer Roman mit dem Titel "Für den Rest des Lebens" wurde von ihrer weltweiten Fangemeinde lang erwartet. Die Folgen eines Bombenanschlags, den die israelische Schriftstellerin im Januar 2004 in Jerusalem erlitt, hinderte sie für lange Zeit am Schreiben. Die erlebte Gewalt brachte aber noch etwas anderes hervor: Den Wunsch, ein Kind zu adoptieren, was Shalev auch tat. Eben dies ist eine der narrativen Linien in ihrem neuen Roman.
Zwischen Rückblenden und Gegenwartsbericht wechselnd erzählt sie über vier Generationen hinweg von einer israelischen Familie. Im Mittelpunkt stehen der Rechtsanwalt Avner und seine Schwester, die Historikern Dina, beide zwischen 40 und 50 Jahre alt, beide verheiratet, Eltern von Kindern, beide trotz ihrer etablierten Lebenssituation an einer Leerstelle, am Gefühl einer großen Unerfülltheit leidend. Sie sehnen sich nach einem Menschen, der nicht mehr ist als ein Phantom ihrer Wünsche. Avner glaubt diesen Menschen in einer Frau mit einer roten Bluse erkannt zu haben, die er eines Tages für einen flüchtigen Moment im Krankenhaus dabei beobachtet, wie sie sich von einem Sterbenden verabschiedet. Dina wiederum folgt immer stärker ihrer obsessiven Idee, noch ein Kind zu adoptieren. Sie ist bereit, dafür alles, auch ihre Ehe und das Verhältnis mit ihrer 16-jährigen Tochter aufs Spiel zu setzen, die sich immer weiter von ihr entfernt.
Zeruya Shalev macht deutlich, dass es sich nicht um beliebige Midlifekrisen handelt, sondern um eine seelische Beschädigung, die Avner und Dina gleichsam geerbt haben von ihrer Mutter Chemda Horovitz. Die alte Frau, die im Verlauf der Romanerzählung immer mehr in ein dement mäanderndes Bewusstsein abgleitet, immer bettlägeriger und pflegebedürftiger wird und sich von der Gegenwart so weit entfernt, dass sie die eigenen Kinder nicht mehr erkennt, erinnert sich dafür umso schärfer an Leiden ihrer Kindheit. Als Tochter der Pioniergeneration Israels wuchs sie - wie Zeruya Shalev selbst auch - in einem Kibbuz auf, mit und doch getrennt von den Eltern.
Anders als den Vorgängerbüchern fehlt dem Roman "Für den Rest des Lebens" jener Überschuss an furioser, auch ungerechter Erzählenergie. Shalevs neues Buch ist in jeder Hinsicht ausgeglichener, begründender. Eben dadurch aber in heikler Nähe zu einem gewissen Schematismus.
Besprochen von Ursula März
Zeruya Shalev: Für den Rest des Lebens
Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler
Berlin Verlag, Berlin 2012
528 Seiten, 22,90 Euro
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